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Der Kommentar

Stand: 06.11.2006 00:00 Uhr

Die aufgeladene Diskussion nach dem Ausfall des Stroms kommentiert Thomas Nell vom Westdeutschen Rundfunk: Vor der Liberalisierung des Strommarktes war die Welt noch in Ordnung. In den Energiekonzernen hatten die Techniker und Ingenieure das Sagen, und die achten auf optimale Versorgung. Für sie bedeuten Reservekapazitäten, egal ob in der Erzeugung oder in Verteilung eben mehr Sicherheit. Heute sitzen Betriebswirte und Controller an den entscheidenden Stellen und für sie sind Reservekapazitäten, überspitzt gesagt, eher so etwas wie Überkapazitäten. Sie kosten Geld und spielen wenig ein. Und werden deshalb für unwirtschaftlich gehalten. Auch die vielgerühmte Windenergie hat einen Schönheitsfehler. Sie steht nicht dann zur Verfügung, wenn man sie braucht, sondern wenn der Wind pfeift. Das Netz wird dadurch komplizierter und teurer. Unbestreitbar ist: Die Reserve zwischen Stromangebot und Nachfrage sinkt, das gesamte Netz wird anfälliger. Nun ist Strom nicht so ein Gut wie Apfelsaft, denn wenn es keinen Apfelsaft mehr gibt, kann man auf Orangensaft umsteigen. Strom aber ist nicht zu ersetzen. Er muss in ausreichender Menge zu jedem Zeitpunkt zur Verfügung stehen – jedenfalls in normalen Zeiten. Wenn die deutsche Energiewirtschaft dazu nicht freiwillig in der Lage ist, dann muss die Politik handeln. Eine europäische Überwachungsinstanz ist wohl kaum der Weisheit letzter Schluss, aber eine Abspaltung des Stromvertriebs von der Stromerzeugung wird in einigen Ländern erfolgreich praktiziert. Die einfachste Lösung aber wäre, die Energiekonzerne nähmen ihre Verantwortung ernst und rüsteten schnell und effizient alles auf, was nicht mehr auf dem letzten Stand ist. Denn Geld gibt es genug in den Konzernkassen. Das wissen alle, die Bilanzen oder ihre Stromabrechnung lesen können. Und noch ein Nachsatz sei gestattet. Auch die Genehmigungsbehörden müssen schneller arbeiten – denn gerade in Norddeutschland sind viele Kilometer Leitungen beantragt – aber bislang nicht genehmigt.

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tagesthemen, 22:15 Uhr, tagesthemen, 06.11.2006 22:15 Uhr