Die Folgen für Konjunktur, Arbeitsmarkt und Haushalt Von der Finanzmarkt- zur Wirtschaftskrise?

Stand: 06.11.2008 10:05 Uhr

Am Anfang waren sich alle Experten einig: Die Finanzmarktkrise bleibt vor allem eine Finanzmarktkrise und wird kaum Folgen für die reale Wirtschaft haben. Doch mittlerweile wachsen die Zweifel: Je länger die Krise dauert, umso größer werden die Auswirkungen auf Konjunktur, Beschäftigung und den Staatshaushalt.

Von Ralph Sartor, tagesschau.de

Welche Auswirkungen hat die Krise auf die Konjunktur?

In einem Punkt sind sich alle führenden Wirtschaftsinstitute einig: Ja, die Finanzmarktkrise greift auf die reale Wirtschaft über, die Effekte treten bereits in diesem Jahr auf und verstärken sich 2009. Alle Institute senkten daher bereits ihre Prognosen, sowohl für das laufende als auch für das kommende Jahr. Für 2009 liegen die Wachstumsvorhersagen nun zwischen 0,2 und 1,0 Prozent. Der Internationale Währungsfonds geht sogar noch weiter und sagt Deutschland ein Nullwachstum voraus.

In welchem Ausmaß sich die Krise aber auswirkt, bleibt umstritten. Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) beispielsweise sieht Deutschland direkt auf eine Rezession zusteuern. Das sei "angesichts der Finanzkrise nicht zu vermeiden", sagt RWI-Präsident Christoph Schmidt der "Rheinischen Post". Gleichzeitig sagt aber das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) auch für 2009 noch ein Wachstum in Höhe von einem Prozent voraus - und der Konjunkturchef des Institus, Christian Dreger, stellt klar: "Es gibt keine Anzeichen für eine Rezession in Deutschland." Stefan Kooths, DIW-Konjunkturexperte, sieht die Krise viel mehr als Ausrede für einige Unternehmen: Das verminderte Wachstum habe nur wenig mit der Finanzmarktkrise zu tun - und die Branchen, die sich nun darauf beriefen, hätten häufig eher mit hausgemachten Problemen zu kämpfen als dass sie wirklich Opfer der Finanzmarktkrise seien. Für manche Manager sei es einfach, nun zu sagen: "Mein Absatzziel habe ich nicht erfüllt, das liegt an der Finanzkrise."

Gibt es "virtuelle" und "reale" Wirtschaft?

Immer wieder ist von "zwei Welten" zu lesen - den Finanzmärkten, die quasi ein virtuelles Eigenleben führen, und der realen Wirtschaft, in der produziert und gekauft wird. Doch vor allem in den USA sind diese Welten von Beginn der Krise an sehr real verknüpft. Die Banken verliehen Geld an Hausbauer und -käufer, die eigentlich nicht kreditwürdig waren. Die Immobilienpreise stiegen immer weiter, wodurch die Häuser immer wertvoller wurden - und der Wertzuwachs wurde gleich wieder beliehen, das "gewonnene" Geld ging in den Konsum und kurbelte so die Wirtschaft an. Als dann die Zinsen stiegen, konnten viele ihre Kredite nicht mehr bezahlen - und die Kredite in den Bilanzen der Banken verloren drastisch an Wert. Die Folgen: Zum einen die Bankenkrise, zum anderen zahlungsunfähige Konsumenten, die nicht mehr konsumieren können und die damit das Wirtschaftswachstum bremsen.

"Seit Mai sind die Konsumausgaben deutlich zurückgegangen", erklärt US-Notenbankchef Ben Bernanke. Und wenn weniger konsumiert wird, investieren die Firmen auch weniger, weil sie weniger verkaufen können - was die Konjunktur weiter abbremst. Und selbst die Firmen, die investieren wollen, sehen sich nun Problemen gegenüber: Die Banken verleihen ihnen nicht mehr das nötige Geld, weil sie es entweder selbst nicht mehr haben oder aus Angst um die Rückzahlung.

Was bedeutet das für die "reale" Wirtschaft in Deutschland?

Diese Kreditklemme gibt es in Deutschland bislang nicht oder nur in wenigen Einzelfällen - weder Häuslebauer noch investitionswillige Firmen beklagen sich bisher darüber, dass ihnen die Banken kein Geld mehr verleihen. Aber die Auswirkungen auf die Wirtschaft sind dennoch auch hier bereits real. Die schwächelnde Konjunktur in den USA belastet die deutschen Exporteure: "Die Folgen der Finanzmarktkrise und der weltweiten Konjunkturabschwächung hinterlassen erste Bremsspuren beim deutschen Außenhandel", erklärt der Bundesverband des Groß- und Außenhandels, "die Konjunktureintrübung bei unseren wichtigsten Handelspartnern trübt die Entwicklung der Exportwirtschaft."

Noch sind die Auftragsbücher der Unternehen voll - aber die Aussicht auf eine ungewisse Geschäftsentwicklung dämpft auch hier die Bereitschaft zu investieren. Am meisten Angst haben die Konjunkturexperten aber vor der Angst: Je länger die Krise dauert, umso unsicherer werden Firmen und Konsumenten. Und wer verunsichert ist, der investiert und konsumiert nicht, sondern spart für schlechte Zeiten - der Abschwung kommt, weil alle Angst vor dem Abschwung haben. Oder, wie es Heiko Stiepelmann, der Sprecher des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie formuliert: "Eine Zurückhaltung bei Investitionen, weil alle die Krise im Kopf haben, könnte zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung führen."

Was bedeutet die Krise für den Arbeitsmarkt?

Für das laufende Jahr wenig, sagen sowohl die Wirtschaftsforschungs- institute als auch die Bundesagentur für Arbeit. Die erwartet sogar für 2009 eine positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Die Zahl der Arbeitslosen werde um weitere 100.000 auf durchschnittlich 3,16 Millionen sinken, prognostiziert das BA-eigene Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Zugrundegelegt sei dieser Prognose ein Wachstum um ein Prozent. Bei näherer Betrachtung hat dieser Rückgang der Arbeitslosigkeit aber nicht so sehr wirtschaftliche Gründe, sondern demografische: Voraussichtlich scheiden 130.000 Menschen mehr aus dem Berufsleben aus als es Berufsanfänger gibt. Wesentlich pessimistischer als die IAB-Forscher zeigt sich das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). Es sagte für 2009 einen Anstieg der Arbeitslosenzahlen um fast 200.000 auf knapp 3,5 Millionen voraus.

Grundsätzlich gilt: Selbst wenn es statt einer Rezession geringes Wachstum geben wird, könnte die Zahl der Arbeitslosen wieder steigen. Wirtschaftswissenschaftler sprechen von einer Beschäftigungsschwelle: Oberhalb eines bestimmten Wachstumswerts nimmt die Zahl der Arbeitslosen ab und unterhalb gehen Jobs verloren. "Die Beschäftigungsschwelle dürfte je nach Branche bei 1,5 Prozent bis 1 Prozent liegen", sagt der Chef der fünf Wirtschaftsweisen, Bert Rürup. Liegt das Wachstum darunter, sinkt die Zahl der Jobs.

Wie wirkt sich das auf den Haushalt aus?

Bis 2011 wollte Bundesfinanzminister Peer Steinbrück ursprünglich einen ausgeglichenen Haushalt vorweisen - und immer mehr Experten gehen davon aus, dass ihm die Finanzmarktkrise und ihre Folgen dabei einen Strich durch die Rechnung machen könnten. Nach der Verabschiedung des Konjunkturprogramms relativierte die Bundesregierung das Konsolidierungsziel und gab an, "in der nächsten Legislaturperiode" einen Haushalt ohne neue Schulden vorlegen zu wollen, also spätestens 2013. Der Kampf gegen die wirtschaftlichen Folgen der Finanzmarktkrise schlägt sich direkt im Haushalt nieder.

Steinbrück selbst und Bundeskanzlerin Merkel äußerten bereits nach dem Schnüren des Rettungspakets für die deutschen Banken erste Zweifel: Bis zu 80 Milliarden Euro Kapital will der Bund den Banken zur Verfügung stellen, dazu kommen Bürgschaften für Bank-Kredite über 400 Milliarden Euro. Das Risiko für diese Garantien beziffert der Bund auf fünf Prozent der Gesamtsumme - er schätzt also, dass die 400-Milliarden-Bürgschaften letztlich zu einem Ausfall von 20 Milliarden Euro führen könnten. Für diese Summe will der Bund "die haushaltsrechtliche Vorsorge" treffen.

Das DIW hatte bereits auf die Risiken durch die verschiedenen Bürgschaften hingewiesen, die beispielsweise für Landesbanken, IKB und, vor allem, die Hypo Real Estate übernommen wurden. Und: "Die Unsicherheit im Hinblick auf die weitere Entwicklung der öffentlichen Haushalte ist derzeit besonders groß. Eine Abkühlung der Konjunktur könnte bereits im nächsten Jahr einen Rückgang der Steuereinnahmen zur Folge haben."

Der SPD-Haushaltsexperte Carsten Schneider beziffert die Risiken konkreter: Ein Prozent weniger Wachstum bedeute ein Steuerminus in Höhe von zehn bis elf Milliarden Euro, davon müsse der Bund drei Milliarden tragen. Der FDP-Haushaltspolitiker Otto Fricke rechnet sinkende Einnahmen der Sozialversicherungen mit ein und kommt sogar auf sechs Milliarden Euro: "Damit ist das Ziel der Bundesregierung, den Etat 2011 auszugleichen, ohne Sparprogramm nicht mehr zu erreichen." Selbst dann, wenn keine der Bürgschaften auch wirklich zu Ausgaben führen sollte, wäre Steinbrücks Ziel gefährdet, denn der Bund ging bisher bei seinen Planungen von 1,2 Prozent Wachstum im kommenden Jahr aus. Nach der Korrektur auf 0,2 Prozent mussten die Steuerschätzer erneut ran. Anfang November prognostizierten sie für 2009 rund 2,2 Milliarden Euro weniger Steuereinnahmen für den Bund und damit eine deutlich größere Lücke infolge des geringeren Wachstums. Für 2008 sagten sie dem Bund jedoch gegenüber der Mai-Schätzung 0,4 Milliarden Euro zusätzliche Einnahmen voraus.