EU-Sondergipfel zur Finanzplanung von 2014 bis 2020 Der Streit um 1.000.000.000.000 Euro

Stand: 23.11.2012 17:03 Uhr

Beim EU-Sondergipfel in Brüssel wollten sich die Mitgliedsstaaten auf die Haushaltplanung von 2014 bis 2020 einigen. Es geht um rund eine Billion Euro. Darüber gibt es nicht nur Streit unter den Ländern, sondern auch mit dem EU-Parlament und Kommission. Alle Mitgliedsstaaten müssten einen Kompromiss tragen. Die Verhandlungen wurden ergebnislos auf Anfang nächsten Jahres vertagt. tagesschau.de erläutert, wer welche Bedenken hat und wie es nun weitergeht.

Von Julia Kuttner, tagesschau.de

Wie wird der Haushalt der EU geplant?

Die EU hat für jedes Jahr einen Haushalt. Über diesen wird jährlich neu verhandelt - und erbittert gestritten. Mitte November waren die Verhandlungen über den Haushalt für 2013 gescheitert.

Beim Sondergipfel in Brüssel geht es nun um den mehrjährigen Finanzrahmen. Dieser mittelfristige Ausgabenplan legt die Obergrenzen für die Ausgaben der EU in den nächsten sieben Jahren fest. Es geht konkret um die Jahre 2014 bis 2020.

Um welche Summe geht es?

Die EU-Kommission hält Ausgaben von bis zu 1,091 Billionen Euro für nötig. Diese Zahl hat EU-Ratspräsident Herman van Rompuy nach Protesten vieler Mitgliedsstaaten auf 1,010 Billionen Euro nach unten korrigiert. Einige EU-Staaten finden diese Kürzungen nicht weitreichend genug, andere Staaten sagen, die Streichungen wären zu weitgehend. Die vorgeschlagenen Summen sind höher als in der jetzt auslaufenden Finanzperiode.

Van Rompuy hatte zwar vor dem Sondergipfel angekündigt, die Summe nochmals zu korrigieren. Allerdings sieht der nun vorgelegte Kompromissvorschlag im wesentlichen Verschiebungen, aber fast keine Veränderungen des Gesamtumfangs der EU-Ausgaben vor. So schichtete Van Rompuy bei den Ausgabenposten um: So sollen bei den Ausgaben für Forschung sowie Energie- und Verkehrsprojekte rund 13 Milliarden Euro weniger ausgegeben werden. Dagegen sollen die Hilfen für ärmere Regionen um gut zehn Milliarden steigen, die Zahlungen für die Landwirtschaft um rund acht Milliarden Euro.

Wofür soll das Geld ausgegeben werden?

1. Größter Ausgabenblock ist der Bereich "Nachhaltiges Wachstum", zu dem auch die Kohäsionspolitik, also die Umverteilung zwischen reicheren und ärmeren Regionen in der EU, gehört. Hierbei handelt es sich um Brüsseler Fonds, mit denen strukturschwache Regionen im Osten und Süden des Kontinents gefördert werden. Van Rompuy schlägt eine Obergrenze von 462 Milliarden Euro vor. Dies würde 45,7 Prozent der Gesamtsumme bedeuten.

Davon könnten 152 Milliarden für Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum ausgegeben werden. 309 Milliarden Euro würden in verschiedene Kohäsionsfonds fließen. Van Rompuy schlug beim Sondergipfel in Brüssel vor, diese Hilfen um gut zehn Milliarden zu steigern.

2. Die Agrarpolitik ist der zweitgrößte Ausgabenblock. Die von Van Rompuy vorgeschlagenen Ausgaben liegen bei 364 Milliarden Euro. Das wären 36 Prozent des Gesamtbetrages. Davon sind 269,8 Milliarden als Direktzahlungen an Landwirte und Marktausgaben vorgesehen. Van Rompuys neuer beim Sondergipfel vorgeschlagener Kompromiss beträgt rund acht Milliarden mehr.

3. Vergleichsweise bescheiden sind die übrigen Ausgaben-Blöcke: Für den Bereich Unionsbürgerschaft, Freiheit, Sicherheit und Recht schlägt der EU-Ratspräsident 18,3 Milliarden Euro vor. Die EU in der Welt, wozu die Außenpolitik und vor allem die Politik im Osten und Süden der EU gehört, ist mit 65,7 Milliarden Euro veranschlagt. Die Verwaltungsausgaben sollen in der Summe 62,6 Milliarden Euro betragen.

Woher kommt das Geld?

Der Topf wird zum einen aus einem festgesetzten Anteil der Mehrwertsteuereinnahmen der EU-Staaten gespeist. Hinzu kommen Zölle, die von der EU auf Warenimporte erhoben werden, sowie Strafzahlungen von Firmen, die gegen EU-Recht verstoßen haben. Aber zum größten Teil muss die Summe von den EU-Ländern aufgebracht werden. Die Zahlungen der Mitgliedstaaten machen mehr als drei Viertel des Budgets aus.

Doch wer muss wieviel zahlen? Genau darüber gibt es regelmäßig Streit. Denn Länder wie Deutschland, Italien, Frankreich, die Niederlande und Großbritannien zahlen deutlich mehr ein, als sie aus der EU-Kasse zurückbekommen.

Wer sind die größten Nettozahler, wer sind die größten Nettoempfänger?

Deutschland ist der größte Nettozahler. Dahinter folgen Frankreich, Italien, Großbritannien und die Niederlande. Allerdings ist das Modell der reinen Nettobetrachtung als zu einseitig umstritten. So profitiert die deutsche Wirtschaft überproportional von einem gemeinsamen EU-Wirtschaftsraum.

Polen, Griechenland, Ungarn, Spanien und Portugal sind die größten Nettoempfänger.

Woran scheiterten die Verhandlungen vorerst?

Der EU-Haushalt funktioniert wie eine riesige Umverteilungsmaschine. Rund 80 Prozent des Geldes, das Brüssel erhält, fließt in die Mitgliedsstaaten zurück. Der Streit über die Verteilung von Lasten und Nutzen ist also programmiert. Vereinfacht gesagt sind es vier Gruppen, die sich gegenüber stehen: die Netto-Zahler, die Nehmer-Länder sowie das EU-Parlament und die Kommission.

Deutschland und den anderen Nettozahlerstaaten sind die Streichungen von Van Rompuy am ursprünglichen Entwurf der Kommission nicht genug. Der Vorschlag weise "absolut noch Kürzungspotenzial" auf, wie es Außenstaatsminister Michael Link formulierte - etwa durch gezieltere Verteilung des Geldes. Der Kommissionsvorschlag sollte nach Wunsch der Nettozahler auf höchstens 990 Milliarden Euro reduziert werden. Ihrer Ansicht nach sollten die EU-Ausgaben nicht höher als 1,0 Prozent des Bruttonationaleinkommens der EU sein. Van Rompuys Vorschlag liegt bei 1,01 Prozent.

Vor allem Großbritannien machte in den vergangenen Wochen Druck. Premier David Cameron drängte auf ein möglichst kleines EU-Budget. Mehrfach drohte er sogar mit einem Veto gegen den EU-Haushalt. Doch zuletzt zeigte er sich kompromissbereit.

Die Empfängerländer pochen hingegen auf deutlich mehr EU-Mittel und wissen dabei sowohl die Kommission als auch das Parlament hinter sich. Eine Gruppe von 14 Staaten ist der Ansicht, dass die von Van Rompuy vorgeschlagenen Kürzungen der Strukturfonds zu weit gehen. Mit diesen Fonds wird Geld von den reichen in die ärmeren Staaten transferiert, um den Lebensstandard anzuheben. Gegen die Kürzungen sind Bulgarien, Estland, Griechenland, Italien, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Portugal, die Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien und Ungarn. Die EU-Kommission hält Ausgaben von bis zu 1091 Milliarden Euro für nötig, um ausreichend agieren zu können.

Grundsätzlich droht ein Scheitern der Verhandlungen auch durch das EU-Parlament. Das Parlament sei bereit, einen Kompromiss zu blockieren, der ihm nicht passe, sagte der Vorsitzende der liberalen Fraktion, der ehemalige belgische Regierungschef Guy Verhofstadt. "Wenn der Rat uns keinen geeigneten Vorschlag präsentiert, sagen wir Nein", warnte auch die Haushaltsexpertin der Grünen, die deutsche Helga Trüpel. Das Europaparlament hat bei der Verabschiedung des EU-Haushalts ein Mitentscheidungsrecht.

Was sorgt zusätzlich für Konflikte?

Selbst wenn man sich über die Einzahlung geeinigt haben sollte, werden die 27 EU-Regierungen wegen ihrer gegensätzlichen Interessen auch noch über die Ausgaben streiten.

Eine Gruppe von elf Staaten lehnt zum Beispiel Kürzungen im Landwirtschaftsbereich ab. Dies sind Belgien, Bulgarien, Estland, Frankreich, Italien, Irland, Malta, Österreich, Portugal, Slowenien und Spanien. Innerhalb dieser Gruppe gibt es wiederum unterschiedliche Interessen. Einige der Staaten sind vor allem über die Verringerung der Direktzahlungen an Bauern besorgt (Frankreich, Irland und Spanien), die anderen vor allem über weniger Geld für die Entwicklung des ländlichen Raumes.

Deutschland will beispielsweise ein bisschen von allem - einen nur moderaten Anstieg des Etats, weiter Strukturhilfen für die Ostländer, Agrarsubventionen für Bayern und mehr Ausgaben für Forschung und Entwicklung.

Welche Streitigkeiten gibt es über Rabatte?

Ein weiterer Streitpunkt ist der sogenannte Britenrabatt, dem Deutschland den Kampf angesagt hat. Der Britenrabatt ist eine Sonderregelung für Großbritannien gegenüber den übrigen EU-Mitgliedern und besteht seit 1984. Hintergrund ist, dass damals die britische Agrarindustrie kleiner war als die der anderen Staaten. Somit konnten Großbritannien und Nordirland nicht in gleichem Maß von den Agrarbeihilfen profitieren wie etwa Frankreich. Die Vereinbarung räumt den Briten daher auf ihre Beitragszahlungen einen Rabatt ein.

Dazu wird berechnet, wie viel Großbritannien in die EU-Kasse einzahlt und wie viel davon das Land wieder zurückbekommt. Der Rabatt beträgt 66 Prozent des Nettobeitrags - das Geld müssen die anderen Nettozahler aufbringen. Im vergangenen Jahr sparte Großbritannien so 3,5 Milliarden Euro ein.

Daraus resultieren wiederum Rabatte für andere Länder. Deutschland bekommt zum Beispiel einen Nachlass auf die Mehrkosten, die durch den Briten-Rabatt entstehen. Auch Schweden, die Niederlande und Österreich haben Rabatte ausgehandelt. Dänemarks Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt sagte vor einem Monat, dass ihr Land nicht länger für "die Rabatte anderer reicher Staaten bezahlen" wolle. Ihre Drohung: Erhält Dänemark bei den den Verhandlungen beim Sondergipfel nicht auch einen Rabatt, gibt es ein Veto gegen die Haushaltsplanung.

Wie geht es nach dem abgebrochenen Sondergipfel nun weiter?

Die Entscheidung über den Finanzrahmen wurde vertagt. Wahrscheinlich ist nun ein neuer Sondergipfel im Januar oder Februar kommenden Jahres.

Gelingt bis Ende des kommenden Jahres kein Abschluss der Verhandlungen, gelten die für das Jahr 2013 gültigen Höchstgrenzen plus einem Inflationsausgleich weiter.

Zusätzlich gibt es Gerüchte um einen Haushaltsplan ohne die Zustimmung von Großbritannien: Wie die "Financial Times" berichtete, bereiten EU-Beamte und Diplomaten mehrerer Mitgliedstaaten einen Langfrist-Haushalt unter Ausschluss Londons vor. Es könnte sich um eine Drohgebärde handeln, um die Kompromissbereitschaft der Briten zu stärken, berichtete die Londoner Zeitung.

Die EU müsse sich in diesem Szenario darauf einstellen, keine Sieben-Jahres-Finanzrahmen wie bisher zu haben, sondern jährliche Budgets mit qualifizierter (Zwei-Drittel-)Mehrheit zu beschließen. Dabei könne eine Zustimmung Londons dann umgangen werden. Und das wiederum könnte für Großbritannien dann noch teurer werden als eine Zustimmung zum jetzigen Haushalt. Die Nehmerländer sind dann nämlich bei einer Abstimmung in der Mehrzahl.