Ein Gaszähler hängt an einer Gastherme. | picture alliance/dpa

Verbraucher und Unternehmen Gas gespart - aber nicht genug

Stand: 20.12.2022 19:45 Uhr

Politiker und Experten rufen seit Monaten Haushalte und Industrie dazu auf, Gas zu sparen. Erfolge sind dabei deutlich zu sehen. Dennoch ist die Lage derzeit kritisch. Eine Bilanz.

Von Till Bücker, tagesschau.de

Schon seit Juni befindet sich Deutschland mit Blick auf die Gasversorgung in der Alarmstufe des Notfallplans. Zwar greift der Staat in dieser Phase durch mögliche Abschaltungen noch nicht direkt ein - Energiesparmaßnahmen wie die Aussetzung der Mindesttemperatur in Mietwohnungen oder Auflagen für Reklame und Ladentüren gibt es aber bereits trotzdem. Dazu kommen die hohen Preise sowie zahlreiche Appelle der Behörden an Haushalte und Unternehmen aus der Industrie, weniger Gas zu verbrauchen.

Till Bücker

Wegen dieser Einspareffekte und der milderen Witterung ist der Erdgasverbrauch in diesem Jahr nach Angaben des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) im Vergleich zum Vorjahr um 14,8 Prozent gesunken. Dennoch seien weitere Anstrengungen notwendig, sagte Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung, auch heute wieder auf einer Pressekonferenz.

Industrie verbraucht mehr als ein Drittel

Mehr als ein Drittel und damit das meiste Gas in Deutschland hat 2022 laut dem heute veröffentlichten BDEW-Jahresbericht die Industrie verbraucht (37 Prozent). Die Firmen nutzen es in der Produktion überwiegend zur Erzeugung von Wärme für industrielle Prozesse wie das Gießen, Brennen oder Härten.

Einen hohen Gasverbrauch haben vor allem die Glas- und Keramikindustrie, die Papierindustrie, die Metallverarbeitung, die Grundstoffchemie und die Zweige Ernährung sowie Düngemittel.

Nachfrage auf niedrigstem Stand seit Finanzkrise

"Insbesondere in der Industrie ist - bedingt durch die drastisch gestiegenen Preise, aber auch aufgrund der schwachen Konjunktur, verbunden mit Produktionsrückgängen - weniger Gas verbraucht worden", sagt Hans-Wilhelm Schiffer, Leiter der Redaktionsgruppe "Energie für Deutschland" des Berliner Weltenergierats, gegenüber tagesschau.de. Daneben sei der Brennstoff teilweise durch andere Energieträger ersetzt worden - wie etwa durch Mineralölprodukte und in der Stromerzeugung durch Kohle.

Die Nachfrage in der Industrie sank dem BDEW zufolge um rund 14 Prozent auf 317 Milliarden Kilowattstunden (kWh). Das ist der niedrigste Wert seit der Finanzkrise 2009. Allein seit September, als Russland die Lieferungen komplett stoppte, lag der Gasverbrauch um mehr als 20 Prozent niedriger als in der entsprechenden Vorjahresperiode und auch im Vergleich zum Durchschnitt der letzten fünf Jahre.

Private Haushalte sparen 15 Prozent

Den zweiten Platz beim Erdgasverbrauch belegen mit einem Anteil von rund 31 Prozent die privaten Verbraucher. Daher rief Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck auch die Bürgerinnen und Bürger in den vergangenen Monaten immer wieder zum Energiesparen auf. Offenbar mit Erfolg: Laut dem BDEW-Bericht zeichnet sich 2022 bei den Haushalten - einschließlich der Wohnungsgesellschaften - ein Verbrauchsrückgang von rund 15 Prozent ab. Allerdings sei der Grund vor allem die mildere Witterung im Gesamtjahr.

Eine weitere Analyse des Branchenverbands zeigt aber, dass auch eine Verhaltensänderung erkennbar ist. So haben die privaten Verbraucher seit September im Vergleich zu Heizperioden im Herbst mit ähnlich kalten Tagen acht Prozent weniger verbraucht. "Dass es bei Gas derzeit zu Problemen bei der Versorgungssicherheit kommen könnte und die Preise für das Heizen sehr stark gestiegen sind, nehmen die Verbraucher ernst. Sie leisten, so weit sie es können, ihren Beitrag", meint Martin Brandis, Referent für Energieberatung der Verbraucherzentralen, im Gespräch mit tagesschau.de.

Die typischen Empfehlungen der Verbraucherschützer, zum Beispiel das Absenken der Raumtemperatur, die Anpassung von Vorlauftemperaturen in den Heizungsanlagen oder die Reduzierung des Warmwasserverbrauchs, würden viele Haushalten bereits umsetzen. Das erfahre er häufig in Gesprächen mit Verbrauchern, so Brandis. Die Verbesserung der Heiztechnik für die Verringerung des Gasverbrauchs sei ein Schwerpunkt in den aktuellen Beratungen.

Bundesnetzagentur zeigt sich alarmiert

Und dennoch: Die Bundesnetzagentur bewertet "die Lage weiterhin als angespannt und kann eine weitere Verschlechterung der Situation nicht ausschließen", schreibt die Behörde auf Anfrage von tagesschau.de. So habe der Gasverbrauch in der 49. Kalenderwoche nur 5,2 Prozent unter dem durchschnittlichen Verbrauch der letzten vier Jahre notiert. Das Sparziel sei daher zuletzt deutlich verfehlt worden.

Auch temperaturbereinigt lag der Verbrauch in der 48. und 49. Kalenderwoche demnach nur noch zwölf Prozent unter dem Referenzwert und somit im kritischen Bereich. Nach dem neuen Messsystem der Behörde besteht eine kritische Lage, wenn die Einsparung weniger als 15 Prozent beträgt. Das könnte mittelfristig zu einem Engpass in der Gasversorgung führen, denn wie erwartet entleeren sich derzeit die Gasspeicher.

"Das gesetzliche Ziel sieht vor, dass die Speicher Anfang Februar noch zu mindestens 40 Prozent gefüllt sind, denn erstens kann es auch im Februar und März noch sehr kalt werden und zweitens müssen die Speicher im Sommer 2023 auch ohne russische Gaslieferungen für den Winter 2023/2024 wieder aufgefüllt werden", heißt es von der Bundesnetzagentur. Sie hält daher dauerhafte Einsparungen von 20 Prozent für nötig. Aber wie kann das erreicht werden?

Potenzial ist da - Tipps und Tricks zum Sparen

"Potenzial für mehr Einsparungen ist überall da - zum Beispiel im vermieteten Wohnraum mit mehreren Akteuren", meint Energieberater Brandis. Dort könne der Verbraucher lediglich die Raumtemperatur, nicht aber die Vorlauftemperatur beeinflussen. Das sei Sache des Vermieters.

Ansonsten gelten weiterhin die generellen Spartipps der Verbraucherzentralen: die Duschzeit verkürzen, den Durchfluss mithilfe eines Sparduschkopfes verringern, keine leeren Räume heizen oder programmierbare Thermostate für ein intelligentes Heizverhalten nutzen. "Rein rechnerisch könnten Haushalte mit jedem Grad Raumtemperatur rund sechs Prozent Heizenergie einsparen", sagt Brandis.

Zudem empfehlen die Experten, die Heizung regelmäßig zu entlüften und nicht durch Möbel zu verdecken. Staub und Flusen können demnach ebenfalls die Wärmeabgabe mindern. Des Weiteren könne die Dämmung von Rohrleitungen vielerorts verbessert werden. Auch das richtige Lüften - also ein möglichst weites Öffnen der Fenster für wenige Minuten - dürfe nicht unterschätzt werden.

Bonus-System als weiterer Anreiz?

Fachmann Schiffer schlägt darüber hinaus neben dem beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien und dem Einsatz von Wärmepumpen die Einführung eines Bonus-Systems in der Tarifgestaltung vor. "Finanzielle Anreize für Verhaltensänderungen beim Verbrauch versprechen mehr Wirkung als gut gemeinte Einsparappelle", sagt der Dozent für Technologie der Energierohstoffe an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. Ein Sparbonus könne greifen, wenn der Kunde - ein Haushalt oder eine kleinere Firma - seinen Gasverbrauch um bestimmte Prozentsätze im Vergleich zu einer Referenzperiode vermindert.

Um den Gasverbrauch der Industrie zu verringern, verweist er auf zwei Punkte: Zum einen könne der Ersatz von Gas durch Öl in der Industrie erleichtert werden. Dies lohne sich aber nur, wenn die Politik einen passenden Rahmen schafft. Zum anderen könne ein Auktionsmechanismus finanzielle Anreize schaffen, durch Einsparungen oder durch Umstellung auf einen anderen Energieträger den Verbrauch an Erdgas nachweislich zu mindern.

Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) stellte kürzlich in einer Studie eine weitere Idee vor. Wenn die 300 energieintensivsten Produkte - dazu gehören alleine fünf aus der Chemiebranche - nicht mehr in Deutschland hergestellt, sondern günstig importiert werden, würde die Industrie circa 26 Prozent ihres gesamten Gasverbrauchs einsparen und gleichzeitig lediglich weniger als drei Prozent ihres Umsatzes verlieren.

Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 20. Dezember 2022 um 18:00 Uhr.