Hintergrund

Vergangenheit in der Waffen-SS Presseschau zu Grass' spätem Bekenntnis

Stand: 14.08.2006 12:00 Uhr

Ein wichtiges Thema auch in den Kommentaren der deutschen Zeitungen ist das späte Eingeständnis von Nobelpreisträger Günter Grass, der Waffen-SS angehört zu haben. "Er hätte nicht stumm bleiben dürfen", meint die "Süddeutsche Zeitung". Die "Neue Züricher Zeitung" spricht von Selbstdemontage. Tagesschau.de stellt die wichtigsten Kommentare zusammen.

"Süddeutsche Zeitung"

Er hat aber diese Generation und die ganze Öffentlichkeit getäuscht. Nicht weil er zu viel geschwiegen hätte, sondern weil er zu viel sprach. Zu allem und jedem hatte der schnurrbärtige Praeceptor Germaniae etwas zu sagen - nur nicht dazu, wie es kam und wie es war, dass er selbst, wenn auch nur für ein paar Monate, die Uniform Himmlers und Heydrichs trug. Ja, dieser Vergleich ist polemisch und ungerecht gegenüber den vielen sehr Jungen, die damals nolens volens zur Waffen-SS kamen. Aber einer, der so lang, so häufig und oft zu Recht die Klarheit des Denkens und Redens eingefordert hat, der hätte nicht stumm bleiben dürfen über diesen Teil seiner Biographie.

"Neue Zürcher Zeitung"

In der Pose des selbstgewissen und von Eitelkeit nicht freien Moralisten versucht Günter Grass noch aus seinem Schuldgeständnis ein ästhetisch-ethisches Kapital zu schlagen. In Wahrheit wohnen wir einer Selbstdemontage bei. Wird das Werk - das wie kein anderes die deutsche Schuldverstrickung im Nationalsozialismus zu seinem unerschöpflichen Thema gemacht hat - von diesem späten Bekenntnis beschädigt? Nein, denn die Literatur folgt ihren eigenen Gesetzen, und manches aus dem Frühwerk hat Bestand.

"Financial Times Deutschland"

Die politisch-moralische Autorität, die der Schriftsteller stets für sich beanspruchte, ist durch sein reichlich spätes Erinnern ruiniert. Grass hat nie gezögert, wenn es darum ging, anderen ihre Mitläufervergangenheit, ihre Lügen und bequeme Selbstgerechtigkeit ätzend vorzuhalten. 1985, als der amerikanische Präsident Ronald Reagan und der deutsche Kanzler Helmut Kohl einen Soldatenfriedhof in Bitburg besuchten, auf dem auch einige jugendliche Mitglieder der Waffen-SS begraben sind, polemisierte Grass über 'Geschichtsklitterung' und 'Medienkalkül'. Die große Chance, mit seiner eigenen Geschichte ins Reine zu kommen und dadurch Glaubwürdigkeit zu gewinnen, ließ er verstreichen.

"Berliner Zeitung"

Irritierender noch ist die Frage, warum Grass sich so spät erst zu Wort meldete - gerade weil ihm kein ernsthafter Vorwurf zu machen ist. 1968 wäre eine Gelegenheit gewesen, als er die 'Rede an einen jungen Wähler, der sich versucht fühlt, die NPD zu wählen' hielt. Pädagogisch geschickt, verurteilte Grass diesen jungen Wähler nicht gleich als Neonazi, sondern sprach von eigenen Irrtümern. Wie wirksam wäre es gewesen, als gewesener Soldat der Waffen-SS aus dem Innersten dieses Irrtums zu sprechen!