Hilfspaket für Griechenland Unmut bei Abgeordneten über Rechenspiele

Stand: 22.02.2012 21:39 Uhr

Die Pleite ist Griechenland wohl vorerst erspart geblieben. Doch im neuen Hilfspaket finden sich noch einige Unbekannte. Zu viele Unbekannte für den Geschmack der Abgeordneten, die "Griechenland II" am kommenden Montag im Bundestag absegnen sollen.

Von Natalia Bachmayer, HR, ARD-Hauptstadtstudio

"Strictly Confidential" steht in der rechten oberen Ecke des Papiers. Und die Verfasser wussten vermutlich, warum sie dem jüngsten Bericht zur Schuldentragfähigkeit Griechenlands das Siegel "Streng Vertraulich" verpassten.

Denn was die Troika-Beobachtergruppe da in einer Vorab-Version ihres Griechenland-Berichts schrieb, ist eine geradezu apokalyptische Prognose zur Wirksamkeit der geplanten Hilfs- und Sanierungsmaßnahmen. In dem Papier, das dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt, schreiben die Experten der EU, des Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank, dass Griechenlands  erdrückender Schuldenstand mit den bisher geplanten Maßnahmen allenfalls auf 129 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gedrückt werden könne: "Das ist deutlich über der Marke, die sich die europäischen Staats-und Regierungschefs auf ihrem Oktober-Gipfel gesetzt hatten (120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts). Und es ist über der Grenze, die für Griechenland noch als tragfähig angesehen werden kann."

Die Analyse datiert übrigens vom 15. Februar - an diesem Tag hatten sich eigentlich die Finanzminister der Eurogruppe treffen wollen, um die Hilfsmaßnahmen abzusegnen. Das Treffen wurde kurzfristig abgesagt - stattdessen gab es gerade einmal eine Telefonkonferenz. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

"Schrauben, bis die Zahlen passen"

"Es ist ja dann doch noch gutgegangen", könnte man jetzt sagen. Die Finanzminister trafen sich einfach fünf Tage später, verhandelten bis in die frühen Morgenstunden und erklärten am vergangenen Dienstag, die Kuh sei vom Eis. Die Griechen hatten sich bereit erklärt, noch mehr zu sparen. Die privaten Gläubiger hatten sich bereit erklärt, auf noch mehr Geld zu verzichten. Und der angepeilte Schuldenstand von 120 Prozent war - schwupps! - wieder in greifbare Nähe gerückt: 120,5 Prozent, verkündeten die Finanzminister stolz, seien bis 2020 zu schaffen. Na gut, ein halbes Prozentpünktchen über der Zielmarke - aber wer will schon knickrig sein, wenn es doch insgesamt in die richtige Richtung geht?

Unter den Berliner Abgeordneten, die am kommenden Montag im Bundestag über "Griechenland II"  abstimmen sollen, macht sich Unmut über die Rechenspiele breit. "Da wird an den Zahlen geschraubt, bis sie ins Konzept passen", heißt es aus Oppositionskreisen. "In den Regierungsfraktionen denkt man doch genauso." Da traue sich bloß keiner vor, bis auf offene "Abweichler" wie Wolfgang Bosbach oder Peter Gauweiler, die gegen das Hilfspaket stimmen wollen.

"Unschaffbar für die Griechen"

Die Milliarden für Griechenland können eben nur ausgezahlt werden, wenn wenigstens der Hauch einer Chance besteht, dass die Geber ihr Geld irgendwann einmal wiedersehen. Der Internationale Währungsfonds beispielsweise hat da ziemlich strikte Regularien. Wird also passend gemacht, was von alleine so gar nicht passen will? Die Haushaltsexperten der SPD jedenfalls halten Teile des Zahlenwerks für Fiktion. "Ob der angestrebte Schuldenstand von 120,5 Prozent des BIP in 2020 wirklich erreichbar und tragbar sein wird, ist fraglich", sagt der Abgeordnete Carsten Schneider. Und selbst wenn, ergänzt Gerhard Schick von den Grünen: "Mit einem Schuldenstand von 120 Prozent kann vielleicht ein Land wie Italien leben, ein Land mit einer funktionierenden Wirtschaft. Für die Griechen ist das aber nicht zu schaffen."

Egal: Der Rettungszug ist angerollt. Entscheidend für den Erfolg des Projekts "Schuldenschnitt" wird sein, wie viele private Gläubiger tatsächlich bei dem Umtausch der Staatsanleihen mitmachen, der Griechenland eine finanzielle Atempause verschaffen soll. Für Deutschland sei man zuversichtlich, meldet Hans-Joachim Massenberg vom Bundesverband deutscher Banken. Es sei aber eine globale Beteiligung erforderlich, und von den Hedgefonds beispielsweise gebe es allenfalls ein paar  widersprüchliche Hinweise, wie sie sich verhalten würden.

Welche Tabus brechen wohl noch?

Nicht auszuschließen, dass am Ende ein ehernes Tabu gebrochen wird, um die kritische Masse zu erreichen: Die Europäische Zentralbank, als öffentlicher Gläubiger eigentlich außen vor, macht bei der Umtausch-Aktion doch mit. "Wenn ein Schuldenschnitt effektiv sein soll, muss die EZB beteiligt sein", meint der Volkswirt Kai Carstensen vom ifo-Institut. "Politisch wäre das allerdings äußerst unbequem. Denn dieselben Politiker, die immer gesagt haben: 'Das sind nur Garantien, das wird nicht so teuer', die müssten dann eingestehen: Es entstehen tatsächlich Verluste für die Steuerzahler."