Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
Kommentar

Entscheidung zu Abschiebungen Ein wichtiges Zeichen der Menschlichkeit

Stand: 15.06.2022 18:12 Uhr

Dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den britischen Abschiebeflug nach Ruanda gestoppt hat, ist ein Zeichen der Humanität. Dass er für Geflüchtete häufig die letzte rettende Instanz sei, erschüttere aber.

Ein Kommentar von Max Bauer, SWR

Es ist ein wichtiges Zeichen, ein wichtiges europäisches Zeichen. Dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den britischen Abschiebeflug nach Ruanda in letzter Minute gestoppt hat, ist ein Zeichen der Humanität. So kann man die Straßburger Eilentscheidung kommentieren. Aber der Satz von der Humanität, kommt einem nicht hoffnungsvoll über die Lippen. Denn die wichtige und richtige Entscheidung der Straßburger Richterinnen und Richter hat eine bittere Kehrseite.

Die Eilentscheidung des Menschenrechtsgerichtshofs ist nämlich alles andere als eine "seltene Intervention", wie man in ersten Meldungen lesen konnte. Straßburg hat in den letzten Jahren immer wieder Eilrechtsschutz in Menschenrechtssachen gewährleistet. Im Jahresschnitt gab es zwischen 100 und 250 erfolgreiche Entscheidungen, 50 bis 70 Prozent dieser Entscheidungen betreffen Abschiebungen.

Straßburg ist die letzte rettende Instanz

Rechtlich betroffen sind in diesen Fällen zentrale Menschenrechte. Es geht um den Schutz vor Folter, politischer Verfolgung oder auch vor weiblicher Genitalverstümmelung und sexueller Ausbeutung. Straßburg ist vielfach zu einer letzten rettenden Instanz geworden, wenn Europa Menschen abschieben will und sich über Abschiebehindernisse rechtswidrig hinwegsetzt.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als letzte Hoffnung für ein menschliches Europa: Das ist ein erschütternder Befund. Denn der skandalöse Deal Großbritanniens mit Ruanda ist kein europäischer Einzelfall. Auch das sozialdemokratische Vorzeigeland Dänemark setzt darauf, Asylverfahren in Länder außerhalb der Europäischen Union auszulagern und die geflüchteten Antragsteller gleich mit. Ein entsprechendes Gesetz gibt es in Dänemark bereits.

Europäische Standards bleiben auf der Strecke

Asylverfahren in Ländern, die weder effektiven Rechtsschutz noch die grundlegenden Menschenrechte gewährleisten können, sind aber keine Asylverfahren. Den britischen Konservativen und den dänischen Sozialdemokraten scheint es darum zu gehen, nicht nur die Mauern der Festung Europa zu erhöhen, sondern auch innerhalb dieser Mauern den Rechtsstaat nur für die eigenen Bürger zu garantieren. Zum Sozialstaats-Nationalismus kommt der Rechtsstaats-Nationalismus und auf der Strecke bleiben die europäischen Standards.

Von den vielen Verfahren, in denen der Straßburger Gerichtshof Eilrechtsschutz gegen Abschiebungen gewähren musste, betreffen ein paar auch Deutschland. Ironischerweise ging es bei diesen Verfahren um Auslieferungen und Abschiebungen nach Russland. Zwar war der Eilrechtsschutz in diesen alten Fällen nicht erfolgreich, symbolisch zeigen sie aber, worum es auch bei den Ruanda-Flügen der Briten gerade geht.

Russland hat das Menschenrechtsschutzsystem Europas verlassen. Europa kann als Instanz für Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte nur glaubwürdig auftreten, wenn der Geflüchteten-Schutz bei allen Gerichten, ob in Dänemark oder Großbritannien, gut aufgehoben ist und nicht nur in Straßburg.

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Max Bauer, SWR, 15.06.2022 18:42 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 15. Juni 2022 um 07:40 Uhr.