EU-Haushalt 2011 Neustart für die Umverteilungsmaschine

Stand: 16.11.2010 09:58 Uhr

Die EU steht für 2011 vorerst ohne Haushalt da. Mitgliedsländer und Europaparlament konnten sich nicht auf einen Kompromiss einigen. Nun muss ein neuer Haushalt erarbeitet werden. tagesschau.de erläutert, wer wieviel zahlt, wer letztlich entscheidet und was die Verhandlungen so schwierig macht.

Was passiert nun nach dem Scheitern der Verhandlungen?

Nach den ergebnislosen Verhandlungen drohen der Union für 2011 erhebliche Probleme bei der Finanzierung. Haushaltskommissar Janusz Lewandowski muss nun einen neuen Budgetvorschlag ausarbeiten. Doch eine Einigung vor Jahresende ist damit kaum noch zu schaffen. Wird diese tatsächlich nicht erreicht, so tritt im kommenden Jahr die sogenannte Zwölftel-Lösung in Kraft. Dann muss der Kommissar 2011 jeden Monat aufs Neue Mittel bei den Mitgliedsstaaten beantragen, auf Grundlage des Etats von 2010. Der neue Diplomatische Dienst und die gerade beschlossene EU-Finanzaufsichtsbehörde wären dann nicht wie geplant zu finanzieren.

Warum waren die Verhandlungen so schwierig?

Der EU-Haushalt funktioniert wie eine riesige Umverteilungsmaschine. Rund 80 Prozent des Geldes, das Brüssel erhält, fließen in die Mitgliedsstaaten zurück. Aber bei der jeweiligen Gewichtung gibt es erhebliche Unterschiede. Länder wie Deutschland, Italien, Frankreich, die Niederlande und Großbritannien zahlen deutlich mehr ein, als sie aus der EU-Kasse zurückbekommen. Hinzu kommen die Befürchtungen, dass durch die Stützung finanziell angeschlagener Staaten wie Griechenland oder Irland weitere Kosten auf die Europäische Union zukommen könnten. Zudem sitzen in diesem Jahr erstmals 27 Parteien am Verhandlungstisch: Mit Rumänien und Bulgarien sind zwei Länder hinzugekommen, die auf besonders hohe Subventionen hoffen.

Wer zahlt am meisten?

Der deutsche Nettobeitrag zum Haushalt der Europäischen Union ist im vergangenen Jahr trotz der Wirtschaftskrise erneut um rund 0,3 Milliarden Euro gestiegen. 2009 überwies Deutschland rund 8,1 Milliarden Euro mehr nach Brüssel, als es aus den Töpfen der Europäischen Union erhielt. In der Liste der größten Nettozahler folgen hinter Deutschland Frankreich mit einem Defizit von 4,7 Milliarden Euro und Italien mit einem von 4 Milliarden Euro. Der größte Nettoempfänger war 2009 erstmals Polen, das 6,5 Milliarden Euro mehr aus Brüssel erhielt als es einzahlte.

Wie berechnen sich die einzelnen Beiträge der Mitgliedsstaaten?

Der Löwenanteil der Mittel für den EU-Haushalt stammen aus Beiträgen der Mitgliedsstaaten. Hinzu kommen Einnahmen aus Mehrwertsteuer und Zöllen. Ausschlaggebend für die Höhe der Beiträge ist der mittelfristige Finanzrahmen. Dieser enthält Obergrenzen für die jährlichen Gesamthaushalte der EU und für die einzelnen großen Ausgabenposten wie die Agrar- und die Kohäsionspolitik. Letztere hat zum Ziel, dass regionale Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten abgefedert werden und so der Zusammenhalt innerhalb der Union gefördert wird. Anhand des Finanzrahmens berechnen sich dann die Beiträge der einzelnen Mitgliedsstaaten nach deren jeweiliger Wirtschaftskraft (Bruttonationaleinkommen).

Der derzeitige Finanzrahmen läuft von 2007 bis 2013. Die nächste Periode wird von 2014 bis 2020 gehen. Wie bereits in früheren Jahren kommt es nun bei der Festlegung des neuen Finanzrahmens zu einem erbitterten Ringen um Nettobeiträge: Jeder Staat rechnet aus, wie viel Geld er netto in den EU-Haushalt einzahlt oder aus diesem erhält. Während Länder wie Deutschland und die Niederlande stets Netto-Zahler sind, sind vor allem Staaten im Osten und teilweise im Süden Netto-Bezieher. Zusätzlich gibt es ein kompliziertes System von Rabatten, unter anderem für die Briten.

Was ist der so genannte Briten-Rabatt und wie viel macht er aus?

Die Sonderregelung für Großbritannien gegenüber den übrigen EU-Mitgliedern besteht seit 1984. Hintergrund ist, dass damals die britische Agrarindustrie kleiner war als die der anderen Staaten. Somit konnten Großbritannien und Nordirland nicht in gleichem Maß von den Agrarbeihilfen profitieren wie etwa Frankreich. Die Vereinbarung räumt den Briten daher auf ihre Beitragszahlungen einen Rabatt ein.

Dazu wird berechnet, wie viel Großbritannien in die EU-Kasse einzahlt und wie viel davon das Land wieder zurückbekommt. Der Rabatt beträgt 66 Prozent des Nettobeitrags; das Geld müssen die anderen Nettozahler aufbringen. Im vergangenen Jahr schlugen die Vergünstigungen mit rund sechs Milliarden Euro zu Buche.

Was hat sich durch den Vertrag von Lissabon geändert?

Bei den Beiträgen der einzelnen Mitgliedstaaten zum EU-Haushalt ergeben sich durch den Vertrag von Lissabon keine Änderungen. Bei den Haushaltsverfahren kommt es jedoch zu einschneidenden Veränderungen: Durch den Vertrag wird die Rolle der Mitglieder des Parlaments bei den Haushaltsbeschlüssen der EU weiter gestärkt. Sie gewinnen an Einfluss auf alle Arten von Ausgaben.

Die Kommission ist zudem gemäß dem neuen Vertrag nun verpflichtet, einen zusätzlichen Bericht zu veröffentlichen. Dieser soll dokumentieren, welche Anstrengungen bezüglich der Empfehlungen des Europäischen Parlaments unternommen wurden. Dies bedeutet, dass der EU-Haushalt noch stärker ergebnisorientiert wird.

Wie wird der EU-Haushalt beschlossen?

Die Europäische Kommission erstellt den Entwurf für den Haushaltsplan. Grundlage dafür sind der aktuelle mittelfristige Finanzrahmen und die Haushaltsleitlinien für das darauffolgende Jahr (z.B. die jährliche Strategieplanung). Die Haushaltsbehörde, bestehend aus dem Ministerrat (der die Mitgliedsstaaten repräsentiert) und dem Europäischen Parlament, ändert den Entwurf für den Haushaltsplan und stimmt dann darüber ab.

Gelangen Parlament und Rat zu keiner Einigung, wird ein Vermittlungsausschuss einberufen, der innerhalb von 21 Tagen eine Einigung über einen gemeinsamen Entwurf herbeiführen muss. Dieser muss von beiden Teilen der Haushaltsbehörde gebilligt werden. Falls die Unterhändler scheitern - wie nun geschehen - muss die ganze EU-Haushaltsprozedur von vorne starten.

Gibt es neue Vorschläge zur Finanzierung der EU?

Derzeit gibt es bei den Belastungen der Mitgliedsstaaten erhebliche Unterschiede. Neben der jeweiligen Wirtschaftsleistung als Berechnungsgrundlage gelten für einige Länder noch Sonderregelungen. Die daraus entstehenden Mehrkosten werden von den übrigen Mitgliedsstaaten aufgefangen. Deshalb befürchtet die EU-Kommission, dass es bei den Verhandlungen um den nächsten mittelfristigen Finanzplan (2014 bis 2020) erneut zu Verteilungskämpfen kommt.

Zur Entschärfung des Konflikts setzt sich die Kommission für eine neue Form der Finanzierung ein. Die bisherigen Mitgliedsbeiträge der Staaten sollen demnach schrittweise durch eine Abgabe oder Steuer ersetzt werden. Die Vorschläge reichen von einer Besteuerung des Finanzsektors über Erlöse aus der Versteigerung von CO2-Emissionsrechten bis hin zu einer europäischen Luftfahrtgebühr oder Körperschaftssteuer. Eine Reihe von Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland, lehnen sowohl die Idee von europäischen Anleihen wie auch Steuern entschieden ab.

Wie groß ist der EU-Haushalt bislang?

Für den Haushalt 2010 wurden ursprünglich 141,5 Milliarden Euro gebilligt. De facto ausgegeben werden aber rund 122,9 Milliarden Euro. Der Löwenanteil bilden Maßnahmen für Wachstum und Beschäftigung. Diese sollen helfen, die gesamte Europäische Union wieder wettbewerbsfähig zu machen. Der nächste große Posten sind die Agrarsubventionen. Sie schlagen nach wie vor mit über 40 Prozent der Ausgaben zu Buche. Die Verwaltungskosten der Europäischen Union belaufen sich in diesem Jahr auf rund sechs Prozent des Gesamthaushaltes.

Was ist für das kommende Jahr geplant?

Für 2011 hatte die Europäische Kommission im April einen Gesamtetat von 142,6 Milliarden Euro vorgeschlagen. Tatsächlich dürften sich die Ausgaben aber auf voraussichtlich 130,1 Milliarden Euro belaufen. Das entspräche dann einer Ausgabensteigerung von 5,9 Prozent gegenüber 2010. Die Mitgliedsstaaten lehnten das nun angesichts rigider Sparkurse in fast allen Ländern als überzogen ab. Ihr Angebot liegt bei 126,5 Milliarden Euro, das wäre ein Plus von 2,9 Prozent.

Zusammengestellt von Stefan Keilmann, tagesschau.de