Kühltürme eines Atomkraftwerkes stehen hinter Strommasten.

EU-Kompromiss zu Atomkraft Habeck nennt es "Etikettenschwindel"

Stand: 01.01.2022 20:20 Uhr

Viele Anleger wollen in grüne Energien investieren. Kann Atomkraft dazu gezählt werden? Ja, unter Bedingungen, heißt es in einem EU-Entwurf. Klimaschutzminister Habeck hält davon nichts, kann aber wohl wenig ausrichten.

Das Ziel der EU-Kommission ist klar: Europa soll in Sachen Klimaschutz so umgebaut werden, dass auf dem Kontinent bis 2050 netto keine Treibhausgase mehr ausgestoßen werden.

Das Ganze fasst die Brüsseler Behörde unter dem Namen "Green Deal" zusammen - ein Projekt, das viel Geld kostet. Aus öffentlicher und privater Hand sollen die notwendigen Milliarden dafür kommen. Anleger sollen gezielt in grüne Energiequellen investieren - und dafür müssen transparente Richtlinien her.

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Doch welche Energien gelten überhaupt als "grün"? Dazu hat die EU-Kommission nun erste Vorschläge zur sogenannten Taxonomie gemacht und an die Mitgliedsstaaten gesandt. Kernbotschaft: Unter bestimmten Bedingungen sollen Investitionen in Gas- und Atomkraftwerke als klimafreundlich eingestuft werden.

Frankreich könnte profitieren

Konkret sieht der Entwurf vor, dass vor allem in Frankreich geplante Investitionen in neue AKW als grün klassifiziert werden können, wenn die Anlagen neuesten technischen Standards entsprechen und wenn ein konkreter Plan für den Betrieb einer Entsorgungsanlage für hoch radioaktive Abfälle ab spätestens 2050 vorgelegt wird.

Außerdem ist als weitere Bedingung vorgesehen, dass die neuen kerntechnischen Anlagen bis 2045 eine Baugenehmigung erhalten.

Investitionen in neue Gaskraftwerke sollen insbesondere auf Wunsch Deutschlands übergangsweise ebenfalls als grün eingestuft werden können. Dabei soll zum Beispiel relevant sein, welche Mengen an Treibhausgasen ausgestoßen werden. Für Anlagen, die nach dem 31. Dezember 2030 genehmigt werden, wären dem Vorschlag zufolge nur noch bis zu 100 Gramm sogenannte CO2-Äquivalente pro Kilowattstunde Energie erlaubt - gerechnet auf den Lebenszyklus.

Die Vorschläge gelten als klassischer Kompromiss zwischen der Haltung der Franzosen, die auf Atomkraft setzen und deren Vorteile auf dem Weg in Richtung einer CO2-freien Wirtschaft unterstreichen, und der Linie der Deutschen, die bis Ende 2022 den Atomausstieg perfekt machen wollen.

Habeck: "Taxonomie-Entscheidung ist falsch"

Die Bundesregierung stellte unmittelbar nach Bekanntwerden der EU-Pläne klar, dass sie nichts davon hält, Investitionen in Atomkraft als "grün" zu klassifizieren. Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck sagte der ARD, es gehe darum, "einen finanziellen Anlagemarkt zu schaffen und den als grün und nachhaltig zu qualifizieren - und das ist ein Etikettenschwindel". Hier verwies er insbesondere auf den radioaktiven Müll - "und deswegen ist diese Taxonomie-Entscheidung falsch", so der Grünen-Politiker.

Die Bundesregierung wolle sich die Vorschläge nun in Ruhe anschauen, "aber eine Zustimmung kann ich mir nicht vorstellen", so Habeck. Die EU-Mitgliedstaaten haben nun bis 12. Januar Zeit, den Entwurf zu kommentieren. Habeck hofft, dass es noch zu Änderungen kommt, räumt aber ein, dass die EU-Kommission in einer "starken Position" ist.

Der Grund: Der jetzige Plan kann nur verhindert werden, wenn sich mindestens 20 EU-Staaten zusammenschließen, die mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU vertreten, oder mindestens 353 Abgeordnete im EU-Parlament. Dies gilt als unwahrscheinlich, da sich neben Deutschland lediglich Länder wie Österreich, Luxemburg, Dänemark und Portugal klar gegen eine Aufnahme der Atomkraft aussprechen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 01. Januar 2022 um 20:00 Uhr.