
Peter Handke Widerspenstig, provozierend, zornig
Stand: 10.10.2019 19:50 Uhr
Er ist einer der umstrittensten deutschsprachigen Autoren: Peter Handke. Der Literaturnobelpreisträger 2019 eckt an - nicht nur mit seinen Werken, auch etwa mit seiner Haltung zu Slobodan Milosevic.
Von Jan Ehlert, NDR
Peter Handkes Karriere begann mit einem Skandal. Auf einem Treffen der Gruppe 47 in Princeton stellte er 1966 nicht brav wie alle anderen sein Buch vor, sondern beschimpfte die anwesenden Schriftsteller.
Er merke, dass in der deutschsprachigen Literatur eine Beschreibungsimpotenz herrsche, sagte er den verblüfften Kollegen ins Gesicht. Das Übel ihrer Prosa bestehe darin, dass man diese genauso gut aus dem Lexikon abschreiben könnte, was eine völlig läppische und idiotische Literatur sei.
Verleihung der Literaturnobelpreise für 2018 und 2019
tagesschau 17:00 Uhr, 10.10.2019, Christian Stichler, ARD Stockholm
Das Publikum beschimpft
Er selbst wollte es anders machen. Das spiegelte sich auch in seinen frühen Texten. "Sie werden kein Schauspiel sehen. Ihre Schaulust wird nicht befriedigt werden", verkündet er gleich zu Beginn in seinem Theaterstück "Publikumsbeschimpfung", um dann tatsächlich die Zuschauer ausgiebig zu beleidigen.
Sein Gedicht "Aufstellung des 1. FC Nürnberg vom 27.1.1968" spielte ebenfalls mit dem Formbruch. Handke macht darin nichts anderes als die Spieler aufzuzählen, die an dem Tag für Nürnberg auf dem Rasen standen.
Auch sein vermutlich bekanntester Roman scheint auf den ersten Blick mit Fußball zusammenzuhängen: "Die Angst des Tormanns beim Elfmeter". Doch um Sport geht es hier nur am Rande. Es ist vielmehr die Geschichte eines Mörders, der versucht, mit seiner Tat weiterzuleben.
Tod der Mutter literarisch verarbeitet
Marcel Reich-Ranicki zählte dieses Werk zu den wichtigsten 20 deutschsprachigen Romanen überhaupt. Ein Buch, das tief in die Psyche des Protagonisten eintaucht. Eine Fähigkeit des Einfühlens, die Handke in den 1970er-Jahren immer weiter perfektionierte. Damals erschienen Bücher wie "Wunschloses Unglück", in dem er den Tod seiner Mutter verarbeitete oder "Der kurze Brief zum langen Abschied", eine schmerzhafte Suche des Protagonisten nach seiner Frau, die ihn verlassen hat. Die Suche nach ihr wird so zur Möglichkeit, endlich loslassen zu können.
Werke wie diese machen Handke zu einem der wichtigsten deutschsprachigen Autoren dieser Zeit - und 1973 zu einem der jüngsten Büchner-Preisträger aller Zeiten.
Sich auf einen Stil festlegen, das wollte und konnte er nicht. Schreiben, so Handke, müsse immer eine Suchbewegung sein. Eine Ein-Mann-Expedition an einen unbekannten Ort. Und das konnten selbst Orte sein, die selten in der Literatur zu finden sind, etwa die Toilette. Handkes "Versuch über den stillen Ort" ist ihr gewidmet.
Das Widerspenstige, Provozierende hat Handke dennoch nicht verloren. Zu groß war vielleicht auch die Angst, irgendwann selbst nur noch "läppische und idiotische Literatur" zu verfassen. Und so schrieb er weiter gegen den literarischen und politischen Mainstream an.
Sein Herz gehört dabei besonders dem Balkan. Hier, auf der damals noch jugoslawischen Insel Krk, schrieb er seinen ersten Roman "Hornissen" und hier, so wurde er nicht müde zu betonen, sei für ihn das eigentliche Europa gewesen. Ein Ort, an dem das Zusammenleben der Völker funktionierte.
Grabrede für Milosevic
Mitten im Jugoslawienkrieg veröffentlichte er dann seinen Bericht "Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien", in dem er die seiner Ansicht nach einseitigen Schuldzuweisungen des Westens gegenüber Slobodan Milosevic kritisierte. 2006, nach dem Tod des serbischen Präsidenten, der in Den Haag wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht stand, hielt er dessen Grabrede. Ein Schritt, der ihn für längere Zeit ins literarische Abseits beförderte.
An der großen literarischen Qualität seiner Bücher und Theaterstücke gibt es jedoch kaum Zweifel. Handke galt seit Langem als möglicher Kandidat für den Nobelpreis. Dass er ihn nun tatsächlich erhalten hat, wird für ihn eine späte Genugtuung sein. Und schon jetzt darf man gespannt sein, mit was für einer Rede er diesmal, mehr als 50 Jahre nach Princeton, auf sich aufmerksam machen wird.
Weitere Meldungen aus dem Archiv vom 10.10.2019
- Alle Meldungen vom 10.10.2019 zeigen