Soziale Probleme in Deutschland Unterschicht: Alter Begriff - neues Phänomen

Stand: 21.12.2010 21:34 Uhr

Als SPD-Chef Beck öffentlich von einem "Unterschichten-Problem" spricht, zuckt die Nation zusammen. Denn "Unterschicht" war in Deutschland lange Zeit ein Fremdwort. Doch durch Hartz IV hat sich die Situation für viele Menschen verschärft - und der Ausweg aus der Langzeitarbeitslosigkeit ist schwer.

Von Gábor Halász, MDR

Jürgen Schiller fühlt sich wohl. Zweimal pro Woche steht der Langzeitarbeitslose in der Küche. Er kocht in Halle-Silberhöhe für die, denen es vielleicht noch schlechter geht. Heute gibt es Rippchen mit Sauerkraut und Kartoffelpüree. Nach Hausfrauenart, wie Schiller stolz erzählt: "Ich strebe nicht unbedingt nach Höherem, sondern nach Sinnvollerem. Anderen helfen ist etwas, das Freude bereitet. Wie sagt man so schön: Geteilte Freude ist doppelte Freude.“

Schiller ist nach der Wende abgestürzt. In der DDR lehrte er Philosophie an der Uni. Doch plötzlich wollte niemand mehr von Marx, Engels und Lenin hören. Schiller wurde arbeitslos. Eine neue Stelle wird er nicht bekommen. So wie viele hier. "Es ist kompliziert, Menschen, die keine Zukunft besitzen, weil sie keine Arbeit haben, weil sie wirklich inhaltslos in den Tag hineinleben, wieder neu zu motivieren.“

Flucht aus der Platte

Zweimal in der Woche gibt es warmes Essen für einen Euro. Es macht satt, aber das ist oft nicht das Entscheidende, erzählt Christoph Kunz. Der katholische Priester hat den Mittagstisch ins Leben gerufen. 40.000 Menschen haben einmal in Halle-Silberhöhe gewohnt. Es war wie ein Lottogewinn, eine Wohnung in der Platte zu bekommen. 60 Prozent der Bewohner haben den Stadtteil seit der Wende verlassen. Geblieben sind die, die bleiben müssen. Es sind die Menschen, die Politiker Unterschicht nennen.

Auch Markus gehört dazu. Er ist erst 15, doch er hat schon viele Katastrophen erlebt. Sein kleines Zimmer teilt er sich mit seinem Bruder. Es ist kahl. Es gibt keine Fenster, nur zwei Betten und einen Schrank fast ohne Bücher. Frank Zabel, der Vater, ist schon seit 16 Jahren arbeitslos. Die Familie mit drei Kindern lebt von 1800 Euro im Monat. Für Urlaub oder Sportverein reicht das nicht.

Teufelskreis Armut

Hartz-IV-Familien stecken in einem Teufelskreis. Denn Armut ist vererbbar. Der Sozialpädagoge Lothar Langer will das nicht hinnehmen. Er betreut Kinder wie Markus in seiner Tagesgruppe. Er kümmert sich um Hausaufgaben und übernimmt Dinge, die Eltern nicht schaffen. "Die Eltern sind zwar da, sie geben ihnen das Essen", sagt der Sozialpädagoge. "Aber die anderen Dinge, die geistige Nahrung, die wird ihnen, oder kann ihnen häufig gar nicht gegeben werden von den Eltern, weil die mit ganz anderen Dingen beschäftigt sind als sich darum zu kümmern.“

Markus braucht die Hilfe, denn er ist zweimal sitzengeblieben. Lothar Langer will, dass er eine Chance im Leben hat. Und so ein bisschen hat Markus ihn auch verstanden. "Es hängt ja auch ein bisschen von mir ab, wie ich mich in der Schule führe", sagt Markus. "Wenn ich da nicht mitmache, habe ich weniger Chancen, als wenn ich mitmache.“

Doch was aus den Kindern von Halle-Silberhöhe wird, ist nicht sicher. Denn wer unten ist, hat es schwer, nach oben zu kommen. Dabei ist das Geld gar nicht so entscheidend.