Blick auf das Heizkraftwerk auf Erdgasbasis in Lichterfelde.
Hintergrund

Energiekrise Wie teuer Heizen mit Fernwärme wird

Stand: 31.08.2022 14:33 Uhr

Millionen Haushalte in Deutschland nutzen für Heizung oder Warmwasser Energie aus Fernwärme-Leitungen. Auch für sie steigen die Kosten enorm. Aber es gibt große regionale Unterschiede.

Von Notker Blechner, tagesschau.de

In München ist die Aufregung groß. Für die zahlreichen Fernwärmekunden haben sich die Preise binnen eines Jahres mehr als verdoppelt. Laut den Stadtwerken München (SWM) lag der Anstieg im zweiten Quartal bei 116 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. In der bayerischen Landeshauptstadt kostet Fernwärme besonders viel. In München liegt der Preis aktuell bei 154 Euro pro Megawattstunde, in den Vororten Unterhaiching oder Unterföhring beträgt er nur etwa die Hälfte.

In anderen Städten sind die Preise weniger stark gestiegen als in München. In Berlin zum Beispiel verlangte der Versorger Vattenfall in der ersten Jahreshälfte 50 Prozent mehr Geld von seinen Fernwärme-Kunden.

Welle von Preiserhöhungen ab Herbst

Doch in den kommenden Monaten droht bundesweit eine noch stärkere Teuerungswelle. Ab Herbst stehen weitere Preissprünge an. Mehrere Versorger haben angekündigt, ihre Tarife zu erhöhen. So wird die Kölner Rhein-Energie ab Oktober die Fernwärme-Preise um 67 Prozent anheben. In Norddeutschland kündigten die städtischen Hamburger Energiewerke einen Anstieg der Preise um mindestens 60 Prozent an.

Deutlich teurer wird es auch für die Fernwärme-Kunden der Frankfurter Mainova. Einer Beispielrechnung zufolge müssen Haushalte mit einem Wärmeverbrauch von 12.000 Kilowattstunden und einer angeschlossenen Leistung von zehn Kilowatt vom 1. Oktober an monatlich rund 112 Euro mehr zahlen.

"Aktuell steigen die Fernwärme-Preise, aber nicht in so hohem Maße wie Gas", sagt John Miller, Vize-Geschäftsführer des Energieeffizienzverbands AGFW, dem Sprachrohr der Fernwärme-Versorger. Pauschale Aussagen zur Entwicklung seien nicht möglich. Der Preis, den die Verbraucher zahlen müssen, hänge wesentlich vom Erzeuger und vom Fernwärmesystem der Stadt ab, erklärt er gegenüber tagesschau.de.

Besonders in Ostdeutschland verbreitet

Mehr als fünf Millionen Haushalte nutzen zum Heizen Fernwärme. Laut der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen lebten im vergangenen Jahr gut 14 Prozent der Deutschen in einer Wohnung mit dieser Art der Heizung. Besonders verbreitet ist sie in den ostdeutschen Bundesländern. In Zwickau zum Beispiel hängt die Hälfte aller Haushalte an der Fernwärme. Auch in manchen westdeutschen Großstädten spielt die Energieform eine wichtige Rolle. In München hat fast ein Drittel der Bevölkerung einen Fernwärme-Anschluss. Ähnlich ist der Anteil in Hamburg, wo knapp 290.000 Wohnungen damit versorgt werden.

Besonders stark gestiegen sind die Preise in Gebieten, in denen die Fernwärme vorwiegend aus Erdgas produziert wird. Im ersten Halbjahr lag der Gas-Anteil durchschnittlich bei 57 Prozent, heißt es vom Branchenverband. "Es gibt Stadtwerke, die null Prozent Gas verbrauchen, aber auch sehr viele, die bis zu 100 Prozent Gas einsetzen und dies kurz- bis mittelfristig nicht ändern können", so AGFW-Vize-Geschäftsführer Miller.

Anteil regenerativer Quellen steigt

Die Preisanstiege träfen vor allem ostdeutsche Mieter, weil gasbasierte Fernwärme in ostdeutschen Siedlungen stark verbreitet seien, warnt der Verband Sächsischer Wohnungsgenossenschaften. Freiberg und die sächsische Landeshauptstadt Dresden erzeugen ihre Fernwärme ausschließlich mit Erdgas. Städte wie Chemnitz und Leipzig dagegen beziehen ihre Fernwärme größtenteils aus benachbarten Braunkohlekraftwerken.

Das soll sich bald ändern. Viele ostdeutsche Stadtwerke wollen unabhängiger von Kohle werden und auf Holz- und Müllverbrennung sowie langfristig auf Wasserstoff umsteigen. Der Anteil erneuerbarer Energien an der Fernwärme steigt kontinuierlich. 2021 kamen bereits 18 Prozent der in Deutschland erzeugten Fernwärme aus regenerativen Quellen, heißt es vom Bundeswirtschaftsministerium.

Eine ähnlich wichtige Rolle spielen die Müllheizkraftwerke. Nach Angaben des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft BDEW stammen derzeit 17 Prozent der Fernwärme aus der Müllverbrennung. Hier stiegen die Preise weniger stark.

Wie der Preis für Fernwärme entsteht

Der Fernwärmepreis setzt sich aus dem Grund- und dem Arbeitspreis pro Fernwärme-Kilowattstunde zusammen. Beim Arbeitspreis sind zwischen April 2021 und 2022 die Kosten um 30 Prozent gestiegen, erklärt der Verband AGFW. Bei Stadtwerken, die überwiegend Wärme aus Gas erzeugen, lag der Anstieg bei 37 Prozent. Bei großen Versorgern machen die Gaskosten gut drei Viertel des Arbeitspreises aus, der Rest entfällt auf Betriebs- und Investitionskosten. Für die Berechnung des Fernwärme-Preises ist der aktuelle Marktpreis für Gas maßgeblich. Daher ändern sich die Preise monatlich.

Dementsprechend dürfte Fernwärme bald deutlich teurer werden. Der Verband AGFW hat vereinzelt schon im April extreme Preise wie über 200 Euro pro MWh für den Arbeitspreis und auch für den Mischpreis festgestellt. "Es ist absehbar, dass wir deutlich mehr Preise in dieser Größenordnung im Herbst sehen werden", sagt Vizegeschäftsführer Miller. Versorger passen ihre Preise in unterschiedlichen Zyklen an - monatlich, quartalsweise, halbjährlich und jährlich.

Wird auch die Gasumlage fällig?

Dabei galt Fernwärme lange Zeit als eine der kostengünstigsten und ressourcenschonendsten Energieformen. Das System versorgt viele Menschen von einem einzigen Kraftwerk aus über relativ wenige Leitungen. Das ist vor allem in Großstädten oder dicht bevölkerten Stadtteilen ein Vorteil.

Noch unklar ist, ob und wie stark die Gasumlage die Fernwärme-Nutzer trifft. Das Bundeswirtschaftsministerium prüft derzeit, in welchem Maße die Umlage auf Fernwärme-Kunden umgelegt werden kann. Es könnten deutschlandweit viele Stadtwerke in Liquiditätsengpässe kommen, weil sie die Gasumlage zahlen müssen, diese aber nicht weitergeben können, warnt der Verband AGFW.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 02. August 2022 um 15:30 Uhr.