Gaspipeline
Interview

Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine "Kiew spielt keine ruhmreiche Rolle"

Stand: 06.01.2009 14:51 Uhr

Der Gasstreit bedroht auch viele europäische Länder. Russland und die Ukraine verfolgten klare Ziele, sagt ARD-Korrespondent Stephan Stuchlik tagesschau.de. Russland wolle Stärke demonstrieren - und die Ukraine wolle sich gegenüber der EU als russisches Opfer präsentieren.

tagesschau.de: Die Ukraine steht im Gasstreit als Opfer da - ist sie das wirklich?

Stephan Stuchlik: Die Ukraine spielt keine besonders ruhmreiche Rolle. Es gibt große Parallelen zu 2006, doch im aktuellen Gasstreit gibt es einen großen Unterschied: Die Verhandlungen haben drei Monate lang in Moskau stattgefunden, und die ukrainische Delegation hat diese mehrfach abgebrochen. Da erscheint es zweifelhaft, ob wirklich der Wille zur Einigung da war.

Silvester verabschiedete sich die Ukraine von den Verhandlungen mit Gasprom zu einem Zeitpunkt, als klar war: Noch eine Stunde länger und es hätte eine Übereinkunft gegeben. Trotzdem ist die ukrainische Delegation Hals über Kopf abgereist. Der Verdacht besteht, dass die ukrainische Seite versucht, aus diesem Streit politischen Profit zu schlagen. Nicht nur die russische, wie es 2006 der Fall war.

tagesschau.de: Und was steckt dahinter?

Stuchlik: Die Ukraine will wieder auf der politischen Landkarte Europas auftauchen - als Opfer Russlands. Sie will der EU signalisieren: "Ihr müsst uns helfen!" beziehungsweise "Wir werden hier von Russland erpresst!" Zudem geht es um die finanzielle Seite. Die Ukraine will Europa dazu animieren, Schulden zu stunden oder Geld in das Land zu überweisen. Die Ukraine ist in einem schlimmen Zustand und von der Wirtschaftskrise enorm getroffen. Europa hat sich in den letzten Jahren aber zurückgezogen - und nun denkt man wohl in Kiew, dies sei ein guter Moment, um auf die Bedeutung der Ukraine hinzuweisen.

tagesschau.de: Dennoch ist es auch ein Ritual um den Gaspreis – oder steckt da immer ein politischer Streit hinter?

Stuchlik: Die Delegation und sogar die Journalisten wissen schon vor den Verhandlungen, was passieren wird. Ob es um einen Streit mit der Ukraine oder Weißrussland geht: Die eine Seite behauptet immer, Schulden seien nicht bezahlt, die andere versichert, es sei alles überwiesen. Dann behauptet die russische Seite, das Geld sei nie angekommen. Das ist alles vorhersehbar. Genau wie angekündigte Flüge von irgendwelchen Premierministern, die dann ausfallen werden. Man könnte ein Szenario aufzeichnen, wie so ein Gasstreit aussieht und man würde zu 99 Prozent damit richtig liegen. Das einzige was man nicht weiß: Gibt es im letzten Moment eine Einigung oder nicht.  

tagesschau.de: Lässt sich der Ablauf mit einem Tarifstreit in der Bundesrepublik vergleichen?

Stuchlik: Ich würde da schärfer formulieren: Mir kommt es vor wie ein Streit zwischen zwei unwilligen und quengeligen Kindern. Man weiß vorher, wer welches Förmchen im Sandkasten besitzt und wer welche Schaufel haben will – und trotzdem lassen die Mütter die Kinder aufeinander los. Die Kinder sind in diesem Fall die Gasgesellschaften. Es ist ein sehr unwürdiges Spektakel.

tagesschau.de: Welche Rolle spielt die EU in diesem Spektakel?

Stuchlik: Das muss die EU schleunigst selbst definieren. Russland hat natürlich auch Interessen. Es will Stärke zeigen und zeigen: Wir könnten die Ukraine erpressen und wir hätten im Zweifelsfall auch Westeuropa in der Hand. Zudem will Russland Europa zeigen, dass neue Gasleitungen notwendig seien – beispielsweise die Ostsee-Pipeline. Eine sehr teure Sache, da gibt es zudem sehr große Umweltprobleme. Es gibt Stimmen, die fragen: "Brauchen wir denn diese Leitung wirklich?" Die Russen wollen die Leitung auf jeden Fall, denn sie wollen auch um die Ukraine herum und machen daher Druck. Sowohl Russland als auch die Ukraine wollen die EU in Rollen drängen, die nicht im Sinne der EU sind.

tagesschau.de: Was sollte die EU also tun?

Stuchlik: Aus der EU sind verschiedene Positionen zu vernehmen. Sie sollte versuchen, selbstbewusst aufzutreten: Immerhin ist die EU der größte Gasabnehmer. Und auch der Ukraine sollte man klar machen, dass man so nicht mit dem Gas umgehen kann, denn zweifelsohne zweigt die Ukraine zurzeit auch Gas ab. Daher muss die EU auf beide Seiten richtig politischen Druck machen.

tagesschau.de: Wird es bald eine Einigung geben?

Stuchlik: Die Aussichten sind relativ gering. Die Ukraine hat sich bereits monatelang auf den Streit vorbereitet. Das hat man an der Verhandlungstaktik gesehen, aber auch durch die Tatsache, dass sie sämtliche Gasreserven bis zum Rand gefüllt hat. Das macht man nicht ohne Not, denn das Lagern ist teuer. Gas ist billiger, wenn man es direkt an den Verbraucher liefert. Die Industrie ist in der Ukraine ohnehin schon gedrosselt durch die Wirtschaftskrise, der Gasverbrauch ist gar nicht so hoch wie in den letzten Jahren. Der Winter ist relativ hinnehmbar, das heißt nicht unter minus 20 Grad.

Die Ukraine wird also so lange wie möglich durchhalten wollen. Hinzu kommt auch noch der politische Streit in Kiew: Die Ministerpräsidentin würde sich gerne schneller einigen, der Präsident will das auf keinen Fall.  Auf der russischen Seite wollte man sich wohl wirklich vor dem 1. Januar einigen, um sich die Diskussion um die Lieferzuverlässigkeit zu ersparen. Doch jetzt vertreten sie den Standpunkt: Die Ukraine hat diese Situation verursacht - und jetzt ziehen wir das auch durch.

Das Interview führte Patrick Gensing, tagesschau.de