Verlauf des Leitindex DAX auf einer Kurstafel der Frankfurter Wertpapierbörse
Interview

Nach DAX-Kurseinbruch "Märkte müssen sich noch austoben"

Stand: 25.01.2022 15:27 Uhr

Der DAX hat binnen drei Wochen mehr als 1200 Punkte verloren. Kapitalmarktstratege Robert Halver sieht dahinter eine "neue Sachlichkeit" bei der Bewertung von Firmen. Hauptproblem sei aber die Unsicherheit wegen Konjunktur-, Kriegs- und Zinsängsten.

Zuletzt ist die Börse vor allem durch Verluste aufgefallen. Werden hier nur Übertreibungen korrigiert, oder stehen die Märkte an einem Wendepunkt? Wir sprachen mit Robert Halver, Kapitalmarktstratege der Baader Bank.

tagesschau.de: Der jüngste Kurseinbruch wird vor allem mit Zinssorgen und der Zuspitzung im Ukraine-Konflikt begründet. Welcher Faktor hat ihrer Ansicht nach schwerer gewogen?

Robert Halver: Geopolitische Krisen wie die in der Ukraine sind für die Märkte schwer zu fassen. Wenigstens kann man noch hoffen, dass die Verantwortlichen klug genug sind, die Lage zu deeskalieren. Viel schwerer wiegt insgesamt die Angst vor der Zinswende. Die expansive Geldpolitik ist seit Ende 2008 der grundsätzliche Treiber für den Aufschwung am Aktienmarkt. Im Umkehrschluss führt das jetzt dazu, dass die Märkte reagieren und zu hohe Bewertungen abrasiert werden.

Robert Halver, Leiter der Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank
Zur Person

Robert Halver ist Leiter der Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank und dort für die Einschätzung der internationalen Finanzmärkte zuständig.

tagesschau.de: Die beste aller Welten für den Aktienmarkt scheint also vorbei. Stehen wir an einem echten Wendepunkt?

Halver: Nein, wichtig ist doch, wie stark die Zinswende ausfällt. Generell kann man weiter von einem sehr moderaten Zinsumfeld ausgehen. Zu starke Zinserhöhungen lässt die Überschuldung der Welt gar nicht zu. Meine Panik hält sich also in Grenzen. Aber wir haben eine "neue Sachlichkeit": Werte ohne echtes Geschäftsmodell haben keine Zukunft mehr. Die Spreu wird vom Weizen getrennt. Die Marktteilnehmer schauen stärker auf die Geschäftsmodelle und wie gut diese mit steigenden Zinsen zurechtkommen. Wir sehen ja schon eine Branchenrotation in stärker konjunktursensible Aktien, also Zykliker wie Maschinenbauer, Autobauer oder Chemie. Die Einbahnstraße in Richtung High Tech besteht so nicht mehr, sie ist breiter geworden.

tagesschau.de: Welche Rolle spielt noch Corona? Ist Omikron an den Märkten eingepreist, oder rechnen Sie hier noch mit Belastungen?

Halver: Derzeit können wir ja zuversichtlich sein, dass die Politik Omikron im Jahresverlauf in den Griff kriegt und die Konjunktur sich wieder freischwimmen kann. Was mögliche neue Varianten angeht, lässt sich natürlich keine Prognose machen. Wir können ja nur mit dem arbeiten, was wir vorfinden.

tagesschau.de: War das also vielleicht schon der klassische Ausverkauf, dem eine Kurserholung folgt, oder müssen wir uns auf weitere Turbulenzen einstellen?

Halver: Noch haben wir ja keine Klarheit, wie sich das Trio infernale aus Konjunktur-, Kriegs- und Zinsangst weiterentwickelt. Das Problem ist derzeit vor allem die hohe Unsicherheit. Die Märkte müssen sich also erst noch austoben. Wenn sie einen klaren Fahrplan haben, etwa zum Zinspfad der US-Notenbank Fed, können sie damit gut leben.

Das Gespräch führte Detlev Landmesser, tagesschau.de.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 25. Januar 2022 um 09:00 Uhr.