Wirecard-Gesetz Neue Regeln für Wirtschaftsprüfer
Beim Wirecard-Skandal haben alle versagt: Regierung, BaFin und die Wirtschaftsprüfer von EY. Letztere haben mehrere Mandate verloren. Jetzt hat der Bundestag die Regulierung der Branche verschärft.
Der Skandal um die erfundenen Milliarden des einstigen DAX-Unternehmens Wirecard schlägt auch elf Monate nach dessen Insolvenz noch hohe Wellen. Während der Bundesrechnungshof jüngst den Aufsichtsbehörden und der Bundesregierung eklatantes Versagen vorgeworfen hat, hat die große Koalition mit ihrer Mehrheit heute im Bundestag einen Gesetzentwurf beschlossen, der eine verschärfte Regulierung der Wirtschaftsprüfer vorsieht.
Nach Angaben von CDU- und SPD-Abgeordneten haben sich die Koalitionsparteien auf die Einzelheiten und einzelne Änderungen des Gesetzentwurfs geeinigt, den das Bundeskabinett im Dezember vorigen Jahres auf den Weg gebracht hatte. Danach sieht der Entwurf des unter dem sperrigen Namen Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz (FISG) firmierenden Projekts vor, die Bilanzkontrollen der Unternehmen zu stärken, um eine korrekte Rechnungslegung sicherzustellen, wie es in einer Mitteilung des Bundesfinanzministeriums heißt.
Konkret ist vorgesehen, dass Aktiengesellschaften ihre Prüfer künftig alle zehn Jahre wechseln müssen, statt wie bisher alle 24 Jahre. Außerdem muss es nach fünf Jahren eine interne Rotation des verantwortlichen Prüfers geben. Auch sollen Prüfung und Beratung stärker voneinander getrennt werden, wodurch insbesondere die Steuerberatung durch Wirtschaftsprüfer erschwert wird. Experten fordern dies schon lange, weil die Steuerberatung völlig inkompatibel mit einer unabhängigen Prüfung sei. Zudem will der Gesetzgeber die zivilrechtliche Haftung der Abschlussprüfer verschärfen.
Mehr Biss für die BaFin
Mit dem Gesetz soll auch die Finanzaufsichtsbehörde BaFin mehr Biss bekommen. Sie wird künftig allein für die Bilanzkontrolle zuständig sein und erhält die Möglichkeit, die Führungsspitze eines geprüften Unternehmens wie auch dessen Abschlussprüfer vorladen und vernehmen zu dürfen. In Kraft treten soll das Gesetz am 1. Juli 2021. Der Entwurf bedarf noch der Zustimmung durch den Bundesrat.
Bilanzprüfer kritisieren Änderungen
Die Bilanzprüfer sehen sich zu Unrecht an den Pranger gestellt. Sie hatten zuletzt argumentiert, dass sie gegen Betrug und kriminelle Energie wie im Fall Wirecard grundsätzlich nicht gefeit seien. Es sei "kein systematisches Versagen der Abschlussprüfung zu erkennen", heißt es in einer Stellungnahme des Verbands IdW (Institut der Wirtschaftsprüfer).
Aus dem Fall Wirecard lasse sich keine weitergehende Trennung von Prüf- und Beratungsaufträgen an die Wirtschaftsprüfer ableiten, wie sie in dem Gesetzentwurf gefordert wird. Unklar sei auch, wie ein häufigerer Wechsel des Bilanzprüfers dazu beitragen könne, vergleichbare Betrugsfälle zu verhindern. Wenn die Bilanzprüfer mehr für ihre Arbeit haften müssten, drohe eine noch stärkere Konzentration im Markt, weil kleinere Prüfungsgesellschaften das Risiko nicht tragen könnten.
Dieses Argument fand offenbar Gehör. CDU-Finanzpolitiker Matthias Hauer sagte am Dienstag der Agentur Reuters, die Union habe durchgesetzt, dass kleine und mittelständische Wirtschaftsprüfer faktisch keiner unbegrenzten Haftung bei Fahrlässigkeit unterliegen und deren Tätigkeit damit versicherbar bleibe.
EY verliert vier Mandate
Bereits jetzt ist das Versagen von EY bei Wirecard nicht ohne Folgen geblieben. So haben die Aktionäre der Commerzbank auf der gestrigen Hauptversammlung beschlossen, sich von dem Wirtschaftspüfer zu trennen und zum Konkurrenten KPMG zu wechseln. EY hatte das Prüfmandat bei Deutschlands zweitgrößter Privatbank erst 2018 gewonnen und hätte es auch noch Jahre behalten können. Doch die Commerzbank, die zu Wirecards Kreditgebern gehörte, musste wegen der Pleite 187 Millionen Euro abschreiben.
Die Commerzbank ist das vorerst letzte große deutsche Unternehmen, das EY den Rücken kehrt. Anfang des Jahres hatte die Deutsche Telekom angekündigt, ihre Bilanzen doch nicht wie vorgesehen von EY prüfen zu lassen. Für die Kontrolleure war das ein harter Schlag, war die Telekom doch das achte Mandat eines DAX-Unternehmens, das EY für sich gewinnen konnte. Zuvor hatte sich bereits die staatseigene Förderbank KfW, Deutschlands drittgrößte Bank gemessen an der Bilanzsumme, von EY getrennt.
"Big Four" dominieren den DAX
Damit hat das einst unter dem Namen Ernst & Young firmierende Unternehmen binnen weniger Monate vier wichtige Mandate in Deutschland verloren. Im Februar musste zudem der Deutschlandchef Hubert Barth seinen Posten räumen. Ist die Macht der vier hierzulande dominierenden Wirtschaftsprüfer EY, Deloitte, KPMG und PwC nun in Gefahr? Ein Blick auf die Prüfmandate der 30 DAX-Konzerne zeigt: Außer SAP lassen alle anderen DAX-Konzerne ihre Bilanzen weiterhin von einer der "Big Four" genannten Gesellschaften prüfen.
Zwar haben sich auf der Hauptversammlung von Siemens Aktionärsschützer sowie Belegschaftsaktionäre gegen EY ausgesprochen. In der Begründung des Antrags hieß es: "Die von der Verwaltung vorgeschlagene Ernst & Young GmbH hat im Fall Wirecard in eindrucksvoller Weise gezeigt, dass sie mit der Prüfung eines komplexen Unternehmens überfordert ist. Sie ist daher ungeeignet zur Prüfung des Siemens-Konzerns und hat nicht mehr das Vertrauen der Aktionäre." Doch der Antrag blieb erfolglos. EY prüft weiterhin die Bilanzen von Siemens und die von ihr abgespaltene Firma Siemens Energy.
Nur SAP schert aus
Damit hat EY mit der Telekom bislang nur ein DAX-Mandat verloren. Lufthansa, Volkswagen, Münchener Rück und Deutsche Bank lassen sich weiter von EY testen. Die anderen Mandate im DAX teilen sich KMPG, Deloitte und PwC auf. Noch ist die Reputation und das Vertrauen also intakt.
Bisher hat SAP als einziger DAX-Konzern das Oligopol der "Big Four" durchbrochen und sich für den Prüfer BDO entschieden. Doch ein kleines Unternehmen ist auch das in Belgien ansässige BDO nicht. In Deutschland beschäftigt die Firma an 27 Standorten rund 2000 Mitarbeiter. BDO gilt weltweit als Nummer fünf der Wirtschaftsprüferbranche. Im Jahr 2020 erwirtschaftete der Verbund mit über 91.000 Mitarbeitern in 167 Ländern einen Umsatz von 10,3 Milliarden Dollar, allerdings mit weitem Abstand hinter den vier Marktführern.