Hintergrund

Atomkraftwerke Wer profitiert von der Laufzeitverlängerung?

Stand: 30.08.2010 16:25 Uhr

Über die Verlängerung der Atomlaufzeiten gibt es in der Regierung noch keine Klarheit. Immerhin hat Kanzlerin Merkel mit einer möglichen Zeitspanne von 10 bis 15 Jahren erstmals Zahlen genannt. Doch wer profitiert von einer Laufzeitverlängerung - nur die Betreiberkonzerne oder letztlich auch die Verbraucher? tagesschau.de hat bei Experten nachgefragt.

Von Ulrich Bentele, tagesschau.de

Es ist eine der zentralen Kontroversen in Deutschland – sowohl in der Gesellschaft als auch innerhalb der schwarz-gelben Regierungskoalition: Wie lange dürfen die Atomkraftwerke in Deutschland noch weiter betrieben werden? Die rot-grüne Bundesregierung hatte ursprünglich beschlossen, dass der letzte Atommeiler bis 2022 vom Netz gehen soll. Die Bundesregierung will am Ausstieg festhalten, setzt aber auf einer Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke und betrachtet die Kernkraft als Brückentechnologie. Ende September will sie ihr neues Energiekonzept vorstellen.

Nachdem nun Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in der ARD erstmals ihre Präferenz angedeutet und Zahlen genannt hat – demnach scheint eine Laufzeitverlängerung von zehn bis 15 Jahren möglich – stellt sich die Frage, wer davon profitieren wird. Was bedeutet eine solche Laufzeitverlängerung konkret für die Stromkonzerne, auf was können sich die Verbraucher einstellen?

Verbraucherzentrale: hohes Risiko für minimalen Spareffekt

"Wir gehen davon aus, dass sich eine solche Laufzeitverlängerung nur marginal auf die Bildung der Strompreise auswirken wird", sagt Holger Krawinkel vom Bundesverband Verbraucherzentralen im Gespräch mit tagesschau.de.

Bei einer Laufzeitverlängerung von zwölf Jahren sei von einem Sparpotenzial von 0,7 Cent pro Kilowattstunde auszugehen. Pro Jahr würde ein durchschnittlicher Haushalt somit etwa 24,50 Euro einsparen können. Diesen Betrag könne man aber locker übertreffen, würde man auf Energie-effizientere Haushaltsgeräte setzen. Aus Verbrauchersicht würde sich eine solche Laufzeitverlängerung deshalb nicht rentieren. Am ehesten würde bei den Strompreisen noch die Industrie profitieren.

Für private Stromkunden stünden andere Aspekte im Vordergrund, etwa die Endlagerung des Atommülls und die Reaktorsicherheit. "Wegen einer etwaigen minimalen Preisentlastung ist es nicht sinnvoll, ein solches Risiko einzugehen", so Krawinkel. Für die Sicherheit vor allem der älteren Anlagen müsste bei einer Laufzeitverlängerung massiv investiert werden: "Ob sich das dann noch für die Betreiber wirklich lohnt und ob dann tatsächlich noch Preisvorteile für die Verbraucher zu erkennen sind, ist schwer zu bezweifeln."

Aus Verbrauchersicht seien Fragen der Energie-Effizienz ohnehin wichtiger als die Frage der Laufzeiten von Atomkraftwerken. "Austauschprogramme für Heizungen, Sanierung der Gebäude-Hülle, Wärmedämmung – da muss dringend etwas passieren", so Krawinkel. Im Energiekonzept der Bundesregierung kämen diese Punkte allerdings viel zu kurz, es würden die falschen Schwerpunkte gesetzt: "Es kann ja nicht sein, dass im gleichen Atemzug, indem jetzt die Laufzeitverlängerung verkündet wird, das Gebäudesanierungsprogramm von 1,3 Milliarden auf 400 Millionen Euro  zusammengekürzt wird", so der Verbraucherschützer.

DIW: Gewinner sind die "großen Vier“"

"Profitieren werden von einer Laufzeitverlängerung in erster Linie die vier großen Kernkraftwerksbetreiber, also EnBW, RWE, E.ON und Vattenfall", ist sich Claudia Kemfert, Energie-Expertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW) sicher. Dort würden sich die Gewinne massiv erhöhen, denn die abgeschriebenen Kernkraftwerke seien nun kostengünstig zu betreiben, sagte Kemfert im Gespräch mit tagesschau.de .

Auch anfallende Kosten für zusätzliche Sicherheitsanforderungen -  Kemfert rechnet bei einer Laufzeitverlängerung von 15 Jahren mit etwa 20 Milliarden Euro - würden das nicht signifikant beeinträchtigen: "Die Zusatzgewinne der Konzerne werden sehr hoch sein".

Auch Kemfert rechnet durch die Laufzeitverlängerung nicht mit großen Auswirkungen auf die Strompreise: "Wir haben sowieso zu wenig Wettbewerb auf dem Strommarkt. Die Stromkonzerne haben in der Vergangenheit ohnehin die Preise immer weiter nach oben getrieben." Allerdings ist Kemfert der Ansicht, dass "mit Kernenergie der Strompreis nicht so stark ansteigen wird wie ohne Atomstrom."

Die Stromkonzerne nun zu verpflichten, mehr in erneuerbare Energien zu investieren, hält die DIW-Expertin für problematisch. "Die großen Vier haben eine große Marktdominanz. Wenn man ihnen jetzt zubilligt, die Laufzeiten zu verlängern, ohne dass man klar sagt, dass man die Kohlekraftwerke nicht mehr möchte, zementiert man deren Marktposition weiter."

Kemfert: Falsche Fokussierung der Politik

Kemfert kritisiert, dass in der politischen Diskussion die Kernkraft so sehr im Fokus stehe – obwohl sie im Energiemix heute nur noch 20 Prozent ausmache. "Wenn man den Anteil von Atom- und Kohlestrom so hochhält, ist die Aussage, dass man mehr zu erneuerbaren Energien hin möchte, doch sehr fragwürdig."

Energiespeicherung, Energie-Effizienz, die Reduzierung der Kohlekraftwerke, und den Ausbau der Gaskraftwerke – dies seien die vorrangigen Themen, mit der sich die Politik beschäftigen sollte. Erst am Ende der Kette dieser Maßnahmen stehe die Frage, ob und wie lange die Laufzeit von Kernkraftwerken verlängert werden müsse. Doch zu all diesen Aspekten sei aus der Regierung viel zu wenig zu hören.

Klusmann: "Kernkraftwerke sind reine Gelddruckmaschinen"

Für Björn Klusmann, Geschäftsführer des Bundesverbands der Erneuerbaren Energien, profitieren von der Laufzeitverlängerung ausschließlich die Betreiber der Kraftwerke. "Die sind bereits abgeschrieben und fungieren jetzt als reine Gelddruckmaschinen." Der Verbraucher habe davon überhaupt nichts, so Klusmann im Interview mit tagesschau.de.

RWE-Chef Jürgen Großmann bläst ein kleines Windrad.

RWE-Chef Großmann würde einen Teil der Gewinne abgeben, um damit erneuerbare Energie zu fördern.

Mehrere Forschungsinstitute hatten im Auftrag von Wirtschafts- und Umweltministerium in den vergangenen Wochen die Auswirkungen von Laufzeitverlängerungen um 4, 12, 20 und 28 Jahre berechnet. "Aber wenn man sich die Szenarien anschaut, die aus dem Gutachten durchgesickert sind, muss man wirklich sagen: Wenn sich die Politik darauf verlässt, wirkt das einfach nur noch lächerlich. Die sind so unseriös, wie Gutachten nur sein können. Das Ergebnis stand bei Auftragsvergabe bereits fest." Mit wissenschaftlicher Arbeit habe das nichts zu tun.

Regierungspläne "absolut lächerlich und inakzeptabel"

Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) habe zwar erkannt, dass neben dem Thema Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken auch die erneuerbaren Energien in seinem neuen Energiekonzept Platz haben müssen. Allerdings befürchtet Klusmann, dass neben der Brennelementesteuer keine zusätzlichen Abgaben erhoben werden, um die Mehrgewinne abzuschöpfen: "Wenn die Konzerne aus der Pflicht genommen werden, und man einfach sagt: Ihr müsst in erneuerbare Energien investieren, dann ist das absolut lächerlich und inakzeptabel."

Denn das hieße, dass die Atomkonzerne zu ihrem eigenen Glück und ihrer Zukunft gezwungen würden. Doch die großen Strombetreiber müssten aus reinem Eigeninteresse ohnehin massiv in erneuerbare Energien investieren. "Diese Dreistigkeiten, die da im Sinne der Atomkraft als fortschrittlich verkauft werden sollen, sind einfach unmöglich", echauffiert sich Klusmann.

Klusmann fordert, dass Mehrgewinne durch die Laufzeitverlängerung abgeschöpft werden müssten, "ganz konkret in Form einer Abgabe und nicht durch irgendwelche Absichtserklärungen, mehr in erneuerbare Energien investieren zu wollen."