Interview

Interview zum nationalen Plan Elektromobilität "Theatralische Inszenierung für kleine Lösung"

Stand: 19.08.2009 14:46 Uhr

Eine Million Elektroautos bis 2020 - der nationale Plan der Bundesregierung klingt ambitioniert und gibt sich ökologisch. Der Greenpeace-Verkehrsexperte Wolfgang Lohbeck kritisiert das Vorhaben als populistisch. Der Plan gehe an den Umwelt- und Energieproblemen vorbei. Zugleich verhindere Berlin eine strenge Abgasnorm.

tagesschau.de: Eine Million Elektroautos bis 2020 – ist das ein realistisches Ziel?

Wolfgang Lohbeck: Zumindest hat man sich auf dieses Ziel politisch verständigt. Die Zahl stammt ursprünglich aus einer Studie des Heidelberger IFEU-Instituts und ich glaube, sie ist realistisch. Aber: Eine Million ist sehr wenig. Es sind rund zwei Prozent des Pkw-Bestandes des Jahres 2020. Wenn man voraussetzt, dass diese Elektroautos nicht die Fahrleistung heutiger Autos haben werden, sondern höchstens die Hälfte, dann bedeutet das: Der Plan deckt gerade mal ein Prozent der Pkw-Fahrleistung ab. 99 Prozent des Problems werden davon nicht angegangen.

Wolfgang Lohbeck
Zur Person

Wolfgang Lohbeck ist Verkehrsexperte bei Greenpeace Deutschland.

tagesschau.de: Ist die Förderung von Elektromobilität denn ökologisch sinnvoll?

Lohbeck: Sicher ist die Förderung von Elektroautos langfristig sinnvoll. Es ist vernünftig, Technologien zu entwickeln, die das Potenzial zum Ersatz von CO2 und zum Verbrauch fossiler Kraftstoffe haben, auch wenn dieses Potenzial gering ist. Die Frage ist nur, wieviel Dampf man in welche Maßnahme steckt. Wenn es darum geht, CO2 und fossile Kraftstoffe einzusparen, bringen andere Maßnahmen erheblich mehr als die Elektromobilität. Der Schwerpunkt wird also falsch gesetzt. Der Strom für Elektromobile muss ja irgendwo herkommen.

tagesschau.de: Die Bundesregierung spricht sich in ihrem Plan dafür aus, dass weitere Ausbaupotenziale für erneuerbare Energien erschlossen werden. Reicht das?

Lohbeck: Alle sind sich einig: Elektromobilität ergibt - wenn überhaupt - nur mit regenerativem Strom einen Vorteil. Auf der Grundlage des heutigen Strommixes ist Elektromobilität schlecht. Eine Kilowattstunde Strom aus erneuerbarer Energie ersetzt doppelt so viel "schmutzigen" Strom in einem Braunkohlekraftwerk wie in einem Auto. Aber dazu gibt es in dem Nationalen Plan keine Festlegung. Wie der Ausbau erneuerbarer Energien gefördert werden soll, wie verbindlich oder freiwillig dieser Ausbau geschehen soll, sagt die Regierung nicht. Das ist lediglich eine gut gemeinte Aussage.

Umweltminister Gabriel betankt in Berlin ein Elektroauto mit Strom

PS aus der Steckdose - die Bundesregierung will dem Elektroauto zum Durchbruch verhelfen.

"Neues Fahrverhalten erforderlich"

tagesschau.de: Wenn aber dennoch genügend erneuerbare Energien für Elektromobile zur Verfügung stehen - sind diese Fahrzeuge dann für den Verbraucher eine Alternative?

Lohbeck: Da sind viele Fragzeichen angebracht, und ich möchte es bezweifeln. Dem Bürger wird vorgegaukelt, dass alles so bleibt, wie es ist. Ihm wird suggeriert, dass er auch im Jahr 2020 einen ganz normalen Pkw fährt, mit dem er überall hin fahren kann, wann immer er will. Das aber wird mit Elektromobilität nicht möglich sein. Nur eine dramatische Gewichtsreduzierung der Pkw wird eine vernünftige Reichweite ermöglichen.

Und wenn die schönen Vorhaben des Plans tatsächlich Realität werden, wenn es ein integriertes Netz von Aufladestationen mit vernünftigen Aufladezeiten gibt, wird der Bürger sich erheblich umstellen müssen. Er wird einen genauen Tagesplan erstellen müssen, wann er sein Auto für welchen Zweck benötigt. Wir sind an das allzeit verfügbare, preiswerte, schwere Auto mit großen Reichweiten gewöhnt. Das wird es mit Elektromobilität nicht mehr geben. Das Elektroauto wird ein ganz anderes Fahrzeug sein.

Stromtankstelle von RWE

Auch die Energiekonzerne hoffen, mit Stromtankstellen von dem nationalen Plan zu profitieren.

tagesschau.de: Ist denn nicht vorstellbar, dass es ein großes Netz von Ladestationen geben wird und die Fahrzeuge zugleich leichter werden?

Lohbeck: Das kann durchaus sein. Aber ich halte es für unredlich, das für Elektroautos zu propagieren und es bei den herkömmlichen Pkw nicht zu tun. Jedes neue Fahrzeug wird schwerer als das Vorgänger-Modell - nehmen Sie nur den neuen Golf. Das Durchschnittsgewicht der Pkw liegt heute bei 1,45 Tonnen. Diese "tote Last" schleppen wir mit uns herum, um 100 Kilogramm Nutzlast zu befördern. Das wird es mit einem Elektroauto nicht geben.

Wohin mit den Batterien?

tagesschau.de: Ist denn das Problem der Entsorgung der Batterien schon gelöst?

Lohbeck: Das Thema Recycling wird auch in der Nationalen Strategie kaum angesprochen. Es sollen zwar Strukturen aufgebaut werden, aber wie sie funktionieren werden, ist noch unklar. Außerdem muss eine langfristige Strategie ja auch die asiatischen oder südamerikanischen Staaten in den Blick fassen. Die Frage ist erlaubt, ob dort Batterien-Recycling in großem Umfang funktioniert. Wir reden ja nicht über Handy-Batterien - diese Batterien wiegen ja 100 Kilogramm.

Da rollt eine astronomische Masse an Recycling-Gütern auf uns zu, da ein Pkw in seinem "Leben" zwei bis drei Sätze Elektrobatterien brauchen wird. Das wird immer als lösbar dargestellt, nur wie wird nicht gesagt. Insgesamt ist dieser Plan sehr populistisch - ebenso wie die Pläne für die Brennstoffzelle oder den Agrodiesel. Dieser Hype gibt sich nachhaltig und umweltbewusst und lässt sich sicher gut verkaufen. Darauf setzt die Regierung ganz bewusst. Zugleich lenkt sie von den wirklichen Problemen der kommenden Jahrzehnte ab.

Blick unter die Motorhaube in einem Elektromini.

Andere Ansicht: Blick unter die Motorhaube eines Elektro-Mini

tagesschau.de: Es wäre also sinnvoller, die Auflagen für Pkw mit Verbrennungsmotor zu verschärfen?

Lohbeck: Bemerkenswert ist, dass die Regierung einerseits mit größtmöglichem Aufwand eine nationale Strategie für eine kleinen Teil des Problems verkündet, zugleich aber erst wenige Monate zuvor strenge Vorschriften für Verbrennungsmotoren verhindert hat. Deutschland hat sich im April in der EU brachial dafür eingesetzt, dass die Grenzwerte für den CO2-Ausstoß noch über dem liegen, was die Industrie selbst einmal angeboten hat, nämlich 130 bzw. 138 Gramm CO2 pro Kilometer stufenweise ab 2015. Die Bundesregierung wirft sich einerseits bei den Elektroautos theatralisch in Szene und verhindert zugleich eine signifikante Reduzierung des CO2-Ausstoßes für die Masse der Pkw.

Die Fragen stellte Eckart Aretz, tagesschau.de