
Der Fall Windreich Der "Energiewender" auf der Anklagebank
Insolvenzverschleppung, Insiderhandel, Betrug: Heute beginnt der Prozess gegen den Gründer des Windparkentwicklers Windreich und sieben weitere Angeklagte. Angesichts der andauernden Niedrigzinsen ist der Fall Windreich aktueller denn je.
"Windreich – die Energiewender" – mit diesem Slogan warb Willi Balz einst für sein Unternehmen. Balz sprach von der Energiewende, da war Greta Thunberg noch nicht einmal geboren. Der Unternehmer sah sich selbst als Ökostrom-Pionier, plante im großen Stil Windparks auf hoher See.
Doch das Geschäft erwies sich als äußerst kapitalintensiv. Der Mittelständler aus dem kleinen Örtchen Wolfschlugen bei Stuttgart sammelte daher über zwei Mittelstandsanleihen 125 Millionen Euro ein. Bis heute haben die Gläubiger des Schwaben ihr Geld nicht wiedergesehen.
Walter Döring auch auf der Anklagebank
Denn Windreich musste 2013 Insolvenz anmelden – unter spektakulären Umständen. Diese sollen nun vor Gericht aufgearbeitet werden. Hauptangeklagter ist der schillernde Unternehmensgründer Willi Balz. Dem 59-jährigen Wirtschaftsingenieur wirft die Staatsanwaltschaft in ihrer mehr als 500 Seiten dicken Anklageschrift neben Insolvenzverschleppung auch Betrug, unrichtige Darstellung, Gläubigerbegünstigung, Insiderhandel, Unterschlagung, vorsätzlichen Bankrott und Untreue vor.

Ex-Windreich-Vizechef Walter Döring Bild: picture alliance / dpa
Neben Balz sitzen sieben weitere frühere Windreich-Verantwortliche auf der Anklagebank, darunter Walter Döring. Der einstige baden-württembergische FDP-Wirtschaftsminister war zeitweise als Aufsichtsratsvorsitzender und stellvertretender Vorstandschef bei Windreich tätig. Ihm wird Beihilfe zur Last gelegt.

Das Landgericht Stuttgart hat zunächst 48 Verhandlungstage bis Ende April 2020 festgelegt. Die Anklageschrift hat 521 Seiten, die Akten füllen 234 Ordner, den Angeklagten stehen 19 Verteidiger zur Seite.
Einfach eine Nummer zu groß?
Balz und Döring weisen die Anschuldigungen zurück. Balz sieht sich gar als Opfer einer Verschwörung der großen Energiekonzerne. Gegner der Energiewende hätten ihn und sein Unternehmen zu Fall gebracht. In einem Interview erklärte er einst: "Ich bin nicht gescheitert, ich wurde gescheitert."
Anlegerschützer Klaus Nieding, Vizepräsident der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), sieht das ganz anders: "Das ist nur die Selbstwahrnehmung von Herrn Balz. Tatsache ist, dass er sich einfach an der einen oder anderen Stelle verhoben hat." Balz habe versucht, Projekte im Offshore-Windbereich zu stemmen, die ein Investitionsvolumen von mehreren Milliarden haben.
"Das sind Projekte, da gehen selbst Großkonzerne wie Siemens nur mit ganz spitzen Fingern dran. Wenn die wirtschaftlichen Parameter von einem Mittelständler nur schwer oder gar nicht zu stemmen sind, dann halte ich es für ein bisschen einfach zu behaupten, man sei Opfer einer Verschwörung geworden", betont DSW-Experte Nieding im Gespräch mit boerse.ARD.de.

Die Entwicklung eines solchen Offshore-Windparks in der Nordsee kostet viel Geld Bild: picture alliance / dpa
Oldtimer mit Geschäftsdarlehen bezahlt
Tatsächlich gab es schon früh Hinweise auf Zahlungsschwierigkeiten bei dem 1999 gegründeten Windparkentwickler. Im März 2012 warnte boerse.ARD.de mit Blick auf die hohe Rendite von damals rund 30 Prozent bei der Windreich-Anleihe: "So verlockend das auf den ersten Blick auch aussehen mag: Das sind Renditen, die für gewöhnlich auf eine drohende Pleite oder zumindest einen Zinsausfall hinweisen!"

Der Absturz der Windreich-Anleihe spricht Bände Bild: und Grafik: boerse.ARD.de
Den Absturz des Anleihekurses hatte Willi Balz persönlich mitbefördert. Statt den Teilausstieg zu suchen, wie es andere Projektierer in der Regel tun, hielt er die Windpark-Projekte bis zur Stromproduktion in den Büchern. In Büchern, die seit Mai 2012 von ihm selbst geführt wurden.
Zu allem Überfluss konnte der Alleinaktionär der Windreich AG offensichtlich Privates nicht von Geschäftlichem trennen, bezahlte Oldtimer für seine Sammlung aus einem Darlehen für die Windreich AG – und verspielte so weiter das Vertrauen der Anleger.

2016 wurde die Oldtimer-Sammlung von Willi Balz zwangsversteigert, darunter viele hochkarätige historische Rennwagen wie der Formel-1-Cooper mit Maserati-Motor aus dem Jahr 1966.
Sabine Christiansen war auch dabei
Kleines Schmankerl am Rande: Kurz vor der Insolvenz, im Januar 2013, holte sich Balz noch Sabine Christiansen an Bord. Die ehemalige Talkshow-Moderatorin sollte als stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende die "mediale Kompetenz" stärken und für bessere PR sorgen. Genützt hat es – nichts.

Sabine Christiansen - Balz' Frau für die "mediale Kompetenz" Bild: Quelle: picture-alliance/dpa
Am 1. März 2013 konnte Balz die fälligen Anleihenzinsen nicht rechtzeitig bezahlen. Wenige Tage später klopfte die Staatsanwaltschaft an. Im Herbst 2013 brach das Unternehmen schließlich unter der Last von 400 Millionen Euro Schulden zusammen und meldete Insolvenz an.
"Fatales Vertrauen" in Branche der Erneuerbaren Energien
So spektakulär der Fall Windreich auch sein mag – einzigartig ist er nicht. In der Tat ist es in der jüngeren Vergangenheit häufiger zu Pleiten von Unternehmen aus der Branche der Erneuerbaren Energien gekommen. Solar Millennium, Prokon und German Pellets sind nur drei weitere prominente Beispiele.
Rückblickend war dieses Vertrauen der Anleger in einen ganzen Industriezweig fatal. Millionen von Anlegergeldern sind verloren gegangen. Die Geschädigten waren meist überwiegend Kleinanleger, welche aus lauteren Motiven in diese Unternehmen investierten.
DSW-Vizepräsident Klaus Nieding
Niedrigzinsen befördern "Sorglosigkeit"
Das Segment der Mittelstandsanleihen galt nach den zahlreichen Pleitefällen à la Windreich eigentlich als verbrannt. Trotzdem wächst der Markt aktuell wieder, 2018 erreichte er das höchste Volumen seit 2015. Hintergrund sind die anhaltenden Niedrigzinsen. Anleger auf der Suche nach Rendite werden in immer riskantere Anlagen getrieben.
Schlussendlich ist der Fall Windreich nicht nur ein spannendes Stück krimineller deutscher Unternehmensgeschichte: Er ist auch ein Lehrstück über die Risiken, die hinter zu hohen Renditeversprechungen stecken.

Anlegerschützer Klaus Nieding von der DSW erklärt im Gespräch mit boerse.ARD.de, was man aus den Mittelstandsanleihen-Insolvenzen der vergangenen Jahre lernen kann.
- "Millionen von Anlegergeldern verloren"