Exponate auf der Documenta | AP

documenta 14 eröffnet "Inspirierend, verstörend, aufrüttelnd"

Stand: 10.06.2017 11:45 Uhr

Ab heute versammelt sich die internationale Kunstwelt wieder auf der documenta in Kassel. Am Vormittag eröffnete Bundespräsident Steinmeier die weltweit wichtigste Schau zeitgenössischer Kunst. Hauptthemen sind Flucht, Unterdrückung, Unsicherheit und Gewalt.

Die internationale Kunstwelt schaut wieder auf eine 200.000 Einwohnerstadt in Nordhessen. Grund ist die documenta 14 in Kassel. Am Vormittag eröffnete Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die weltweit bedeutendste Ausstellung zeitgenössischer Kunst gemeinsam mit Griechenlands Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos. In dessen Heimat in Athen läuft die Ausstellung bereits seit dem 8. April. "Von Athen lernen" lautet das Motto, darum sind im Kassler Hauptausstellungsort Fridericanum über 200 Werke aus der Sammlung des Nationalen Museums für Zeitgenössische Kunst in Athen zu sehen - ein absolutes Novum.

100 Tage lang präsentieren mehr als 160 Künstler in Kassel an 35 verschiedenen Orten ihre Werke. Aber auch Performances, also eine flüchtige Kunstform an der Grenze zu Theater und Tanz, nehmen einen großen Raum auf der documenta ein. Wie immer ist die documenta hochpolitisch und beschäftigt sich mit den drängenden sozialen Fragen unserer Zeit.

Besucher zielen mit Druckluftwaffen

So gehört zu den provokativsten Performances eine Scheinhinrichtung mit Druckluftwaffen. Die für ihre drastischen Aktionen bekannte Künstlerin Regina José Galindo aus Guatemala hat im Kasseler Stadtmuseum eine verstörende Szenerie aufgebaut: Sie stellt sich in eine weiße fensterlose Kammer, an deren Ecken aus vier Schießscharten die Mündungen der Waffen ragen. Besucher können auf die Künstlerin zielen. Die 42-jährige Galindo, mehrfache Teilnehmerin der Biennale in Venedig, geht mit der Aktion "El Objectivo" (Das Ziel) den Mechanismen der Gewalt in der Gesellschaft nach.

Das beleuchtete documenta-Kunstwerk "The Parthenon of Books" vor dem Fridericianum in Kassel. | dpa

Das beleuchtete documenta-Kunstwerk "The Parthenon of Books" vor dem Fridericianum in Kassel. Bild: dpa

Wer am Friedrichsplatz mit dem ehrwürdigen Hauptausstellungsort Fridericianum aus der Straßenbahn steigt, sieht den Athener Parthenontempel auf der Akropolis in Originalgröße vor sich. Das gigantische "Parthenon der verbotenen Bücher" der argentinischen Künstlerin Marta Minujín ist eine Nachbildung des antiken Tempels auf der Akropolis, umkleidet mit tausenden einst oder gegenwärtig verbotener Bücher. Das Werk will an Zensur, Unterdrückung und an die im Mai 1933 auf diesem Platz erfolgte Bücherverbrennung der Nationalsozialisten erinnern.

Bücher sind auch ein Thema in der Neuen Galerie. Dort stehen die Besucher vor einem deckenhohen Bücherregal. Wer allerdings die Erklärtafel zu dem Kunstwerk lesen möchte, muss sich bücken. Nur in Demutshaltung erfährt man die Geschichte dieser Bücher: Sie gehörten zu 40.000 Bänden aus jüdischen Privathaushalten, die sich die Berliner Stadtbibliothek 1943 einverleibte. Nun sind sie Teil eines Kunstwerks von Maria Eichhorn und der Mittelpunkt des documenta-Schwerpunkts zum Thema Raubkunst.

"Seismograph für den Zustand der Welt"

Der kurdische Künstler Hiwa K. geschäftigt sich mit Flüchtlingen. Ganz in der Nähe des Parthenons hat er Betonröhren übereinandergestapelt. Solche Röhren erinnern an diejenigen im Hafen von Patras in Griechenland, sie dienten Flüchtlingen als Unterkunft. Studenten der Kunsthochschule lud Hiwa K. ein, die Röhren innen wohnlich zu gestalten. Herausgekommen sind schaurig-schöne Idyllen.

Bundespräsident Steinmeier steht bei der Eröffnung der documenta 14 vor den Röhren des Installationskünstler Hiwa K. | dpa

Bundespräsident Steinmeier steht bei der Eröffnung der documenta 14 vor den Röhren des Installationskünstler Hiwa K. Bild: dpa

Die übereinandergestapelten Kanalisationsröhren bei Nacht. Sie sollen an Unterkünfte von Flüchtlingen in Griechenland erinnern.  | dpa

Die übereinandergestapelten Kanalisationsröhren bei Nacht. Sie sollen an Unterkünfte von Flüchtlingen in Griechenland erinnern. Bild: dpa

Kulturstaatsministerin Monika Grütters bezeichnete die documenta 14 als Seismograph für den Zustand der Welt. Künstler und Künstlerinnen konfrontierten die Besucher hier unmittelbar mit den drängenden Fragen unserer Zeit, sagte Grütters. "Inspirierend, verstörend, aufrüttelnd: All diese Eindrücke hinterlässt die documenta bei ihren Besuchern - so sind sie Spiegel all derjenigen gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen, vor denen die Welt steht."

Die documenta gibt es seit 1955 in Kassel. Der künstlerische Leiter der documenta 14, der Pole Adam Szymczyk, hatte zudem Athen zum zweiten Schauplatz gemacht. Die documenta in Kassel dauert bis zum 17. September, eine Million Besucher werden bis dahin erwartet.

Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 07. Juni 2017 um 22:15 Uhr und die tagesschau am 10. Juni 2017 um 17:00 Uhr.