EU-Fahnen hängen vor der Zentrale der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt/Main.
Kommentar

Hilfsprogramme in der EU Das passt einfach alles nicht zusammen

Stand: 27.10.2022 18:05 Uhr

Überall in Europa werden staatliche Hilfsgelder mit der Gießkanne verteilt, während die EZB den Leitzins drastisch anhebt. Das passt nicht zusammen. Es entsteht eine Spirale, die zunehmend außer Kontrolle gerät.

Deutschland macht den Doppel-Wumms, Frankreich subventioniert Benzinpreise und deckelt Strom- und Gaskosten für Privathaushalte, Italien spendiert Steuergutschriften für Energieverbraucher. Jeder in Europa tut irgendwie irgendwas, um zu entlasten.

Und zugleich strafft die Europäische Zentralbank die geldpolitischen Zügel in einer bisher ungekannten Weise: Jetzt mit ihrer Jumbo-Zinserhöhung um gleich 0,75 Prozentpunkte. Da muss man fragen: Wie passt das zusammen? Die Antwort ist: überhaupt nicht.

Hilfsprogramme heizen Probleme weiter an

Denn jeder schuldenfinanzierte Euro, der jetzt gegen die hohe Preise für Gas oder Strom oder Kraftstoff eingesetzt werden soll, wird am Ende nur dazu führen, dass diese Preise noch weiter steigen. Jedenfalls, so lange sich das Energieangebot nicht nennenswert erhöht oder die Nachfrage nicht deutlich sinkt.

Gut, im Moment helfen da auf eine geradezu widersinnige Weise die Rekord-Temperaturen in diesem bisherigen Herbst, die zu einem erheblichen Teil auch Ergebnis des Klimawandels sind, der wiederum durch die massenhafte Verbrennung fossiler Energieträger verursacht wurde - was jetzt weiter passiert, weil ja die Staaten gegen die hohen Energiepreise an-subventionieren, weshalb die Menschen ihre fossile Energie ja munter weiter verbrennen können. Das ist das eine.

Das andere - und ähnlich problematisch: Das heizt nicht nur das Klima weiter an, sondern eben auch die Inflation, zumindest auf mittlere und längere Sicht. Ja, es stimmt: Im Moment hält etwa Frankreich mit dieser Taktik die Teuerungsraten im eigenen Land noch relativ weit unten. Doch die Schuldenlast für den Staat steigt dadurch weiter an, es kommt zusätzliches Geld in den Umlauf und das führt bei der jetzigen Energieknappheit mehr oder weniger unweigerlich irgendwann zu einem Inflationsschub, der dann um so stärker ausfällt. Das 200-Milliarden-Energie-Hilfspaket in Deutschland dürfte ähnlich wirken.

Hilfen mit der Gießkanne

Das ist alles gut gemeint, sicher - aber: Es ist gefährlich. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat vor wenigen Wochen beim Treffen von Europas Finanzministern gesagt: Wenn die Zentralbank die Inflation erfolgreich bekämpfen wolle, dann brauche es in allen Mitgliedsstaaten eine neutrale Finanzpolitik. Also keine zusätzlichen und schon gar nicht auf Pump finanzierten Staatsausgaben, die dann auch noch quasi mit der Gießkanne verteilt werden. Und die Finanzminister haben alle brav genickt, denn Christine Lagarde muss es ja wissen. Aber sie tun das Gegenteil.

Denn statt mit staatlichem Geld gezielt nur denen zu helfen, die diese Hilfe wirklich brauchen, kommen diese Energiepreissubventionen allen zugute. Das wird die EZB zu weiteren drastischen Zins-Schritten zwingen und das Risiko einer erheblichen Rezession in ganz Europa massiv erhöhen. Ein hoher Preis dafür, dass Energie nicht immer teurer wird - ein zu hoher, in jeder Hinsicht.    

Holger Beckmann, Holger Beckmann, ARD Brüssel, 27.10.2022 18:17 Uhr
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