Eltern der verschwundenen Madeleine McCann mit einem Foto ihrer vermissten Tochter | dpa
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Verdächtiger im "Fall Maddie" Eine lange kriminelle Karriere

Stand: 05.06.2020 12:28 Uhr

Ein Deutscher steht im Verdacht, das britische Mädchen Madeleine getötet zu haben. Der 43-Jährige hat eine lange kriminelle Vergangenheit: von Diebstahl, Drogenhandel bis zu Kindesmissbrauch und Vergewaltigung.

Von Florian Flade, WDR, und Lena Kampf, WDR

Christian B. sitzt in Haft, in der Justizvollzugsanstalt Kiel. Zu sieben Jahren Gefängnis hat ihn das Landgericht Braunschweig im Dezember 2019 verurteilt - wegen schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit räuberischer Erpressung. Mittlerweile gilt der 43-jährige Deutsche als Tatverdächtiger im Fall Madeleine McCann. Das dreijährige Mädchen war 2007 aus einer Hotelanlage in Portugal verschwunden.

Florian Flade
Lena Kampf

Christian B. war häufig mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Im amtlichen Strafregister finden sich 17 Einträge zu ihm - von Diebstahl, Urkundenfälschung, Rauschgifthandel, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Verstoß gegen das Waffengesetz bis hin zu Kindesmissbrauch und Vergewaltigung.

Erste Hinweise auf Christian B. hatte das BKA bereits 2013 erhalten, als der "Fall Maddie" bei "Aktenzeichen XY ungelöst" thematisiert worden war. Anschließend kamen noch weitere Informationen zusammen. Ein echter Beweis dafür, dass B. für das Verschwinden des britischen Mädchens verantwortlich ist, fehlt aber bislang.

Von Jugend an kriminell

Christian B. wurde 1977 in Bayern geboren, wuchs in einem Kinderheim auf. Später besuchte er die Hauptschule und begann eine Lehre als Kfz-Mechaniker. Im Jahr 1993 wurde er vom Amtsgericht Würzburg zu einer Jugendstrafe von acht Monaten auf Bewährung verurteilt - wegen mehrfachen Diebstahls und Fahren ohne Fahrerlaubnis. Nur ein Jahr später stand B. erneut in Würzburg vor Gericht, diesmal wegen des sexuellen Missbrauchs eines Kindes. Er erhielt eine Jugendstrafe von zwei Jahren auf Bewährung. 

Möglicherweise, um sich der Strafe zu entziehen, brach Christian B. im Jahr 1995 seine Ausbildung ab und zog mit seiner damaligen Freundin nach Lagos in Südportugal. Beide gingen dort wohl Gelegenheitsjobs nach, sie sollen Werbekunden für deutsche Zeitungen aufgetrieben haben. Später soll B. als Monteur bei einem Vertrieb für Markisen und Schwimmbadabdeckungen gearbeitet und schließlich mit Freunden eine eigene Firma gegründet haben. Zu dieser Zeit soll B. mit seiner Freundin in ein Haus am Rand von Praia da Luz gezogen sein. 

Nach Deutschland überstellt

Ende der 1990er-Jahre wurde B. in Portugal verhaftet und zur Vollstreckung der Jugendstrafe wegen Kindesmissbrauchs nach Deutschland überstellt. Er verbüßte die Haftstrafe und zog Ende 2000 zurück nach Praia da Luz. B. soll inzwischen seinen Job verloren und wieder unterschiedlichen Tätigkeiten nachgegangen sein: Anzeigenakquise für britische Zeitungen, Kellner in einem Hotel in Lagos, der Verkauf von Golfbällen, die er auf Golfplätzen einsammelte.

Zwischenzeitlich soll er auch einen Autohandel betrieben haben, Solarpaneele geklaut haben sowie Diesel aus abgestellten Lastwagen. Auch durch Einbrüche soll B. seinen Lebensunterhalt bestritten haben. 

Indizienprozess wegen gewalttätigen Einbruchs

Am 2. September 2005 gegen 22:30 Uhr soll Christian B. über die Terrassentür in das Haus einer 72 Jahre alten US-Amerikanerin in Praia da Luz eingedrungen sein. Das spätere Opfer habe gerade Fernsehen geschaut, als er - maskiert mit einer Sturmhaube und bewaffnet mit einem Krummsäbel - zunächst in das Wohnzimmer und dann in das Arbeitszimmer eingedrungen sei und nach Wertsachen gesucht habe, heißt es in dem Urteil. 

Als die Amerikanerin den Einbrecher bemerkte, soll B. sie am Hals gepackt und an den Haaren die Treppe hinauf in das Schlafzimmer gezerrt haben. Mit einem Seil soll B. die Frau gefesselt, dann geknebelt und ihr die Augen verbunden haben. Dann soll er die Frau vergewaltigt haben und sie gezwungen haben, ihm das Geld aus der Haushaltskasse zu geben - 80 bis 100 Euro. 

B. bestreitet die Tat bis heute. Im Dezember 2019 kommt es zu einem Indizienprozess. Man hatte ein Haar von B. im Schlafzimmer des Opfers gefunden. Falls es tatsächlich sein Haar sei, so B. im Prozess vor dem Landgericht Braunschweig, dann sei es wohl nur durch einen Zufall dort gelandet. Er habe mal die Katze der Amerikanerin gestreichelt, vielleicht sei das Haar ja so ins Bett gekommenB. hat Revision gegen seine Verurteilung eingelegt.

Angeblich Videos von sexueller Gewalt gegen Frauen

Im Dezember 2006 verurteilte ein portugiesisches Gericht B. zu einer Ersatzfreiheitsstrafe, nachdem er in einem Jachthafen Diesel gestohlen hatte. Noch als er in Untersuchungshaft saß, sollen zwei Bekannte zu seinem Haus in Praia da Luz gefahren sein, um ihn zu bestehlen. 

Später sollen die Männer gegenüber der Polizei ausgesagt haben, sie hätten auch eine Videokamera und zahlreiche Kassetten mitgenommen. Auf einem Video sei zu sehen, wie B. eine ältere Frau vergewaltigt habe. Eine andere Aufnahme zeige angeblich eine junge Frau, die in seinem Haus nackt an einen Holzbalken gefesselt worden sei. Es sollen auch diese Aussagen gewesen sein, die B. schließlich ins Visier der Ermittler im "Fall Maddie" rückten.

Bewährungsstrafe für Drogenhandel

Nach der Haftentlassung zog B. für wenige Wochen zu seiner damaligen Freundin nach Dresden, dann nach Augsburg und schließlich zurück nach Portugal. Lange hielt es ihn dort wohl nicht. B. ging wieder nach Deutschland, lebte in Hannover offenbar in einem Wohnmobil und arbeitete in einer Autowerkstatt. Gemeinsam mit einem Bekannten soll er dann im Sommer 2007 geplant haben, Drogen nach Sylt zu schmuggeln. Mehrere Kilogramm Marihuana und Haschisch soll sich B. bei einer Dealerin im brandenburgischen Oranienburg beschafft haben. 

Das Amtsgericht Niebüll verurteilte B. im Oktober 2011 wegen Drogenhandels zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten - zunächst auf Bewährung. Das Gericht attestierte ihm damals eine günstige Sozialprognose. Er lebe in einer "gefestigten Beziehung mit seiner Verlobten", heißt es in dem Urteil, außerdem führe er ein "nach seiner Rückkehr aus Portugal nunmehr ein selbstbestimmtes Leben".

Nur kurze Rückkehr ins bürgerliche Leben

In Hannover soll B. von Dezember 2012 bis Mitte 2014 mit seiner Verlobten einen Kiosk betrieben haben. Dann soll er einen "Burnout" erlitten haben, wurde arbeitslos, bezog fortan Hartz IV und wohnte in einem Schrebergarten in Braunschweig. Die dortige Staatsanwaltschaft ermittelte bald gegen B. wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs eines Kindes. Noch bevor er festgenommen wurde, setzte sich B. erneut nach Portugal ab. Daraufhin wurde ein Europäischer Haftbefehl gegen ihn ausgestellt. 

Kate und Gerye McCann | dpa

Kate und Gerye McCann mit einem Bild ihrer Tochter. Bild: dpa

Im Juni 2017 wurde der Deutsche in Portugal festgenommen und nach Deutschland ausgeliefert. Er saß eine Haftstrafe von einem Jahr und drei Monaten ab und reiste anschließend im September 2018 nach Italien - wo er erneut festgenommen wurde. Die Strafaussetzung des Amtsgerichts Niebüll wegen Drogenhandels war widerrufen worden, B. wurde zur Strafvollstreckung nach Deutschland zurückgebracht.

Freilassung durch Justizfehler?

Dass er 2018 überhaupt noch einmal auf freien Fuß kam, könnte ein Fehler der deutschen Justizbehörden gewesen sein, so rügte es zumindest im April 2020 der Bundesgerichtshof. Eigentlich hatte die Staatsanwaltschaft in Flensburg Christian B. im September 2018 nicht aus der Haft entlassen wollen - sie wollte ihn wegen der nicht verbüßten Haftstrafe wegen des Drogenhandels auf Sylt weiter im Gefängnis behalten.

Dafür aber benötigte man die Zustimmung der portugiesischen Behörden - diese hatten B. ja nur wegen des Kindesmissbrauchs ausgeliefert. Da diese Bitte an Portugal aber verspätet erfolgte, musste Christian B. am 31. August 2018 aus der Haft entlassen werden. Er reiste anschließend nach Italien, wo er vier Wochen später erneut festgenommen wurde. Und nun droht ihm die nächste Anklage.

Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 05. Juni 2020 um 07:39 Uhr.