Zweidrittelmehrheiten für Fiskalpakt und ESM Deutschland sagt Ja zu Euro-Verträgen

Stand: 30.06.2012 00:48 Uhr

Nach dem Bundestag hat auch der Bundesrat den Fiskalpakt und den dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM gebilligt - und zwar jeweils mit Zweidrittelmehrheit. Zuvor hatte es hitzige Debatten gegeben. Das Verfassungsgericht kann noch sein Veto einlegen, in Karlsruhe liegen bereits Klagen vor.

Bundestag und Bundesrat haben sich deutlich für die beiden zentralen Instrumente im Kampf gegen die europäische Schuldenkrise ausgesprochen: Sowohl der Fiskalpakt als auch der dauerhafte Euro-Rettungsschirm ESM erhielten am Abend in beiden Häusern eine Zweidrittelmehrheit.

Beim ESM fehlte die Kanzlermehrheit

Im Bundestag votierten nur die gesamte Linksfraktion und einzelne Abgeordnete anderer Fraktionen - auch von Union und FDP - mit Nein. Bei 604 abgegebenen Stimmen votierten 493 Bundestagsabgeordnete für den ESM, 106 stimmten dagegen, fünf enthielten sich. Bei dieser Abstimmung verfehlte Schwarz-Gelb allerdings die sogenannte Kanzlermehrheit.

Kurz zuvor hatte der Bundestag bereits mit 491 Ja-Stimmen bei 111 Nein-Stimmen und sechs Enthaltungen dem europäischen Fiskalpakt für mehr Haushaltsdisziplin zugestimmt. Im Bundesrat stimmten 15 von 16 Bundesländern für die Verträge, nur das von der SPD und der Linkspartei regierte Brandenburg war nicht dafür.

In Karlsruhe laufen die Klagen ein

Das Bundesverfassungsgericht kann aber noch sein Veto einlegen. Bis zu einer Entscheidung liegt die deutsche Ratifizierung auf Eis. Unmittelbar nach Verabschiedung der Gesetze im Bundesrat gingen in Karlsruhe Klagen ein. So gab ein Bote die Verfassungsbeschwerde des CSU-Politikers Peter Gauweiler an der Pforte des Gerichts ab.

Auch die Beschwerdeschrift des Vereins "Mehr Demokratie", der sich nach dessen Angaben rund 12.000 Bürger angeschlossen hatten, wurde beim höchsten deutschen Gericht eingereicht. Auf Bitte der Karlsruher Richter wartet Bundespräsident Joachim Gauck noch mit der Unterzeichnung der Gesetze, um dem höchsten deutschen Gericht ausreichend Zeit zur Prüfung aller Klagen und Anträge zu geben.

Merkel verteidigt Gipfelergebnisse

Der Abstimmung im Bundestag war eine mehrstündige Debatte vorausgegangen. Bundeskanzlerin Angela Merkel warb eindringlich um Zustimmung zum Fiskalpakt mit seinen strengen Sparvorgaben sowie zum dauerhaften europäischen Rettungsschirm ESM. Deutschland müsse "ein Signal der Geschlossenheit und Entschlossenheit nach innen und außen" senden, sagte die CDU-Chefin vor dem gut besetzten Parlament.

ESM-Vertrag und mögliche Änderungen

Bundestag und Bundesrat stimmten über den ESM-Vertrag in der Version ab, die im Februar 2012 unterzeichnet und bereits von mehreren Staaten ratifiziert wurde. Die Änderungen, auf die sich die Euro-Staaten auf dem Gipfel am 28./29. Juni verständigten, sind darin noch nicht enthalten. Das betrifft besonders die geplante direkten Kapitalhilfen für Banken. Im ESM-Vertrag wird in Artikel 15 ausdrücklich festgelegt, dass Finanzhilfen für Banken zwar möglich sind, aber nicht direkt an die Institute fließen dürfen. Vielmehr muss ein Staat die Hilfen beim ESM beantragen und kann sie dann an die Institute weiterreichen. Die Regierung haftet in diesem Fall für die Kredite und muss Auflagen erfüllen.

Änderungen dieser und anderer Hilfsinstrumente sind laut Artikel 19 des ESM-Vertrags aber möglich. Voraussetzung dafür ist die Zustimmung aller Mitglieder des ESM-Gouverneursrates, in dem die Regierungen aller Unterzeichnerstaaten vertreten sind. Bevor die Bundesregierung im Namen Deutschlands solchen Änderungen zustimmen kann, muss sie aber vorher den Gesetzgeber fragen. Das legt Artikel 2, Absatz 2 des Gesetzes zum ESM-Vertrag fest.

Ohne ausdrückliche Zustimmung des Bundestages in Form eines Gesetzes können somit keine direkten Bankenhilfen durch den ESM eingeführt werden. Ein Ja von Bundesrat und Bundestag zum ESM-Vertrag in seiner ursprünglichen Form bedeutet somit noch keine Zustimmung zu direkten Bankenhilfen.

Fast 20 Minuten dauerte ihre Regierungserklärung, in der sie auch die Gipfelergebnisse verteidigte. Auf dem Brüsseler Treffen war vereinbart worden, dass künftig direkte Bankenhilfen ebenso möglich sein sollen wie der Aufkauf von Staatsanleihen reformwilliger Mitgliedsländer. Dieser Punkt war den Tag über bei vielen Abgeordneten auf Kritik gestoßen, es gab eine Sondersitzung des Haushaltsausschusses, sogar eine Verschiebung der Abstimmung wurde vereinzelt gefordert. Schließlich sieht die dem Bundestag vorgelegte Gesetzesversion zum ESM derartige Hilfen nicht vor.

Vor dem Parlament stellte Merkel klar: Die Gipfelbeschlüsse - vor allem die kritisierte direkte Hilfe für marode Banken - beträfen "in keinster Weise" die nun zu verabschiedenden Gesetze zu Fiskalpakt und ESM. Alle weiterführenden Beschlüsse bedürften einer erneuten Zustimmung der Parlamente, versicherte Merkel. "Jeder Schritt bedarf einer weiteren Befassung des Deutschen Bundestags." Über die Gipfelbeschlüsse werde das Parlament gesondert entscheiden. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble betonte: Eine gemeinsame Haftung in Europa könne es nur bei einer gemeinsamen Finanzpolitik geben. "Gemeinsame Haftung ohne gemeinsame Finanzpolitik, das will ich auch zu meiner Lebenszeit nicht haben."

SPD-Chef Gabriel kritisiert und lobt

SPD-Chef Sigmar Gabriel lobte Merkel zwar für die Beschlüsse, die den Zinsdruck kriselnder Länder minderten. Zudem hielt er die Wachstumsbeschlüsse des EU-Gipfels für richtig. Scharf kritisiert er aber die mögliche Rekapitalisierung von Banken über den ESM. FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle sagte, von Deutschland gehe nun "ein Signal der Handlungsfähigkeit" aus. "Wir stehen vor der Herausforderung, dieses Europa neu zu begründen", sagte Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin in der Debatte. Er warf Merkel vor, zu zögerlich auf die Krise reagiert zu haben.

Abweichler begründen ihre Haltung

Einzelne Abgeordnete vom Schwarz-Gelb, SPD und Grünen begründeten in der Debatte ihre Ablehnung des Fiskalpakts und des ESM. Der FDP-Abgeordnete Frank Schäffler und sein CSU-Kollege Peter Gauweiler warnten davor, dass Euro-Länder mit dem ESM für die Schulden anderer Länder haften. Zudem werde durch den Fiskalpakt das Haushaltsrecht des Bundestags ausgehöhlt. Der SPD-Abgeordnete Peter Danckert kritisierte, Deutschland trage ein wesentlich höheres Haftungsrisiko als vielfach angenommen.

Gauweiler bezeichnete es als "positive Entwicklung", dass die Fraktionen auch Abgeordnete mit abweichender Meinung als Redner nominiert hatten. In den vergangenen Monaten hatten die Fraktionen der Koalition sich geweigert, "Abweichlern" in den eigenen Reihen Rederecht einzuräumen.

"Katastrophenkonzept"

Die Linkspartei rechnete mit dem Euro-Rettungskurs der Regierung grundsätzlich ab. "Dieses Europa ist ein Projekt der Zerstörung von Demokratie und sozialer Gerechtigkeit", sagte Fraktionsvize Sahra Wagenknecht. Mit dem Fiskalpakt solle das "Katastrophenkonzept" für Griechenland und Spanien mit unsäglichen Kürzungsdiktaten auf ganz Europa übertragen werden. Mit dem Rettungsschirm ESM folge jetzt "das nächste Milliardengrab". Auch für die SPD hatte Wagenknecht nur Kritik übrig: Sie habe "nahezu jeder europapolitischen Schandtat der Regierung zugestimmt".