Porsche Rennwagen vor der Frankfurter Börse | picture alliance/dpa

Finanzplatz Frankfurt Die Flucht aus dem DAX

Stand: 29.12.2022 08:46 Uhr

Deutsche Unternehmen machen zunehmend einen Bogen um die Frankfurter Börse und gehen direkt an die Wall Street. Der Finanzplatz verliert gerade für junge Firmen an Bedeutung. Doch es gibt Ausnahmen.

Von Bianca von der Au, ARD-Börsenstudio.

Man muss in der Liste der wertvollsten Unternehmen der Welt lange herunter scrollen bis endlich ein deutsches Unternehmen auftaucht: Kurz hinter Walt Disney, auf Platz 57, erscheint der Industriegase-Hersteller Linde. Es ist das nach Marktkapitalisierung wertvollste Unternehmen im DAX - das aber bald den deutschen Leitindex verlassen will.

Die Ankündigung von Linde, den deutschen Leitindex zu verlassen, ist keine Überraschung für Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. Seit der Fusion mit dem amerikanischen Konkurrenten Praxair 2018 habe sich das schon angekündigt: "Praxair hat da immer das Sagen gehabt, Praxair hat die Richtung angegeben. Und Praxair ist ein US-amerikanisches Unternehmen. Deshalb war für mich klar, dass das ein nächster Schritt sein wird."

Börsengang in den USA

Linde erhofft sich an der Wall Street eine bessere Kursentwicklung. Das passt ins Bild, denn der US-Aktienmarkt ist schlicht attraktiver, sagt Hendrik Leber, Gründer und Geschäftsführer der privaten Vermögensverwaltung Acatis: "Das liegt an den Anlegern in Deutschland. Die deutschen Anleger haben einfach Angst vor allem, was hin und her wackelt und Börsenkurse wackeln. Und es fehlt im Grunde in Deutschland die Anlegerkultur, die Aktien, auch junge Aktien versteht."

BioNTech direkt an die Wall Street

Beispiel BioNTech. Das Mainzer Biotech-Unternehmen hat für seinen Börsengang im Oktober 2019 einen Bogen um Frankfurt gemacht und direkt die Wall Street gewählt. Das hat Folgen: Der Finanzplatz in Frankfurt am Main verliert an Gewicht, sogar innerhalb Europas.

In Europa lieferten sich zuletzt die Börsen in London und Paris ein Kopf-an-Kopf-Rennen um den wertvollsten Börsenplatz. Frankfurt blieb abgeschlagen auf Platz drei.

"Die sind uralt"

Nach Ansicht von Vermögensverwalter Leber fehlt dem deutschen Aktienmarkt eine echte Risikokapital-Szene, also Kapitalgeber, aber auch Managerinnen und Manager, die ein Unternehmen zur Börsenreife hochfahren können. "Und dann die DAX-Firmen: Da ist kaum ein Unternehmen jünger als 100 Jahre alt. Die sind uralt."

Doch da werde nicht das Geld der Zukunft verdient, so Leber: "Das wird nicht in der Stahlproduktion oder bei den Banken verdient, das wird im Internet verdient. Die Geldquellen der Zukunft, die Ertragsquellen der Zukunft sind im DAX fast nicht zu finden."

51 Milliarden Euro Dividende

Dafür aber solide Renditebringer. Für dieses Jahr wollen die 40 DAX-Konzerne trotz Krisen eine Rekorddividende von 51 Milliarden Euro ausschütten. Doch das Geld fließt größtenteils ins Ausland, denn mehr als die Hälfte der Konzerne gehört mehrheitlich ausländischen Investoren.

Aus Sicht von Aktionärsschützerin Daniela Bergdolt liegt es auch an der fehlenden Aktienkultur in Deutschland: "Wir müssen die Aktien fördern, wir müssen für die Aktie interessiert werden. Es muss eine steuerliche Erleichterung geben, damit jeder, so wie in den USA, in Aktien investiert."

Porsche-Börsengang macht Hoffnung

Allerdings war dieses Jahr wegen der Zinswende der Notenbanken generell ein schwieriges Jahr für Aktien und auch für Börsengänge. In Deutschland sind 2022 so wenige Unternehmen an die Börse gegangen wie zuletzt während der Finanzkrise 2009.

Eine große Ausnahme war der milliardenschwere Porsche-Börsengang - immerhin der größte Börsengang Europas. So unattraktiv ist der Finanzplatz Frankfurt offenbar doch nicht.