Der EZB-Tower in Frankfurt/Main.

Leitzins der EZB Warum die Zinserhöhung geringer ausfällt

Stand: 15.12.2022 16:04 Uhr

Die Europäische Zentralbank erhöht den Leitzins in der Eurozone um 0,5 Prozentpunkte. Dass die Zinsen nun nicht mehr so deutlich steigen wie zuletzt, liegt auch an einem Dilemma der Notenbanken.

Um 0,5 Prozentpunkte hebt die Europäische Zentralbank den Leitzins an, um gegen die hohe Inflation in der Eurozone vorzugehen. Das haben die europäischen Währungshüter bei ihrer Sitzung in Frankfurt am Main beschlossen. Der an den Finanzmärkten maßgebliche Einlagensatz wurde im selben Umfang auf 2,00 Prozent nach oben gesetzt.

Bereits im Vorfeld hatten sich zahlreiche Ratsmitglieder dafür ausgesprochen, den Leitzins um nur 0,5 Prozentpunkte anzuheben und nicht wie zuletzt um 0,75 Prozentpunkte, etwa der französische Notenbankchef François Villeroy de Galhau. Auch der EZB-Chefvolkswirt sagt zuletzt, er sähe wenig Argumente für einen großen Zinsschritt um 0,75 Prozentpunkte.

Weitere Zinsschritte könnten folgen

Dennoch dürfte das nicht die letzte Leitzinserhöhung der Europäischen Zentralbank gewesen sein. Denn die Notenbanker kündigten an, dass es auch in den kommenden Monaten weitere Zinsschritte geben könnte: "Die Leitzinsbeschlüsse des EZB-Rats werden auch in Zukunft von der Datenlage abhängen und von Sitzung zu Sitzung festgelegt", hieß es.

Thomas Gitzel von der VP Bank wertete die Zinserhöhung als positives Signal: "Die EZB zeigt der Inflation die Zähne. Lagarde legte heute jegliche Zurückhaltung ab. Sie machte klar, dass es noch ein deutliches Stück weiter gehen wird." Jörg Krämer, der Chefökonom der Commerzbank, hätte sich von der EZB dagegen ein deutlicheres Signal erwartet: "Die EZB muss viel entschiedener vorgehen. Wir brauchen einen EZB-Einlagensatz von mindestens vier Prozent." Dem schließt sich auch Ulrich Kater von der Deka-Bank an: "Die Zinserhöhungen müssen noch ein gutes Stück weitergehen." Die nach wie vor hohe Inflationsrate im Euroraum sei noch immer äußerst problematisch.

Anleiheankäufe sollen zurückgefahren werden

Parallel dazu stellte die EZB in Aussicht, dass sie ihre Anleihebestände ab März kommenden Jahres schrittweise zurückfahren will. Gelder aus auslaufenden Wertpapieren ihres billionenschweren allgemeinen Kaufprogramms APP werden ab März nicht mehr in vollem Umfang in den Kauf neuer Anleihen gesteckt. Bis zum Ende des zweiten Quartals 2023 sollen die Bestände monatlich im Durchschnitt um 15 Milliarden Euro verringert werden.

Die Währungshüter hatten angesichts der lange Zeit gefährlich niedrigen Inflation im März 2015 in großem Stil mit dem Kauf von Staatsanleihen und anderen Wertpapieren begonnen. Bislang ersetzen die Währungshüter diese im Bestand noch vollständig.

Historische Kehrtwende

Die heute beschlossenen Maßnahmen der Europäischen Zentralbank haben vor allem das Ziel, die in der EU hohe Inflation zu bekämpfen. Dafür vollzog die EZB bereits im Juli dieses Jahres eine historische Kehrtwende und hob, nach mehr als einem Jahrzehnt stetig niedriger Zinsen, den Leitzins unerwartet kräftig an. Seitdem hat die EZB die Zinsen bereits mehrmals angehoben, zuletzt sogar schon um 0,75 Prozentpunkte.

Im vergangenen Jahr dachten die Notenbanker noch, es gehe ohne Zinserhöhung. Auf der EZB Sitzung im Dezember vergangenen Jahres waren die Zinsen noch unangetastet geblieben. Damals hielt die EZB-Präsidentin Christine Lagarde eine Zinserhöhung für "sehr unwahrscheinlich", laut den EZB-Prognosen sollte die Inflation bis spätestens 2023 wieder unter das anvisierte Niveau von zwei Prozent sinken. Liegt die Inflationsrate bei rund zwei Prozent, sehen die Notenbanker in Frankfurt am Main Preisstabilität als erreicht an. Diese Ziel versuchen sie mit ihrer Geldpolitik zu erreichen.

Doch genau das Gegenteil ist seit dieser Sitzung vor einem Jahr passiert: Statt zu sinken kletterte die Inflationsrate in der Europäischen Union von einem Rekordwert zum nächsten, bevor sie im November 2022 das erste Mal seit Monaten wieder leicht gesunken ist. Im November stand die Inflationsrate in der Eurozone bei 10,0 Prozent, nach zuvor 10,6 Prozent.

Das Dilemma der Notenbanken

Dass die Zinsen aller Notenbanken nun nicht mehr so deutlich steigen wie noch bei den vergangenen Sitzungen zeigt auch das Dilemma, in dem Notenbanken wie die EZB oder die britische Notenbank, die Bank of England, derzeit stecken: Einerseits wollen die Zentralbanken die hohe Teuerungsrate mit strafferer Geldpolitik bekämpfen. Anderseits leidet auch die europäische Wirtschaft unter den Folgen des Krieges in der Ukraine.

Seit Russland im Februar dieses Jahres mit seinem Angriffskrieg auf die Ukraine begonnen hat, steigen vor allem die Energie- und Lebensmittelpreise. Das liegt unter anderem an den zahlreichen Sanktionen, welche die EU gegen Russland erlassen hat und die dafür sorgen, dass große Mengen der russischen Rohstoff-Lieferungen nicht mehr in die EU importiert werden.

Die EZB muss also aufpassen, dass sie die Wirtschaft mit ihrem Straffungskurs nicht überfordert. Denn höhere Zinsen führen dazu, dass auch die Kreditaufnahme teurer wird. Das führt dazu, dass weniger Kredite aufgenommen werden und auch der Konsum sinkt. So kann zwar einerseits die Teuerungsrate gedrückt werden, anderseits könnte es die bereits angeschlagene Wirtschaft weiter schwächen. EZB-Chefvolkswirt Philip Lane machte jüngst deutlich, dass die Euro-Währungshüter davon ausgehen, dass eine mögliche Rezession "mild und von kurzer Dauer sein wird".

Enttäuschung an den Börsen

An den Börsen wurden die Nachrichten aus der EZB mit Enttäuschung aufgenommen, den an den Börsen hatte man auf eine Aussicht auf ein Ende der Zinserhöhungen gehofft. Die erwartungsgemäß ausgefallenen Zinserhöhungen der EZB und der Bank of England ließen Anleger die Flucht ergreifen. Der Deutsche Aktienindex fiel nach dem Entscheid der Europäischen Zentralbank auf das niedrigste Niveau seit fast einem Monat und büßte mehr als zwei Prozent ein.

Von Anlegern kritisch gesehen wurde auch die Aussage, dass die EZB ihre Anleihenbestände von März an schrittweise zurückfahren will. Marktbeobachter Thomas Altmann von QC Partners schrieb dazu: "Indem die EZB die Rückzahlungsbeträge aus fälligen Anleihen nicht vollständig reinvestiert, wird sie dem Markt Liquidität entziehen."