Kommentar
Cum-Ex-Urteil Schuld sind auch die Behörden
Stand: 19.03.2020 02:06 Uhr
Ja, die Strafen im Cum Ex-Verfahren sind milde. Das ist jedoch vertretbar. Denn die beiden Verurteilten haben als Kronzeugen geholfen, eine ganze Steuerhinterziehungs-Industrie aufzudecken.
Ein Kommentar von Massimo Bonanni, WDR
Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.
Dieses Sprichwort mag manch einem ehrlichen Steuerzahler beim Blick auf das heutige "Cum-Ex"-Urteil in den Sinn kommen. Während manch ein Schwarzfahrer im Gefängnis landet, kommen die beiden veurteilten Aktienhändler mit Bewährungsstrafen davon? Auf den ersten Blick kann das nicht gerecht sein. Schließlich haben allein die beiden mit ihren trickreichen Aktiengeschäften einen Steuerschaden von über 400 Millionen Euro mitverursacht. Einen solchen Schaden könnten wohl alle Schwarzfahrer der Republik gemeinsam nicht anrichten.
Doch bevor jetzt die Fäuste auf die Stammtische knallen: Ich finde die milden Strafen in diesem Fall absolut richtig. Die beiden Verurteilten haben mit ihren Geständnissen nämlich nicht nur ihre eigenen Taten eingeräumt. Als Kronzeugen haben sie wichtige Hinweise auf viele weitere Steuerräuber und neue Betrugsmethoden gegeben.
Eine ganze Steuerhinterziehungs-Industrie wird sichtbar
Die Staatsanwaltschaft Köln ist Dank der Kronzeugen inzwischen über 600 Beschuldigten auf der Spur. Banker, Berater, Steuerexperten, Aktienhändler. Sichtbar wird eine ganze Steuerhinterziehungs-Industrie. Und zutage kommen auch bislang unbekannte Methoden.
Die Bundesregierung und die Steuerbehörden saßen in dem Prozess natürlich nicht mit auf der Anklagebank. Doch die 44 Verhandlungstage haben auch auf sie kein gutes Licht geworfen. Die jahrelange Unfähigkeit der jeweils amtierenden Finanzminister, ein wirksames Gesetz gegen Cum-Ex- zu schreiben, hat den Kronzeugen zufolge übrigens wie ein Brandbeschleuniger gewirkt.
Behörden haben jahrelang geschlafen
Natürlich haben Finanzministerium und Steuerbehörden niemanden zum millionenfachen Steuerdiebstahl eingeladen. Jahrelang geschlafen haben sie aber gleichwohl.
Deshalb müssen die Verantwortlichen die neuen Spuren ernst nehmen. Sicher stellen, dass die Steuerhinterziehungs-Maschine nicht mit neuen Methoden einfach weiterläuft. Denn es kann nicht sein, dass es stets Staatsanwälte und lange Gerichtsprozesse braucht, um dem schädlichen Steuerdiebstahl endlich ein Ende zu bereiten.
Massimo Bognanni, WDR, kommentiert das Urteil im ersten Cum-Ex-Prozess
tagesthemen 22:40 Uhr, 18.03.2020
Urteil im Cum-Ex-Verfahren
Jochen Hilgers, WDR
19.03.2020 06:32 Uhr
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