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Argentinien Kryptogeld als Flucht aus der Inflation

Stand: 09.11.2021 08:14 Uhr

Immer mehr Argentinier legen ihre Ersparnisse in Kryptowährungen an oder schürfen digitales Geld. Denn die Landeswährung Peso verliert massiv an Wert. Die Risiken des virtuellen Gelds schrecken kaum jemanden ab.

Mit geübtem Griff treibt Valeria Frias eine winzige Schraube in eine Platine. Neben ihr rattern die Propeller Dutzender Lüfter, die die Temperatur von Valerias Computern herunterkühlen. Hier, in ihrem Keller mitten in der Millionenmetropole Buenos Aires, werkelt die 52-jährige alleinerziehende Mutter seit zwei Jahren, um für sich einen Ausweg aus der seit Jahren schwelenden Wirtschaftskrise Argentiniens zu finden.

Schürfen als Weg aus der Not

Valeria schürft hier aus der Not heraus digitale Kryptowährungen. Immer, wenn ihre Computer es schaffen, komplizierte algorhythmische Rechenaufgaben zu lösen, erhält Valeria die digitale Währung Ether. Dafür arbeiten die Computer rund um die Uhr. "Wenn ich Ersatzteile kaufe, sind da meist nur Männer in den Geschäften. Die schauen mich als Frau dann skeptisch an", sagt Valeria mit einem Schmunzeln.

Angefangen hatte sie vor zwei Jahren. Damals ließ sie sich von ihrem Mann scheiden, der ihr und den beiden gemeinsamen Kindern keinen Unterhalt zahlen wollte. Kurz darauf begann die Pandemie. Valeria, die am Flughafen von Buenos Aires arbeitet, wurde auf Kurzarbeit gesetzt. Plötzlich bekam sie Angst, nicht mehr für ihre Kinder sorgen zu können. "Ich habe mich dann über Kryptowährungen informiert und all meine Ersparnisse in diese Computer investiert. Anfangs hatte ich Angst, mein Geld schlecht angelegt zu haben. Doch mittlerweile kann ich als Frau mit Kryptowährungen ein eigenes Einkommen generieren."

Inflation frisst Einkommen

So wie Valeria schürfen immer mehr Argentinier digitale Währungen. Denn sie spüren tagtäglich, wie der argentinische Peso rasant an Wert verliert - zuletzt knapp 50 Prozent pro Jahr. Die Inflation ist hoch, doch die Gehälter steigen nur langsam. Deshalb sinkt mit jedem Tag die Kaufkraft der meisten argentinischen Angestellten und Beamten. Also investieren auch immer mehr Normalbürger in Digitalwährungen wie Bitcoin oder Ether. Diese haben zuletzt erheblich an Wert gewonnen.

Diesen Boom nutzt auch der Immobilienmakler Sebastián Celery. Er verkauft mittlerweile Stadt-Appartements in Bitcoin. Bislang veräußerten die Einwohner von Buenos Aires ihr Eigentum meist in US-Dollar. Doch seit der Pandemie boomen die Immobiliengeschäfte mit Digitalwährungen. In seinem Büro hat er zwei Bildschirme vor sich: Auf einem verläuft der Bitcoin-Kurs als ansteigende Kurve; auf dem anderen inseriert er neue Objekte. An diesem Tag kostet eine 45-Quadratmeter-Wohnung 72.000 US-Dollar oder etwas mehr als ein Bitcoin.

"In ganz Südamerika leiden wir seit Jahren unter hohen Inflationsraten", sagt Celery. "Deshalb nutzen viele Argentinier Kryptowährungen, um Inflationsverluste zu vermeiden." Vor einigen Monaten hatte der Makler für einen Kunden ein Weingut in Bitcoin verkauft. Kurz darauf war der Bitcoin-Kurs angestiegen, wodurch der Kunde bis heute 40 Prozent Gewinn gemacht habe. "Wer seine Immobilien in Bitcoin verkauft, wettet auf eine positive Entwicklung dieser Kryptowährung."

Rechtliche Grauzone

Wer seine Bitcoins in offizielle Währungen umtauschen will, kann dies in den "cuevas" tun. Das sind illegale Wechselstuben, die es seit Jahren überall in Buenos Aires gibt. Bei dieser Art Immobiliengeschäfte bleiben Banken und auch der Staat außen vor. Bislang ist niemand dazu verpflichtet, seine Bitcoin-Gewinne dem Staat zu melden, denn es handelt sich formal um einen digitalen Vermögenswert. Keine Behörde kontrolliere dies, sagt Celery.

Gleichzeitig profitieren Bitcoin-Schürfer wie Valeria Frias von staatlichen Subventionen. Denn die Politik hält die Strompreise in Städten wie Buenos Aires bewusst niedrig. Dadurch können Argentinier mit ihren Rechnern deutlich günstiger Kryptowährungen schürfen als beispielsweise ihre Nachbarn in Brasilien.

Aktivistin für Digitalwährungen

Immer mehr Menschen im wirtschaftlich arg gebeutelten Buenos Aires steigen deshalb um auf diese lukrative Einnahmequelle, die Valeria vor allem für Frauen attraktiv machen will. Sie ist mittlerweile die bekannteste weibliche Schürferin des Landes und zu einer Art Aktivistin für Digitalwährungen aufgestiegen. Ihre Anfangsinvestition von 25.000 US-Dollar hatte sie bereits nach einem Jahr wieder reingeholt. Und durch das Schürfen erwirtschaftet sie ein festes monatlichen Zusatzeinkommen.

Das hat auch ihrer familiären Situation gutgetan. "Meine Kinder schauen mich heute voller Bewunderung an. Früher war das anders. Damals war ich die Mutter, die von nichts eine Ahnung hat. Heute dagegen sind sie stolz auf mich", sagt Valeria. Mittlerweile hat sie ihre gesamte Familie mit dem Krypto-Fieber angesteckt. Ihre Schwester und ihre Eltern schürfen ebenfalls und profitieren - zumindest bislang - vom Boom der digitalen Währungen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR-Aktuell am 09. November 2021 um 10:50 Uhr.