Interview

Interview zum Sparprogramm "Griechenland braucht eine Notstandsregierung"

Stand: 08.05.2010 18:18 Uhr

Nach dem Tod von drei Bankangestellten sitzt der Schock tief in der griechischen Bevölkerung. Wie stehen die Menschen nun zu dem harten Sparprogramm der Regierung? Sind sie bereit, sie zu unterstützen, oder lehnen sie die von ihnen abverlangten Opfer ab? Darüber sprach tagesschau.de mit dem griechischen Journalisten Tasos Telloglou.

tagesschau.de: Ist die griechische Regierung mit ihren Sparmaßnahmen auf dem richtigen Weg?

Tasos Telloglou: Die Frage ist nicht, ob die Sparmaßnahmen richtig oder falsch sind - wir haben keinen anderen Ausweg. Entweder greifen die Sparmaßnahmen, oder der Staat gibt eine Bankrotterklärung ab und kann keine Löhne und Renten mehr zahlen mit der Folge, dass der Bankensektor zusammenbricht. Es gibt also nur diesen Weg. Nach den Krawallen in Athen und dem Tod von drei Menschen ist aber die Frage, ob diese Maßnahmen politisch durchsetzbar sind. Es scheint, dass die Regierung in ihrer jetzigen Form dazu nicht in der Lage sein wird. Wir brauchen eine Regierung des nationalen Notstands, so wie im Juli 1974 nach dem Ende der Diktatur - mit den besten Leuten des Landes, denen wurscht sein wird, ob sie in drei Jahren wiedergewählt werden. Denn das wird wahrscheinlich nicht passieren.

Zur Person

Tasos Telloglou ist Journalist und arbeitet für den griechischen Privatsender Skai TV. Von 1990 bis 2000 war er für mehrere TV-Sender Deutschland-Korrespondent. Für seine Recherchen über Bestechungszahlungen von Siemens in Griechenland erhielt er den angesehen Fernsehpreis "Prosopa 2008".

tagesschau.de: Wie steht die Bevölkerung zum Sparprogramm?

Telloglou: Die Bevölkerung trägt diese Maßnahmen nicht mit. Das ist auch wenig überraschend. Seit Jahren gibt es in Griechenland keine sozialen Zusammenhang und kein gemeinsames soziales Ziel mehr. Jeder interpretiert die soziale Entwicklung aus seiner eigennützigen Ecke. Die Krawalle und die Gewalt sind eine logische Folge.

tagesschau.de: Heißt das, dass es einen Mentalitätswechsel in Griechenland geben muss - und könnte er durch die Krise herbeigeführt werden?

Telloglou: Ein solcher Mentalitätswechsel ist nirgendwo auf der Welt mehrheitsfähig, weder in Deutschland noch in Griechenland. Die Mehrheit wehrt sich immer gegen jegliche Maßnahme, die ihre Position verschlechtert. Deshalb muss die Regierung den Strukturwandel alleine durchsetzen. Es gibt keinen anderen Weg.

"Unfähige, korrupte Beamte"

tagesschau.de: Glauben Sie, dass der neue Kurs auch dazu führen wird, dass weniger Steuern hinterzogen werden?

Telloglou: Die Regierung redet viel über die Änderung der Steuerstruktur und über eine andere Mentalität der Steuerzahler, tut für die Erreichung dieses Ziels aber sehr wenig. Die Steuerbehörden sind weiter unterbesetzt, viele Beamte sind unfähig oder korrupt, haben aber die richtigen Parteifreunde. Jeder versucht weiterhin, seine Schäfchen ins Trockene zu bringen. Und so lange das so ist, gibt es keine Rechtfertigung, die Mentalität der Steuerhinterzieher zu ändern.

tagesschau.de: Führt die Krise nicht dazu, dass auf Seiten der Steuerhinterzieher die Einsicht einkehrt, dass sich etwas ändern muss, weil sonst der Staat zusammenbricht?

Telloglou: Nein. Jeder spricht hier für sich selbst. Die Einlagen in schweizer Banken sind drei Mal so hoch wie die in griechischen Banken. Viele dieser Leute, die jetzt für das Sparprogramm sprechen, haben ihr Geld im sicheren Ausland angelegt. Es muss aber ein Versuch unternommen werden, auch die Großen an den Sparmaßnahmen zu beteiligen und nicht nur die Kleinen, damit das Programm politisch legitimiert wird. Das haben gerade die vergangenen Tage gezeigt.

"NRW-Wahl kommt uns teuer zu stehen"

tagesschau.de: In Deutschland ist die Kritik an Griechenland sehr scharf. Wie nimmt man das in ihrem Land auf?

Telloglou: Auch die besonnenen Stimmen in diesem Land sagen: Die Wahl in Nordrhein-Westfalen ist uns teuer zu stehen gekommen. Hätte Deutschland die Hilfsmaßnahmen schon früher beschlossen, hatte es sicher weniger zahlen müssen. Die breite Bevölkerung ist verbittert. Das hat sicher auch mit einem Teil unseres Nationalcharakters zu tun, der den Schuldigen immer woanders sucht - in diesem Fall in Deutschland. Aber richtig ist auch, dass Kanzlerin Merkel und Vizekanzler Westerwelle zu lange gezaudert haben. Und deswegen fällt auch für die deutsche Bevölkerung die Rechnung höher aus.

tagesschau.de: Glauben Sie, dass die Proteste weiter gehen werden?

Telloglou: Es wird sicher weitere Proteste geben. Das ist auch verständlich - jeder vernünftige Mensch würde so handeln, wenn er auf 20 Prozent seines Einkommens verzichten soll. Ob diese Proteste wieder gewalttätig sein werden, möchte ich bezweifeln. Der Schock in der Bevölkerung sitzt tief - ich war soeben vor der Bank, in der drei Angestellte erstickt sind. Ich sehe diesen Schock in den Gesichtern meiner Landsleute und glaube, dass es zunächst friedlich bleiben wird.

Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de