Mitarbeiter entfernen ein Plakat mit einem Code, der beim Betreten des Bahnhofs von Xining in China wegen der Corona-Pandemie genutzt werden musste. | AFP
Kommentar

Chinas Covid-Wende Mit Ansage ins Chaos

Stand: 12.12.2022 14:09 Uhr

Chinas umstrittene Null-Covid-Politik hat dem Land eines gebracht: Zeit. Doch die Regierung hat verpasst, sie für einen geordneten Exit aus der Pandemie zu nutzen. Nun habe die Staats- und Parteiführung kapituliert.

Ein Kommentar von Benjamin Eyssel, ARD-Studio Peking

Zweieinhalb Jahre lang lautete das Narrativ in China: Nur die Kommunistische Partei Chinas schafft es, Menschenleben zu schützen - allen anderen Regierungen sind Menschenleben egal. Staats- und Parteichef Xi Jinping hat "Null Covid" als den einzig richtigen Weg beschrieben. In den Abendnachrichten des Staatsfernsehens war häufig normales Leben wegen niedriger Infektionszahlen in China zu sehen, während anderswo überfüllte Intensivstationen und Chaos gezeigt wurde - vor allem in den USA.

Benjamin Eyssel ARD-Studio Peking

Auch darauf hat man gern verwiesen: Während im bevölkerungsreichsten Land der Welt nach offiziellen Angaben nur etwas mehr als 5000 Menschen an Covid-19 gestorben sind, waren es in den USA mehr als eine Million. Die Zahl in China dürfte in Realität deutlich höher liegen, Fakt ist aber: In China sind durch die strikte Null-Covid-Politik deutlich weniger Menschen gestorben als anderswo.

Die Staats- und Parteiführung hat kapituliert

Doch all das wurde jetzt Hals über Kopf über den Haufen geworfen. Statt vom gefährlichen Virus sprechen Offizielle und Staatsmedien nun von der harmlosen Omikron-Variante, deren Infektionsverläufe meist mild seien: Bitte zuhause isolieren, auch mit Fieber nicht ins Krankenhaus gehen! Besonders glaubwürdig ist das nicht. Die bis vor kurzem alltäglichen Corona-Apps werden bedeutungslos, PCR-Teststationen abgebaut. Die offiziellen Infektions-Zahlen sinken seit Tagen - auch wenn in Peking gefühlt die Hälfte aller Menschen auf einmal Corona hat.

Die hochansteckenden Omikron-Subtypen fressen sich jetzt mit atemberaubender Geschwindigkeit durchs Land. Krankenhäuser sind bereits teilweise überlastet, die Menschen verunsichert. Eine Wende um 180 Grad. Die kommunistische Staats- und Parteiführung hat kapituliert. Die hochansteckenden Omikron-Subtypen ließen sich nicht mehr aufhalten, die Wirtschaft im freien Fall, dazu noch Proteste.

Die Zeit verpasst

Dabei hätte das nicht sein müssen. Man kann von Chinas strikter Null-Covid-Politik halten, was man will. Doch sie hat China Luft und Zeit verschafft. Zeit, sich auf einen geordneten Exit vorzubereiten, die Intensivbettenkapazitäten deutlich zu erhöhen, Covid-Medikamente im Land zu verteilen, für genügend Schnelltests zu sorgen und vor allem die ältere Bevölkerung ausreichend durchzuimpfen.

Man hätte im vergangenen Frühjahr oder Sommer geordnet öffnen können, schrittweise, mit klarer Kommunikation. Doch all das hat die Staats- und Parteiführung verpasst, hat sich zu sicher gefühlt mit ihrer Politik. Stattdessen wurden Unsummen in Quarantänelager und Massentests gesteckt.

Jetzt ist das passiert, wovor internationale Experten schon lange gewarnt haben: Auf einmal ist Durchseuchung angesagt. Die Menschen werden von heute auf morgen sich selbst überlassen - und das im Winter, wenn sich das Virus noch leichter verbreitet.

Hunderttausende könnten sterben

Natürlich ist die Situation eine andere: Ja, die Varianten haben mildere Verläufe als zu Beginn der Pandemie. Wir wissen viel mehr, außerdem gibt es Impfstoffe. Dennoch ist Corona weiter gefährlich, für viele lebensgefährlich. Es bleibt zu hoffen, dass China glimpflich durch diese Welle kommt.

Es dürfte die größte Corona-Welle werden, die ein Land je erlebt hat. Es ist allerdings zu befürchten, dass Hunderttausende Menschen sterben werden. Manche Experten gehen gar von bis zu zwei Millionen Toten aus. Die genaue Zahl wird die Welt vermutlich nie erfahren. Doch die Bilder von überfüllten Intensivstationen werden auch von der Zensur schwer zurückzuhalten sein. Bevor die Lage in China besser wird, dürfte es erstmal richtig schlimm werden. Vieles davon wäre vermeidbar gewesen.

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Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 10. Dezember 2022 um 13:45 Uhr.