Interview

Bericht aus Berlin, 22.02.2009 Interview mit Bundesfinanzminister Peer Steinbrück

Stand: 22.02.2009 20:13 Uhr

Die große Krise bei Opel ist auch ein Thema des Interviews mit Bundesfinanzminister Steinbrück (SPD). ARD-Hauptstadtstudioleiter Deppendorf fragt nach, wie der Staat dem Auto-Konzern noch helfen kann und welche Konsequenzen das für die Wirtschaft und den Steuerzahler hätte.

Ulrich Deppendorf, Chefredakteur ARD-Hauptstadtstudio: Im Studio begrüße ich jetzt den Bundesfinanzminister Peer Steinbrück. Guten Abend, Herr Steinbrück.

Peer Steinbrück, SPD, Bundesfinanzminister: Herr Deppendorf.

Deppendorf: Ist es Aufgabe des Staates ein Automobilunternehmen zu retten?

Steinbrück: Es ist Aufgabe des Staates Brücken zu bauen, damit nicht Menschen in die Arbeitslosigkeit fallen und an sich ein wettbewerbsfähiges Unternehmen keine Zukunft mehr hat, obwohl es sie haben könnte.

Deppendorf: Ist es Aufgabe des Staates dieses Unternehmen zu übernehmen? 

Steinbrück: Nein, aber es ist Aufgabe des Staates dafür Sorge zu tragen, dass ein solches Unternehmen, das erkennbar gute Voraussetzungen hat, am Markt bleiben kann. Es ist nicht Aufgabe des Staates gegen Marktentwicklung anzusubventionieren.

Deppendorf: Wenn Sie das bei einem Unternehmen machen, kommen gleich die anderen. Wird das nicht ein Fass ohne Boden?

Steinbrück: Das ist genau das Problem bezogen auf dieses Unternehmen oder andere Unternehmen, wie wir es nennen, der Güterwirtschaft. Bei den Banken wird dieselbe Frage gestellt. Nur Banken sind eine Querschnittsbranche als, ich nenne sie, Finanzdienstleister und die Betonung liegt auf Dienstleister und die sind für die Geldversorgung, für die Kreditierung von Investitionen des Mittelstandes, der gewerblichen Wirtschaft, der großen Unternehmen von einer eminenten Bedeutung.

Deppendorf: Gelten die gleichen Kriterien von Opel  nicht auch für die Schaeffler-Gruppe?

Steinbrück: Da habe ich keinen Grund, das in Abrede zu stellen. Nur die Treppe wird von oben nach unten gekehrt. Ich möchte erst Restrukturierungsprogramme der Unternehmen sehen. Ich möchte erst sehen, welche Anstrengungen sie selber unternehmen, ehe dann auf der letzten Stufe die Frage steht, ob der Staat gegebenenfalls mit Garantien eintreten soll.

Deppendorf: Warum lässt man Opel nicht in die Insolvenz gehen? Kann das nicht im Endeffekt für den Staat und für den Steuerzahler billiger sein?

Steinbrück: Wir reden über 25.000 bis 26.000 Beschäftigte und ihren Familien. Wir reden vielleicht noch mal über dieselbe Zahl in der Zuliefer-Industrie. Wenn ich die Familie mal beiseite lasse, was schon zynisch genug ist, dann rede ich darüber, wenn die arbeitslos werden, dies den Staat, Sie und mich als Steuerzahler oder als Sozialversicherungsabgabenzahler, wahrscheinlich zwei bis drei Milliarden Euro kosten würde. Ist es da nicht sinnvoller behilflich zu sein, damit diese Menschen in Lohn und Brot bleiben?

Deppendorf: Sie geben unglaubliche Mengen an Geld wieder aus. Geldmenge ist auf dem Markt. Ist das nicht ein Vorschubleisten einer kommenden Inflation?

Steinbrück: Ja, die Befürchtung habe ich. Ich habe die Befürchtung, dass wir etwas machen, was wir als Fehler schon mal gemacht haben nach den Anschlägen vom September 2001. Wir pumpen sehr viel Liquidität in den Markt. Und mit 'wir' meine ich gar nicht mal Deutschland spezifisch, sondern insbesondere auch die Amerikaner. Und es wird der Zeitpunkt kommen, wenn wir diese Rezession und die Finanzmarktkrise überwunden haben, ob wir die Kraft haben, diese Liquidität aus dem Markt wieder herauszuziehen. Und das wird sehr schwierig.

Deppendorf: Erst mal schönen Dank, Herr Steinbrück. Sie bleiben bei uns, denn jetzt reden wir über den Gipfel von Berlin.

Zweiter Teil des Interviews mit Peer Steinbrück nach dem Beitrag über das Staatschef-Treffen im Kanzleramt:

Deppendorf: Herr Steinbrück, der Gipfel ist vorbei. War das jetzt der große Schulterschluss der EU in Sachen Bekämpfung der Finanzkrise und Regularien für den Finanzmarkt?

Steinbrück: Eine Koordinierung ist es schon, weil es die europäischen G7-Mitgliedsstaaten sind, die dann ja auch antreten in London bei dem großen G20-Gipfel. Insofern ist es wichtig gewesen, dass man da die Gelegenheit gehabt hat auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs, der Finanzminister, sich über die zentralen vier, fünf Punkte noch mal zu unterhalten.

Deppendorf: Einer der zentralen Punkte ist die flächendeckende Kontrolle der Finanzmärkte. Was heißt das konkret? Wie soll das aussehen? Gilt das auch für Hedgefonds zum Beispiel?

Steinbrück: Ja, das ist, wie ich finde, auch die bemerkenswerte Nachricht nach den Einlassungen des britischen Premierministers Gordon Brown.

Deppendorf: Die war kritischer.

Steinbrück: Ja, aber die war erstaunlich klar, dass es auch eine direkte Regulierung von Hedgefonds geben soll. Es gibt einen großen Konsens, dass kein Finanzmarkt, kein Finanzmarktteilnehmer und kein Finanzmarktprodukt mehr außerhalb einer Regulierung liegen soll und diesen Grundsatz jetzt in Maßnahmen zu gießen wird die große Herausforderung sein. Wir reden nicht mehr über das Ob, wir reden nur noch über das Wie.

Deppendorf: Glauben Sie denn, dass Sie sich damit sich bei dem G20-Gipfel in London am 2. April auch bei den anderen Ländern, den G20-Ländern, durchsetzen können? 

Steinbrück: Ja, wenn die G7-Länder, also einschließlich der Amerikaner, einschließlich des gesamten anglo-amerikanischen Bereiches, von denen Sie wissen, dass die Wallstreet und die  City of London die eigentlichen Finanzmarktzentren sind. Wenn wir uns mit denen einig sind, glaube ich, hat das einen Schub, der auch die anderen Mitglieder in diesem G20-Club, wenn Sie so wollen, nicht unbeeindruckt lassen kann.

Deppendorf: Die Bankenaufsicht wird und muss verstärkt werden. Das scheint auch klar zu sein. Was heißt das eigentlich für Deutschland?

Steinbrück: Bezogen auf große Banken und Versicherungsunternehmen sind wir in den letzten Monaten sehr viel weiter gekommen. Am Ende wird die Frage stehen, ob wir eine Institution in Europa grenzüberschreitend mit der Bankenaufsicht wirklich beauftragen. Ich hätte nichts dagegen, wenn es die Europäische Zentralbank ist.

Deppendorf: Wie sehen es die anderen?

Steinbrück: Da gibt es noch Meinungsverschiedenheiten, um das offenzulegen, zwischen Kommission und EZB, glaube ich, selber, aber die sollten auf der Wegstrecke beseitigt werden können. Wir stehen in Deutschland davor, unsere Bankenaufsicht auch noch mal effizienter zu machen. Dazu wird es schon in den nächsten Tagen auf der Basis eines Gutachtens auch Vorschläge von mir geben oder Diskussionsbeiträge.

Deppendorf: Ist hier auf dem Gipfel heute auch über den Protektionismus geredet worden, der ein bisschen aufkam. Jeder will ja seine eigene Automobilindustrie im Augenblick schützen, besonders die Franzosen. Ist man sich da einig, dass man das in Zukunft nicht mehr so haben möchte?

Steinbrück: Definitiv ja, weil alle wissen, das war der große Abbruch 1930, gar nicht mal die Börsenspekulationen oder der Zusammenbruch der New Yorker Börse 1929 im Oktober, sondern was dann folgte im ersten Halbjahr 1930 mit enorm vielen Importzöllen von den USA ausgehend, darüber gibt es einen Konsens. Ich freue mich auch, dass die Amerikaner bei ihrem Konjunkturprogramm deutlich gemacht haben, dass sie die Auflagen der WTO anerkennen und das bedeutet eben, dass diese 'Buy-American'-Klausel nicht zum Zug kommt.

Deppendorf: Müssen Sie, müssen die G7-Länder, müssen wir auch andere osteuropäische Länder weiter finanziell unterstützen oder sogar noch mehr unterstützen als bislang angedacht oder geplant?

Steinbrück: Ein heikles Thema. Zunächst einmal stehen sie selber in dem Obligo. Sie selber müssen alle Anstrengungen unternehmen und es sind nicht nur osteuropäische Länder, sondern es sind all die Länder, die eine Kombination von einem Schuldenstand, hohen Zahlungsbilanzdefiziten und hohen Haushaltsdefiziten haben. Die können in Verlegenheit kommen, nicht im Sinne eines Horrorszenarios auch bezogen auf den Euro, aber sie könnten in Verlegenheit kommen mit Blick auf die Refinanzierung ihrer Schulden, die sie dann ja in gewissen Zeitraum refinanzieren müssen. Das ist ein Thema, insbesondere auch bei meinem Essen gewesen mit den Finanzministern, mit der Europäischen Kommission, aber das ist sehr sensibel anzugehen, weil man auch nicht dazu einladen will, sich falsch zu verhalten, in der Annahme, irgendwie kommt man dann schon durch und andere helfen einem.

Deppendorf: Haben Sie eine Ahnung oder haben die Finanzminister eine Ahnung, wie lange Krise noch dauern wird?

Steinbrück: Die Frage wird mir wöchentlich fünfmal gestellt.

Deppendorf: Und heute zum sechsten Mal.

Steinbrück: Ich halte nichts davon, Ihnen oder den Zuschauern irgendeine  eine Scheingenauigkeit zu bringen. Nach dem Motto, die Finanzmarktkrise ist im 31. August um 17.37 Uhr beendet. Die ehrliche, vielleicht unbefriedigende Antwort lautet, das weiß keiner. Ich weiß auch nicht, was hinter der nächsten Ecke steht an möglichen Eskalationen. Ich weiß nur, dass man alles tun muss, was man tun kann, um es einzudämmen.

Deppendorf: Herr Steinbrück, herzlichen Dank.

Kontakt zum Moderator: internet@ard-hauptstadtstudio.de

Das Interview führte Ulrich Deppendorf, ARD Berlin