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Wetterthema Die Entdeckung der Stratosphäre

Stand: 14.11.2022 14:11 Uhr

Die Entdeckung der Stratosphäre
Wie Berliner Forscher im Dienste der Wissenschaft Leib und Leben riskierten.

Von Tim Staeger, ARD-Wetterkompetenzzentrum

Seit 1892 wurden unbemannte Ballone mit Instrumenten ausgestattet, um Messungen der Temperatur, und Luftfeuchtigkeit aus großen Höhen zu erhalten. Die Daten widersprachen der damals gültigen Lehrmeinung einer mit zunehmender Höhe immer kälter werdenden Atmosphäre. Um dem Problem zu Leibe zu rücken entschlossen sich am 31. Juli 1901 zwei wagemutige Forscher zu einem abenteuerlichen Experiment.

Der Geograph Arthur Berson (1859-1942) und der Meteorologe Reinhard Süring (1866- 1950) bestiegen an diesem Vormittag auf dem Tempelhofer Feld in Berlin den mit 5.400 Kubikmeter Wasserstoff gefüllten und mit 3,5 Tonnen Ballast ausgestatteten Ballon „Preußen“, um mit eigenhändigen Messungen in zuvor von Menschen unerreichten Höhen den scheinbaren Widerspruch der warmen Atmosphärenschichten aufzuklären.

Bereits nach 40 Minuten hatte der Ballon eine Höhe von 5.000 Metern erreicht und die Temperatur war auf minus sieben Grad gefallen. Nun begannen die Pioniere mit der regelmäßigen Sauerstoffatmung aus den mitgeführten Tanks. Nach drei Stunden waren sie auf 8.000 Meter, nach vier bis auf 9.000 Meter Höhe aufgestiegen. Wenig später wurde der Expeditionsleiter Süring aufgrund des Sauerstoffmangels bewusstlos und auch Berson wurde es bald schwarz vor Augen.

Ihr Leben haben die beiden Aeronauten lediglich dem Umstand zu verdanken, dass es Berson in 10.500 Metern Höhe bei einer Umgebungstemperatur von minus 40 Grad gerade noch gelang durch öffnen des Ventils Wasserstoff abzulassen und damit den Auftrieb zu verringern. Kurz darauf rutschte ihm der Sauerstoffschlauch aus dem Mund und er ging ebenfalls zu Boden. Eine dreiviertel Stunde später wachten sie in 6.000 Metern Höhe wieder aus der Ohnmacht auf und landeten völlig erschöpft nach insgesamt siebeneinhalb-stündiger Fahrt bei Cottbus, wo die beiden Helden bereits von einer begeisterten Menschenmenge erwartet wurden.

Die unter Einsatz des eigenen Lebens gewonnenen Daten wurden von dem Direktor des Aeronautischen Observatoriums in Tegel, Richard Assmann, ausgewertet. Die oberhalb von etwa 10 km Höhe ansteigenden Temperaturwerte konnten von seinem französischen Kollegen Léon Phillipe Teisserenc de Bort bestätigt werden, allerdings mit Hilfe unbemannter Ballone. Fast zeitgleich veröffentlichen Assmann und Teisserenc de Bort ihre sensationellen Schlussfolgerungen: Die Atmosphäre gliedert sich in Schichten, die sich durch bestimmte Eigenschaften voneinander unterscheiden.

In der unteren Schicht, die Teisserenc de Bort als Troposphäre bezeichnete, bilden sich Wolken und es findet ein reger Austausch in der Senkrechten statt. Darüber liegt wie ein Deckel die stabil geschichtete Stratosphäre, in der die Temperatur mit der Höhe wieder ansteigt und dadurch eine großräumige Durchmischung unterschiedlich hoher Luftschichten unterbindet.

Heute weiß man, dass dieser von dem britischen Meteorologen Sir Napier Shaw als bedeutendste Entdeckung in der Geschichte der Meteorologie bezeichnete Temperaturanstieg innerhalb der Stratosphäre von der Ozonschicht hervorgerufen wird. Das Gas absorbiert energiereiche UV-Strahlung der Sonne und wandelt diese in Wärmestrahlung um.

Süring und Berson wurden durch ihre Fahrt mit der „Preußen“ weltberühmt und leiteten zudem den Durchbruch der Wetterballone ein: Heute steigen weltweit täglich etwa 1.300 unbemannte und mit Radiosonden bestückte Ballone bis in 30 km Höhe auf, um Informationen aus den oberen Stockwerken der Atmosphäre zu gewinnen, und dadurch Wettervorhersagen in der uns gewohnten Güte erst zu ermöglichen.