Interview

Trotz positiver Konjunktursignale Warum die Arbeitslosenzahlen weiter steigen

Stand: 04.12.2009 16:16 Uhr

Die Hinweise auf ein Ende der wirtschaftlichen Talfahrt mehren sich. Doch das bedeutet nicht, dass sich auch die Lage auf dem Arbeitsmarkt entspannt. Im Gegenteil: Schon jetzt ist klar, dass die Arbeitslosenzahlen weiter steigen. tagesschau.de hat dazu Fragen und Antworten zusammengestellt.

Steigen die Arbeitslosenzahlen auch nach der Rezession?

Ja, zumindest für einige Zeit. Denn die positive Wirkung eines wirtschaftlichen Aufschwungs ist auf dem Arbeitsmarkt erst Monate später zu spüren. Umgekehrt sinken aber Arbeitslosenzahlen erfahrungsgemäß nach Beginn einer Konjunkturflaute zunächst weiter. Die Arbeitslosenquote gilt deshalb als nachlaufender Konjunkturindikator oder Spätindikator. Eine große Rolle spielen in diesem Zusammenhang die Aufträge, die bei den Unternehmen in den Büchern stehen. So dauert es etwa bei Bestellungen von Flugzeugen und Schiffen oft Jahre bis zur Auslieferung. In dieser Zeit haben die Betriebe auch Arbeit für ihr Personal. Wenn neue Aufträge in der Krise ausbleiben, zeigen sich die negativen Folgen erst viel später.

Warum geht der Jobabbau nach der wirtschaftlichen Talfahrt weiter?

Das liegt vor allem an den Unternehmen und den langwierigen Verfahren bei Kündigungen und Neueinstellungen. Firmen reagieren erst mit Verzögerung auf ein Ende der Rezession. Bevor sie neue Mitarbeiter einstellen, beobachten sie oft einige Monate, ob sich der Aufschwung stabilisiert. Stellenausschreibungen und Bewerberauswahl verzögern Neueinstellungen weiter.

Wegen der Folgekosten für Abfindungen und Sozialpläne kündigen viele Konzerne ihrem Stammpersonal erst dann, wenn die Lage längere Zeit schlecht bleibt. Nach der Entscheidung der Firmen greifen Kündigungsfristen. Bis die Mitarbeiter das Unternehmen verlassen, vergehen oft Monate. Auch längerfristig angelegte Sozialpläne verlängern den Zeitraum zwischen Kündigung und Arbeitslosigkeit.

Hinzu kommen viele Insolvenzverfahren, die sich über Monate hinziehen. Das betrifft in der aktuellen Krise auch große Unternehmen wie Arcandor und Hertie mit Tausenden Beschäftigten. Die Rettung insolventer Unternehmen gelingt nicht immer. Unabhängig von der allgemeinen Wirtschaftslage stehen dann am Ende oft Massenentlassungen oder Sanierungsmodelle, die ebenfalls zu Kündigungen führen. Immer wieder wechseln Beschäftigte zahlungsunfähiger Firmen auch zunächst in Transfergesellschaften und werden Monate später arbeitslos.

Wie stark wird die Arbeitslosigkeit noch steigen?

Von den ursprünglich befürchteten fünf Millionen Arbeitslosen Ende 2010 ist in neueren Prognosen nicht mehr die Rede. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung rechnet nur noch mit einem Anstieg auf 3,9 Millionen bis Ende 2010. Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute erwarten laut ihrer Herbstprognose für 2010 im Schnitt 4,1 Millionen Arbeitslose.

Wann sinken die Arbeitslosenzahlen wieder?

Das lässt sich nicht genau sagen. Erfahrungsgemäß dauert es nach Ende einer Rezession etwa ein halbes Jahr, bis die wirtschaftliche Erholung auch zu neuen Jobs führt. Studien zeigen aber auch, dass erst ab einem Wirtschaftswachstum von 1,5 bis 2,0 Prozent die Zahl der Beschäftigten spürbar wächst. Nach bisherigen Prognosen wird die deutsche Wirtschaft aber nach dem Ende der Talfahrt deutlich langsamer wachsen.

Ein weiterer Faktor bremst eine Erholung auf dem Arbeitsmarkt: Durch Kurzarbeit und den Einsatz von Arbeitszeitkonten hielten viele Unternehmen in der aktuellen Krise ihr Stammpersonal. Weil die Produktion und die Aufträge zurückgingen, waren die Beschäftigten aber weniger ausgelastet. In der Folge sank die Produktivität. Nach Beginn des Aufschwungs wird die Arbeitsbelastung für viele Beschäftigte daher deutlich steigen, bevor neues Personal eingestellt wird.

Hilft die Kurzarbeit?

Ja. Unternehmen nutzten seit Beginn der Rezession millionenfach die Kurzarbeiterregelung. Mit diesem Instrument und dem Modell der Arbeitszeitkonten vermieden sie viele Kündigungen und hielten ihre Fachkräfte. Möglicherweise folgt aber bald eine verzögerte Kündigungswelle. Denn um langfristig weiter Geld verdienen zu können, müssen Unternehmen ihre Produktion an die Auftragslage anpassen. Um Überkapazitäten abzubauen, entlassen die meisten Firmen früher oder später Mitarbeiter. Wegen des drastischen Einbruchs in der Rezession 2009 wird es Schätzungen zufolge Jahre dauern, bis die Unternehmen das Produktionsniveau von 2008 wieder erreichen. Deswegen ist auch bei einem leichten Wirtschaftswachstum 2010 mit steigenden Arbeitslosenzahlen zu rechnen.

Ist die aktuelle Krise besonders schlimmm?

Ja. Die Wirtschaftsleistung Deutschlands könnte Prognosen zufolge in diesem Jahr um rund fünf Prozent gegenüber 2008 sinken. Das wäre der stärkste Konjunktureinbruch in der Geschichte der Bundesrepublik. Noch ist unklar, wie lange die Unternehmen brauchen, um sich davon zu erholen. Das erwartete künftige Wachstum startet in jedem Fall auf einem niedrigen Niveau.