Windräder oberhalb der Gemeinde Bell im Hunsrück, Rheinland-Pfalz

Rhein-Hunsrück-Kreis Die Energie-Pioniere vom Mittelrhein

Stand: 06.08.2022 18:58 Uhr

Deutschland will unabhängig werden von Energieimporten aus Russland. Besonders weit gekommen ist dabei schon der Rhein-Hunsrück-Kreis in Rheinland-Pfalz. Die Region gilt bundesweit als Vorbild.

Wer im Landkreis Rhein-Hunsrück in Rheinland-Pfalz unterwegs ist, stößt immer wieder auf ein Werbebanner. Ein Biogasproduzent wirbt mit dem Slogan "Biogas statt Putin-Gas" für sich. "Da sind wir schon relativ weit, auch wenn wir bei unserem Energiebedarf noch nicht ganz auf Erdgas verzichten können", sagt Michael Uhle. Er ist der Klimaschutzmanager des Landkreises. 991 Quadratkilometer, etwa 100.000 Einwohner, hauptsächlich kleine Dörfer und wenig Industrie. Uhle arbeitet daran, den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzubringen. Dabei ist der Landkreis schon weit gekommen: Die Region ist als Energie-Kommune des Jahrzehnts ausgezeichnet worden. "Wir können mehr als die dreifache Menge des Strombedarfs für den Landkreis selber erzeugen - durch Windkraft, Photovoltaik und Biomasse", erzählt Uhle. Den überschüssigen Strom speisen die Anlagen der erneuerbaren Energien im Landkreis ins Verbundnetz für größere Städte wie Trier oder Mainz ein.   

Biomasse aus Gartenabfällen

Alles begann 1995. Damals wurde im Landkreis das erste Windrad aufgestellt. Es gab zunächst Kritik und Zweifel; heute sind es 279 Anlagen. Auch die Photovoltaik wurde massiv ausgebaut. Da Wasserkraft in der Region wenig Sinn ergibt, setzt der Landkreis verstärkt auf Biomasse. "Die Anwohner können ihre Gartenabfälle wie Strauch- oder Baumschnitt zu 130 Sammelplätze bringen. Durch diese Biomasse können wir zum Beispiel 37 kommunale Großgebäude wie Schulen oder Seniorenwohnheime heizen", so Uhle.   

Auch finanziell habe sich die Energiewende für den Landkreis gelohnt. Lange Zeit galt die Region als strukturschwach und verschuldet. Nach Angaben des rheinland-pfälzischen Landkreistages haben die Gemeinden inzwischen nur noch wenige Verbindlichkeiten und verfügen sogar über Rücklagen. "Die Flächen für Windräder sind zu 90 Prozent in kommunalem Besitz. Unsere Gemeinden verpachten die Flächen an Stadtwerke und erzielen so in der Summe 7,8 Millionen Euro Pachteinnahmen im Jahr", erklärt Uhle. Früher habe der ländliche Raum fast nur Lebensmittel für die Metropolen geliefert, jetzt sei auch die Versorgung mit Strom möglich, so Uhle. Das sei für die Zukunft eine riesige wirtschaftliche Chance. Expertenteams aus 54 Nationen waren schon da, um sich vor Ort ein eigenes Bild zu machen.  

Geteiltes Echo in der Region

Trotz großen Interesses: Das Energiemodell stößt auch auf Ablehnung, etwa von der Bürgerinitiative "Soonwald", der ganz in der Nähe liegt. Hier sollen künftig weitere Windkraftanlagen errichtet werden. Ihr Sprecher Georg Kiltz winkt beim Blick auf den Rhein-Hunsrück-Kreis und die dortigen vielen Windräder ab. "Da ist ständig Disco. Die Landschaft ist verspargelt worden." Die Bürgergruppe setzt dagegen auf Photovoltaik und Speichertechnik. Wälder müssten für den Natur- und Klimaschutz sowie als Erholungsgebiete für den Menschen besonders geschützt werden, fordert Kiltz. 

Ein paar Kilometer weiter ist die Stimmung ganz anders. "Wir sind vom Rhein-Hunsrück-Kreis beeindruckt und haben uns auch schon mit Herrn Uhle beraten. Auch die Bürger waren bei einer Versammlung durchaus aufgeschlossen", berichtet Sönke Krützfeld. Er ist erster Beigeordneter von Stadecken-Elsheim - einer Ortschaft in der Nähe von Mainz. Dort sollen bald neue Windkraftanlagen gebaut werden. "Wir gehen da ausgesprochen positiv dran - für mehr Klimaschutz und auch eine unabhängigere Energieversorgung."  

Energiemodell der Zukunft für das ganze Land?

In München sitzt Mathias Mier vor einer Tabelle mit langen Zahlenkolonnen. Er forscht beim Wirtschaftsforschungsinstitut ifo zur Stromerzeugung durch erneuerbare Energien. Kann der Rhein-Hunsrück-Kreis mit seinem Modell ein Vorbild für ganz Deutschland sein? "In ländlichen Kreisen mit viel Platz für Photovoltaik und Windkraftanlagen und wenig Industrie kann das teils gut funktionieren. In größerem Maßstab auch mit industriellen Anlagen wird es aber sehr schnell problematisch", bilanziert Mier.  

So seien Wind- und Sonnenkraft nicht uneingeschränkt verfügbar, da nachts keine Sonne scheint. Zudem gibt es auch immer wieder windstille Wochen im Jahr. Mit Speichern und Biomasse als Ausgleich würden die Energiemengen prinzipiell für eine Industrienation wie Deutschland ausreichen. Allerdings müssten dazu die vorhandenen Flächen extrem intensiv für Biomasse, Photovoltaik und Windkraftanlagen genutzt werden. "Der Strompreis würde sich dann substanziell erhöhen. Ich bezweifle, ob die Gesellschaft all das akzeptieren würde."  

Aber wie sieht aus Sicht von Mier dann die Energieversorgung der Zukunft für das ganze Land aus? Auch er sieht große Chancen in den Erneuerbaren. "Das könnte mit einem Anteil von rund 50 Prozent Windkraft leisten. Der Rest verteilt sich dann auf Sonne, Wasser und zu einem geringen Anteil noch Biomasse und Erdgas. Eine kleine Rolle wird auch Kernkraft aus dem europäischen Verbundnetz spielen. Der Mix macht es", so Mier. Nur so könnten die Nachfragespitzen zu einem gesellschaftlich akzeptablen Preis jederzeit bedient werden. 

"Krieg gegen die Ukraine hat Druck verstärkt"

Michael Uhle dagegen glaubt weiter an eine Energieversorgung ausschließlich aus Erneuerbaren. Im Landkreis will er jetzt vor allem die E-Mobilität vorantreiben, da es sehr viele Pendler gibt. Auch mehr Batteriespeichersysteme sollten gekauft und installiert werden.

"Nachdem wir es bei Strom im Landkreis geschafft haben, stehen wir jetzt vor der Verkehrs- und Wärmewende", sagt der Klimaschutzmanager. "Der Krieg gegen die Ukraine und die Gaspolitik Putins haben den Druck auf uns doch nochmal verstärkt, die Energiewende endlich stärker voranzutreiben - bei uns in der Region und auch in ganz Deutschland." 

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete SWR in der Sendung "natürlich!" am 09. April 2019 um 18:15 Uhr.