Kolumne Euroschau Draghis Tanz auf dünnem Eis

Stand: 03.07.2013 14:36 Uhr

Nicht nur mit Bundesbank-Chef Weidmann liegt EZB-Präsident Draghi über Kreuz. Auch im eigenen Haus gibt es Zweifel an seinem Vorgehen in der Eurokrise. Dabei wäre Schlagkraft gefragt. Denn in Italien droht ein weiteres Fiasko.

Von Von Klaus-Rainer Jackisch, HR

Eigentlich sollte es ein netter Abend werden. So wie man sich das in Notenbank-Kreisen gerne gönnt: Gutes Essen von üppiger Speisekarte, guter Schluck aus vollen Gläsern und gute Gespräche mit netten Kollegen. Doch an diesem Abend lag Spannung in der Luft. Schließlich platzte EZB-Präsident Mario Draghi der Kragen. In ungewöhnlicher Schärfe ging er Bundesbank-Chef Jens Weidmann an. Vor versammeltem Kollegium las er ihm die Leviten: Ständige Kritik aus der Bundesbank untergrabe die Wirksamkeit der EZB. Damit müsse endlich Schluss sein.

Das Verhältnis zwischen Draghi und Weidmann ist spürbar zerrüttet - auch wenn beide Häuser gern das Gegenteil behaupten. In der zentralen Frage, ob der unbegrenzte Kauf von Staatsanleihen erlaubt ist, trennen Bundesbank und EZB Welten. Das machten die Verhandlungen vor dem Bundesverfassungsgericht deutlich. Draghi ließ sich dort gar nicht erst blicken. Sein Direktor Jörg Asmussen machte nicht die beste Figur. Die Richter in roter Robe nahmen die EZB-Politik eiskalt auseinander. Aus dem Diskussionsverlauf lässt sich viel ablesen: Offenbar haben sie ernsthafte Zweifel, ob der Kauf von Staatsanleihen rechtmäßig ist. Ein Urteil, dass die Währungsunion sprengt, ist unwahrscheinlich. Aber bei einem bloßen Fingerzeig werden es die Richter wohl nicht bewenden lassen.

Nervöser Blick nach Italien

Mario Draghi macht das nervös. Der sonst so kühl und abgebrüht wirkende Notenbanker wirkt bei seinen jüngsten öffentlichen Auftritten angespannt und gereizt. Das liegt auch an der sich zuspitzenden Situation in Italien. Dort droht der wackeligen Regierung unter Ministerpräsident Enrico Letta ein Fiasko im Staatshaushalt - ausgelöst durch Geschäfte mit Derivaten in den 90er-Jahren. Die wurden damals gekauft, um das Land fit für den Euro zu machen. Mit Gewinnen aus diesen Geschäften sei angeblich das Haushaltsdefizit unter die Grenze von drei Prozent gedrückt worden. Tatsächlich ist der Rückgang des Defizits innerhalb von vier Jahren von 7,7 Prozent auf 2,7 Prozent in 1998 ungewöhnlich.

Auf der Höhe der Finanzkrise musste der immer noch laufende Derivate-Deal verlängert werden. Dabei bekam Italien sehr schlechte Konditionen. Die fliegen Rom jetzt um die Ohren: Es droht ein Verlust von acht Milliarden Euro. Die Regierung dementiert und weist alle Vorwürfe zurück. Derivate-Spekulationen seien ein normaler Vorgang und hätten nichts mit der Euro-Einführung zu tun. Aber die Finanzmärkte reagierten sofort: Die Zinsen, die Italien für frische Staatsanleihen auf den Tisch legen muss, zogen deutlich an.

Draghi war für Italiens Derivatehandel mit verantwortlich

Pikant ist die Angelegenheit, weil EZB-Chef Draghi damals Generaldirektor im italienischen Finanzministerium war. Damit war er für den Abschluss der Derivate-Geschäfte mitverantwortlich. Frappierend ist die Ähnlichkeit zum Fall Griechenland: Auch Athen wurde mit derartigen Geschäften in den Euroraum katapultiert. Kurz vor dem Beitritt hatte die skandalumwitterte Großbank Goldman Sachs dem schon damals völlig überschuldeten Land so geholfen, sich für den Euro aufzuhübschen. Zu dem Zeitpunkt war Draghi Vizepräsident bei Goldman Sachs in London. Vorwürfe, er sei in die Machenschaften verstrickt gewesen, konnten allerdings nicht belegt werden.

Italiens Defizite waren Europas Politikern bekannt

Dass auch Italien beim Euro-Beitritt getrickst hat, ist Europas Politikern schon seit Langem bekannt. Auf Antrag des "Spiegel" gab die Bundesregierung kürzlich Akten aus der Kohl-Ära frei. Darunter sind Berichte der Deutschen Botschaft in Rom, regierungsinterne Vermerke und handschriftliche Notizen aus Kanzlergesprächen. Die Unterlagen zeigen, dass die Defizite Italiens den Gründungsvätern bekannt waren. Eine interne Einschätzung von 1998 des damaligen Staatssekretärs im Bundesfinanzministerium und späteren Chefvolkswirts der EZB, Jürgen Stark, war deutlich: Die "Dauerhaftigkeit solider öffentlicher Finanzen" in Italien sei "noch nicht gewährleistet".

Eigentlich hätte Italien genauso wenig wie später Griechenland der Eurozone beitreten dürfen. Doch Staatsräson war stärker als ökonomische Vernunft. Schließlich stand die Kohl-Regierung Frankreich gegenüber in der Pflicht, die Eurozone als Preis für die Deutsche Einheit schnell und umfassend umzusetzen. Ohne die drittgrößte Wirtschaftsnation des Euroraumes wäre das schwer denkbar gewesen.

Nichts gelernt

Gelernt hat man aus alledem nichts: Auch der jetzt beschlossene Beitritt Lettlands zum Eurozonen-Club ist höchst problematisch. Kritiker fürchten bereits ein zweites Zypern. Zwar gelang es auch Lettland, mit Ach und Krach die Maastricht-Kriterien zu erfüllen. Doch sogar die EZB warnt: Die Konvergenz werde nicht lange halten.

Für Draghi wird das Eis, auf dem er tanzt, immer dünner. Die Kritiker im eigenen Haus werden lauter - sowohl im EZB-Rat als auch im Direktorium. Die Schlagkraft ihrer Argumente bekommt juristische und historische Rückendeckung. Die Finanzmärkte verhalten sich noch einigermaßen ruhig - doch niemand weiß, wie lange.

Draghi sieht EU-Staaten in der Pflicht

Faktisch fühlt sich Draghi verraten und verkauft. Vor knapp einem Jahr beruhigte er die Eurokrise mit seiner Ankündigung, im Notfall unbegrenzt Staatsanleihen zu kaufen. Viel getan haben die Staats- und Regierungschefs seitdem nicht. Maßnahmen zur politischen Integration in der EU gibt es kaum. Einzige Ausnahme ist die Bankenunion. Die aber ist eher ein Seitenaspekt des Problems. Gebetsmühlenartig wiederholt Draghi deshalb, die EZB sei am Ende ihrer Möglichkeiten. Die Politik müsse endlich handeln. Die ist allerdings in Sommer-Trägheit: Auf der jüngsten Sitzung der Staats- und Regierungschefs in Brüssel wurden Beschlüsse zur weiteren Vertiefung der Union wieder mal vertagt.

Klaus-Rainer Jackisch schreibt bei tagesschau.de regelmäßig seine Kolumne Euroschau, in der er einen Blick auf die monatliche EZB-Ratssitzung wirft.