
ING schafft "Verwahrentgelt" ab Abschied vom Strafzins für Sparer
Eine der größten Banken für Privatkunden schafft für fast alle Kunden Negativzinsen bei Giro- und Tagesgeldkonten ab. Dem Beispiel der niederländischen ING dürften bald weitere Institute folgen.
Für Bankkunden der ING in Deutschland sollen Negativzinsen, im Bankendeutsch, "Verwahrentgelt", in wenigen Wochen Geschichte sein. Dies schürt bei Sparern Hoffnungen, dass sich bald viele Mitbewerber anschließen, die den Negativzins derzeit noch erheben.
Die deutsche Tochter der niederländischen ING Group hat angekündigt, dass ab 1. Juli die Freibeträge für Guthaben auf Giro- und Tagesgeld-Konten von derzeit 50.000 auf 500.000 Euro pro Konto erhöht werden. Damit entfällt laut ING Deutschland das Verwahrentgelt für 99,9 Prozent der Kunden. Bislang erhebt die Bank dieses Verwahrentgelt in Höhe von 0,5 Prozent pro Jahr für Beträge, die über den Freibetrag von 50.000 Euro hinausgehen. Das Institut hat nach eigenen Angaben mehr als neun Millionen Kundinnen und Kunden und ist damit die drittgrößte Bank Deutschlands.
Strafzinsen bei den Instituten üblich
Auch andere Banken hatten in den vergangenen Jahren nach und nach Strafzinsen auf Kontobeträge oberhalb gewisser Freibeträge eingeführt - meist ebenfalls in Höhe von 0,5 Prozent. Dieser Zins wird zum Beispiel auch bei der Commerzbank, der Deutschen Bank oder der Postbank auf Beträge auf Girokonten oberhalb von 50.000 Euro fällig. Bei Tagesgeldkonten verlangen Deutsche Bank und Postbank bereits ab Beträgen oberhalb von 25.000 Euro 0,5 Prozent Verwahrentgelt.
Auch bei vielen Sparkassen und Volksbanken sind Negativzinsen inzwischen üblich. Die DKB, mit fünf Millionen Kunden eine der größten Direktbanken, hatte das Verwahrentgelt Ende 2021 für Neukunden ab 25.000 Euro Kontoeinlage eingeführt, für Bestandskunden aber großzügigere Freibeträge gewährt.
Banken wollen Ertragsflaute mildern
Die Geschäftsbanken hatten mit der Einführung der Negativzinsen ihre schwachen Erträge und der Ära der Niedrigzinsen im Euroraum aufbessern wollen. Der Leitzins der Europäischen Zentralbank (EZB) liegt seit rund fünf Jahren bei null Prozent. Entsprechend sind die Erträge aus Zinsgeschäften der Banken in den vergangenen Jahren immer magerer ausgefallen.
Die EZB verlangt für Geld, das Geschäftsbanken bei der Zentralbank parken, inzwischen einen Negativzins von 0,5 Prozent jährlich - dies ist der sogenannte Einlagensatz. Die Geschäftsbanken wiederum wollen diesen Strafzins durch entsprechende Entgelte bei den Privatkunden wieder kompensieren. Erstmals hatte die EZB einen Strafzins für die Banken 2014 mit 0,2 Prozent pro Jahr eingeführt. Noch im selben Jahr hatte die Skatbank aus Thüringen, die dem genossenschaftlichen Bankensystem angehört, daraufhin ein Verwahrentgelt von vermögenden Kunden gefordert.
EZB dürfte im Sommer Nullzins-Ära beenden
Die Ära der Null- und Negativzinsen neigt sich nun aber wohl dem Ende zu. Das haben Vertreter der EZB inzwischen signalisiert. "Nach heutigem Stand gehe ich davon aus, dass wir im Juli die Zinsen erstmalig erhöhen können", sagte die deutsche EZB-Direktorin Isabel Schnabel vergangene Woche der "Bild"-Zeitung. Laut Bundesbank-Chef Joachim Nagel ist Eile geboten: "Das Zeitfenster, das jetzt sich öffnet für die ersten geldpolitischen Maßnahmen, das geht so langsam zu."
Hauptgrund für die anstehenden Zinsschritte der Notenbank ist die Bekämpfung der Inflation, die sich zuletzt deutlich beschleunigt hat. In Deutschland und in der gesamten Euro-Zone ist die Teuerung auf rund sieben Prozent im Jahresvergleich hochgeschnellt. Stark verteuerte Preise für Energie, aber auch für Lebensmittel haben sie in den vergangenen Monaten angetrieben.
Die Währungshüter um EZB-Chefin Christine Lagarde sind dadurch unter Zugzwang geraten. Bei den kommenden EZB-Sitzungen im Juni oder Juli dürfte ein erster Zinsschritt kommen - da sind sich viele Experten sicher. Der finnische Notenbankchef Olli Rehn hatte dafür vor wenigen Tagen den Juli-Termin ins Spiel gebracht und dafür einen Zinsschritt um einen Viertelprozent-Punkt beim Einlagesatz vorgeschlagen.
Weiterhin Wertverlust der Ersparnisse
Die ING hat nun bereits Fakten für die Kunden geschaffen. "Unser Versprechen, mit Wegfall der Minuszinsen das Verwahrentgelt zu streichen, lösen wir für fast alle Kunden damit schon vor einer Entscheidung der Europäischen Zentralbank ein", so Vorstandschef Nick Jue. Die ING dürfte damit eine Trendwende für viele Bankhäuser einleiten. Im April hatte bereits die Oldenburgische Landesbank (OLB) angekündigt, die Freibeträge für Privatkunden "sehr deutlich" anzuheben - für einige Girokonten-Modelle auf bis zu fünf Millionen Euro. Auch das Sparkassen-System hatte bereits angekündigt, Verwahrentgelte streichen zu wollen, sobald der Einlagensatz für Banken bei der EZB positives Terrain erreicht. Ähnlich hat sich vor wenigen Tagen auch die DKB geäußert.
Ob der Wegfall der Negativzinsen allerdings wirklich eine "gute Nachricht für Sparer" darstellt, wie dies EZB-Direktorin Schnabel vergangene Woche bezeichnet hat, bleibt abzuwarten. Angesichts der hohen Teuerungsraten bedeutet auch der Wegfall eines Minuszinses von 0,5 Prozent noch keine echte Erleichterung für Nutzer von Tages- oder Festgeldkonten. Bis diese wieder nennenswerte positive Zinsen abwerfen, dürften noch Jahre vergehen - und auch dann könnten die Zinsen noch weit unterhalb der Inflationsrate liegen. Der reale Wertverlust von Ersparnissen hält also weiterhin an.