Händler an der Börse in New York (Archivbild).
Marktbericht

Neu aufgeflammte Zinssorgen US-Börsen wieder auf Talfahrt

Stand: 29.09.2022 22:18 Uhr

Nach einer kurzen Verschnaufpause gestern schließt die Wall Street heute wieder deutlich im Minus. Gute Arbeitsmarktdaten aus den USA schüren bei Anlegern die Angst vor weiteren kräftigen Zinsschritten.

An der Wall Street dominieren auch weiter Sorgen um kräftige Zinserhöhungen und eine drohende Rezession. Zwar hatten die US-Börsen nach dem sechsten Verlusttag in Folge gestern überraschend einen kräftigen Sprung nach oben gemacht. Doch schon heute waren wieder alle Gewinne verpufft. Robuste Konjunkturdaten aus den Vereinigten Staaten und die Furcht vor weiteren Zinsschritten sorgten für einen Ausverkauf. Die Zahl der wöchentlichen Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe war in der vergangenen Woche überraschend und deutlich gesunken. Der Markt reagiert auf solche Signale aktuell mit erhöhter Alarmbereitschaft.

Dementsprechend nach unten ging es für den US-Leitindex Dow Jones, der bis zum Ende des Handelstages um 1,54 Prozent auf 29.226 Zähler fiel. Seit Anfang September hat der Index nun mehr als acht Prozent verloren. Der breiter gefasste S&P 500 büßte 2,11 Prozent ein, der technologielastige Nasdaq-100-Index verlor 2,86 Prozent. Der Tech-Sektor enthält viele hoch bewertete Aktien; entsprechend sensibel reagiert die Branche auf steigende Zinsen, denn künftige hohe Unternehmensgewinne sind dann zum heutigen Zeitpunkt weniger wert.

"Wir bewegen uns von einem Niedrigzins- zu einem Hochzinsumfeld", sagte Andrea Cicione, Chef-Anlagestratege des Research-Hauses TS Lombard. Anleger bewerteten die Risiken für die Konjunktur und der Katalysator hierfür seien die Zinserhöhungen der Fed und anderer Notenbanken. Die Furcht vor Finanzierungsproblemen für Staaten mit hohen Leistungsbilanz-Defiziten werde sehr real.

Der DAX schaffte es auch heute nicht, den Handelstag mit einem Plus zu beenden. Eine Inflation von zehn Prozent und robuste Konjunkturdaten aus den USA haben dem deutschen Leitindex die Stimmung vermiest. Um 1,7 Prozent ging es für den wichtigsten deutschen Index heute auf 11.976 Punkte runter. Der MDAX der mittelgroßen Werte gab ebenfalls deutlich nach, er fiel um 2,4 Prozent auf 21.791 Punkte.

An den Märkten dürften die vorläufige Schätzung des Statistischen Bundesamtes zur Inflation im September für Unbehagen gesorgt haben. So ist die Teuerungsrate in Deutschland nach dem Wegfall des 9-Euro-Tickets und des Tankrabatts auf zehn Prozent gestiegen und damit auf den höchsten Stand seit 70 Jahren.

"Die Inflationsrate durchbricht die Schallmauer", kommentierte Chefökonom Thomas Gitzel von der VP Bank. Mit einer raschen Beruhigung sei nicht zu rechnen, die Teuerung werde vorerst im zweistelligen Bereich bleiben. Eine weitere Zinsanhebung um 0,75 Prozentpunkte scheine bei der nächsten Zinssitzung Ende Oktober sehr wahrscheinlich. "Gleichzeitig gewinnen Diskussion über einen noch größeren Schritt an Fahrt", fuhr Gitzel fort. Auch Sebastian Dullien vom gewerkschaftsnahen IMK-Institut sieht den Höhepunkt der Inflation noch nicht erreicht. "In den kommenden Monaten wird es noch weiter aufwärts gehen."

Krieg, Inflation, Rezessionsangst: Schlechter könnten die Vorzeichen für einen Börsengang kaum sein. Der Sportwagenhersteller Porsche hat ihn dennoch über die Bühne gebracht. Er fiel gemessen am Tageshoch von 86,76 Euro durchaus erfolgreich aus. Die Konsortialbanken hatten allerdings einige Mühe, das Niveau des Ausgabepreises von 82,50 Euro zu verteidigen. Bis zum Handelsschluss sackte die Aktie dann merklich ab und schloss bei 82,50 Euro exakt auf dem Niveau des Ausgabepreises. Für Aktionäre von VW und ihres Großaktionärs Porsche SE gab es dabei wenig Anlass zur Freude. Papiere der Porsche SE erwischte es mit minus 11,4 Prozent am DAX-Ende dabei besonders heftig. Die Volkswagen-Vorzüge büßten mehr als sechs Prozent ein.

Bettina Seidl, HR, im Interview mit Porsche-Vorstandsvorsitzendem Oliver Blume

Der Euro hat seine Vortagesgewinne heute verteidigt, nachdem sich die Gemeinschaftswährung gestern zeitweise um fast zwei Cent gegenüber der US-Währung erholt hatte. Am Abend kostete die Gemeinschaftswährung 0,9794 US-Dollar. Trotz der Erholung steht der Euro an den Finanzmärkten aber weiterhin unter hohem Druck. Der Ukraine-Krieg, die Energiekrise und die trüben Konjunkturaussichten haben den Euro unlängst auf einen 20-jährigen Tiefstand fallen lassen."Widerstand (gegen die Dollar-Stärke) ist zwecklos", hieß es von der ING Bank. Seien es die überraschend starke US-Konjunktur oder der Energiekrieg in Europa - alles spreche für weitere Dollar-Kursgewinne.

Die Aussicht auf eine gedrosselte Förderung der OPEC+-Staaten gibt dem Ölpreis Rückenwind. Die Sorte Brent aus der Nordsee grenzt ihre Verluste von zeitweise mehr als zwei Prozent ein und notiert nur noch leicht im Minus bei 88,57 Dollar je Barrel. Insidern zufolge diskutieren die Mitglieder des erweiterten Exportkartells, zu dem auch Russland gehört, über einen Schritt bei ihrem kommenden Treffen am 5. Oktober.

Ein mögliches Verbot des Handels mit russischen Industriemetallen an der wichtigen Börse London Metal Exchange (LME) treibt die Preise. Aluminium verteuerte sich heute zeitweise um bis zu 8,5 Prozent und Nickel um bis zu sechs Prozent, im späteren Handelsverlauf gaben sie aber einen Großteil der Gewinne wieder ab. Insidern zufolge erwägt die Londoner Börse einen Bann für Nickel des Produzenten Nornickel und für Aluminium von Rusal. Die beiden russischen Konzerne liefern sieben beziehungsweise sechs Prozent des weltweiten Bedarfs der jeweiligen Metalle.

Im Zuge seines Umbauprogramms will der angeschlagene Windanlagenbauer Siemens Gamesa Tausende Stellen streichen. Bis spätestens zum Geschäftsjahr 2025 sollen weltweit 2900 Arbeitsplätze abgebaut werden, teilte die Tochtergesellschaft des Energietechnikkonzerns Siemens Energy heute mit. Ein Großteil soll etwa mit 800 Stellen in Dänemark wegfallen, in Spanien sind 475 Arbeitsplätze betroffen und in Deutschland 300. Das Unternehmen werde mit den Arbeitnehmervertretern zusammenarbeiten, dabei sollen bevorzugt die natürliche Fluktuation oder interne Versetzungen genutzt werden.

Gamesa ächzt unter hohen Kosten, Materialengpässen und Problemen mit seinen Landturbinen und erwartet für das laufende Geschäftsjahr 2021/22 (per Ende September) Verluste. Dabei hatte der Konzern bereits mehrfach seine Prognose senken müssen. Um die Profitabilität zu stabilisieren und mittelfristig zu verbessern, will Konzernchef Jochen Eickholt den Konzern neu aufstellen. Mehrheitseigner Siemens Energy hat angekündigt, die schwächelnde Tochter vollständig übernehmen zu wollen. Die Aktien von Siemens Gamesa stiegen leicht, die der Mutter Siemens Energy fielen um mehr als drei Prozent.

Der Schweizer Süßwarenhersteller Lindt & Sprüngli hat einen weiteren Erfolg zum Schutz seiner Schokoladenhasen errungen. Das Schweizer Bundesgericht in Lausanne veröffentlichte heute einen Entscheid, wonach die Lidl Schweiz AG und die Lidl Schweiz DL AG ähnliche Produkte nicht mehr verkaufen dürfen, weil Verwechslungsgefahr mit den in Goldfolie verpackten Hasen von Lindt bestehe. Außerdem müssen laut dem höchstrichterlichen Urteil alle verbliebenen Hasen der Supermarktkette zerstört werden. Der Lindt-Hase sei als sogenannte Formmarke geschützt, weil er sich nachweislich auf dem Markt durchgesetzt habe, stellte das Gericht fest. "Aufgrund ihres Gesamteindrucks lösen die Lidl-Hasen naheliegend Assoziationen zur Form des Lindt-Hasen aus; in der Erinnerung des Publikums können sie nicht auseinandergehalten werden", hieß es in einer Mitteilung.

Zu den Verlierern am amerikanischen Aktienmarkt zählten Fluggesellschaften und Kreuzfahrt-Anbieter, weil wegen des Sturms "Ian" zahlreiche Flüge und Kreuzfahrten gestrichen oder umgeleitet werden müssen. Die Aktien von American Airlines, Delta und United sowie die Titel von Carnival Cruise, Royal Caribbean und Norwegian fielen zwischen drei und fünf Prozent. Weil auch viele Geschäfte geschlossen blieben, büßten Einzelhändler wie Target oder Home Depot rund zwei Prozent ein.

Unter den größten Verlierern in US-Leitindex Dow Jones büßten die Aktien des iPhone-Herstellers Apple mehr als vier Prozent ein. Als Belastung erwies sich eine skeptische Studie der Bank of America. Die Papiere hätten in dem aktuell schwierigen Umfeld quasi als sicherer Hafen gedient, doch inzwischen hielten sich Chancen und Risiken wieder in etwa die Waage, schrieb Analyst Wamsi Mohan. Dabei verwies der Experte auf die Abschwächung im Bereich der Inhalte und Services sowie die recht maue iPhone-Nachfrage, die auf sinkende Ausgaben der Verbraucher hindeuteten.

Der US-Konzern Google erklärt seinen Ausflug ins Geschäft mit dem Videospielen aus dem Netz für gescheitert. Der Internet-Riese stellt seinen Games-Streamingdienst Stadia ein. Bei solchen Angeboten laufen die Videospiele nicht auf PCs oder Konsolen der Nutzer, sondern auf Servern der Anbieter im Internet und werden mit Hilfe schneller Leitungen gesteuert. Die Lösungen gelten vielen Experten als Zukunft der Spieleindustrie. Stadia habe nicht genug Zuspruch von Nutzern bekommen, räumte Google in einem Blogeintrag heute ein. Kunden werden ihre Spiele noch bis zum 18. Januar kommenden Jahres nutzen können und sollen Ausgaben für Hardware und Software zurückerstattet bekommen.

In der DAX-Gewinnerliste haben es sich die Aktien der Münchener Rück und der Hannover Rück auf den besten Plätzen bequem gemacht. Anleger reagierten erleichtert darauf, dass sich der in Florida wütende Hurrikan "Ian" auf seinem Weg durch den US-Bundesstaat abgeschwächt hat. Meteorologen stuften ihn zunächst auf die niedrigste Stärke eins von fünf herab. Am Vortag hatten die Branchenwerte noch deutlich nachgegeben aus Angst, dass der Wirbelsturm extrem hohe Schäden verursachen könnte, die letztlich auch die Rückversicherer heftig getroffen hätten.

Komplett entgegengesetzt läuft es für die Aktien von Thyssenkrupp und Salzgitter mit einem Minus von jeweils mehr als neun und sieben Prozent. Händler verwiesen auf die Nachricht, dass erste Industriebetriebe mit einem hohem Stromverbrauch wegen der stark gestiegenen Energiepreise ihre Produktion reduzieren. Demnach stoppt Europas größter Stahlkonzern ArcelorMittal ab Oktober zwei Anlagen im Norden Deutschlands.

Der Vorstandsvorsitzende des Batteriekonzerns Varta, Herbert Schein, wird sein Amt mit sofortiger Wirkung niederlegen. Er bleibe jedoch bis Ende des Jahres im Vorstand, wie das Unternehmen heute mitteilte. Als Grund nannte Varta den Aufbau eines neuen Geschäftsbereichs. Schein soll das Geschäft mit E-Mobility und Batterypacks vorantreiben. Die Aktivitäten sollen künftig in einer eigenen Gesellschaft gebündelt werden. Die Position des Vorstandssprechers werde Markus Hackstein übernehmen, hieß es. Im MDAX waren die Aktien des Batterieherstellers trauriges Schlusslicht mit Verlusten von mehr als zehn Prozent.

Im Einzelhandelsbereich mussten Anleger europaweit wieder heftige Kursverluste hinnehmen. Nach schwachen Geschäften im dritten Geschäftsquartal ist der Modekonzern Hennes & Mauritz (H&M) zwar besser in den September gestartet. Nichtsdestotrotz seien die Aussichten auf die kommenden Monate sehr negativ, auch weil Beschaffungskosten wegen des anziehenden Dollars weiter steigen. Die Titel reagierten mit teils kräftigen Abschlägen. Auch die Anteilsscheine des deutschen Online-Händlers Zalando verloren mehr als sechs Prozent.