Cum-Ex-Skandal Verschleppte die BaFin die Aufdeckung?
Die Bankenaufsicht BaFin erfuhr schon 2007 von mutmaßlichen Cum-Ex-Steuerbetrügereien. Das zeigen Recherchen von WDR und SZ. Doch sie gab Hinweise nicht weiter. Der Staat verlor in den Folgejahren Milliarden an Steuergeldern.
Die E-Mail, die am 7. Mai 2007 um 10.07 Uhr auf dem Bildschirm eines Mitarbeiters der Bankenaufsicht BaFin aufploppte, entstammte der Welt des großen Geldes. Es meldete sich ein Whistleblower mit vertraulichen Informationen, offensichtlich aus dem Inneren der Finanzindustrie. Der Hinweisgeber schickte der BaFin ein fünfseitiges Dokument. Möglicherweise, schrieb der Whistleblower, bestehe bei der Bankenaufsicht ja Interesse. Schließlich gehe es um riesige Aktiengeschäfte, die den deutschen Staat in den Jahren zuvor bereits Hunderte Millionen Euros gekostet hätten.
Viele Jahre lang lagerte diese Eingabe in den Beständen der BaFin als Geheimsache. Sie leitete den Hinweis weder an Strafverfolger noch Steuerfahnder weiter. WDR, "Süddeutsche Zeitung" (SZ) und die niederländische Investigativplattform "Follow The Money" (FTM) konnten die entsprechenden BaFin-Unterlagen nun einsehen. Zutage kommt das Bild einer Bankenaufsicht, die sich offenbar mit den Angaben eines betroffenen Geldhauses abspeisen ließ. Die Finanzaufseher, mittlerweile wegen des Wirecard-Skandals in der Kritik, spielen demnach auch im Cum-Ex-Steuerskandal eine zweifelhafte Rolle.
Hätte Cum-Ex schon 2007 aufgedeckt werden können?
Der Hinweis von 2007 war sogar geeignet, die damals noch unentdeckt agierende, globale Cum-Ex-Industrie auffliegen zu lassen. Eine Industrie, bei der sich Banker, Aktienhändler und Berater mithilfe komplexer Aktiengeschäfte Steuern erstatten ließen, die zuvor niemand gezahlt hatte. Ihre Beute wird auf zehn Milliarden Euro geschätzt - allein an deutschem Steuergeld. Milliarden, die der Staat in den letzten Jahren dringend gebraucht hätte, für Schulen, Kindertagesstätten, Gesundheits- und Sozialfürsorge, für eine moderne Infrastruktur, bezahlbaren Wohnraum und vieles mehr.
Konkret stach der Whistleblower 2007 Details über mutmaßliche Cum-Ex-Geschäfte durch, in die die damals mächtige wie skandalumwobene nordrhein-westfälische Landesbank WestLB involviert gewesen sein soll. Zum Beleg hing der Mail in englischer Sprache ein Dokument aus dem Inneren der belgisch-niederländischen Fortis-Bank an. In dem internen Bericht, der WDR, SZ und FTM vorliegt, ist die Aussage eines Fortis-Mitarbeiters dokumentiert.
Der Fortis-Banker schilderte Geschäfte, mit denen sich eine Steuer zweimal erstatten ließe, die nur einmal gezahlt worden sei. Als Beispiel nannte er ein Milliarden-Aktiengeschäft aus dem Jahr 2004, bei dem sich die Beteiligten in Deutschland Steuern in Höhe von rund 100 Millionen Euro hätten erstatten lassen. Eine wichtige Rolle habe die NRW-Landesbank WestLB eingenommen, der letztlich Steuern ausgezahlt worden seien. Der "Gewinn" sei unter den Beteiligten aufgeteilt worden: Zehn Millionen Euro habe die WestLB selbst kassiert, Fortis 60 Millionen Euro, zwischengeschaltete Finanzfirmen rund 30 Millionen Euro. Was er mit Detailwissen und einem Schaubild zu Protokoll gab, war die erste konkrete Anzeige eines mutmaßlichen Cum-Ex-Falls.
BaFin kontaktierte Beschuldigte statt Behörden
Die BaFin schien die Eingabe ernst zu nehmen. Handschriftlich vermerkte ein Aufseher auf der ausgedruckten Whistleblower-Mail, die Leitung sei informiert worden. In einer ersten Einschätzung hielten die BaFin-Experten fest, dass es sich um Steuerhinterziehung handeln könne. Doch statt die Staatsanwaltschaft oder Steuerfahndung einzuschalten, informierte die BaFin: die WestLB.
In dem Schreiben vom 11. Mai 2007 wandte sich ein BaFin-Prüfer an die Staatsbank, ihm seien Informationen anonym zugetragen worden. Eingefügt waren auch Absätze des internen Fortis-Berichts. Die Landesbanker erfuhren so, dass die Hinweise aus dem Inneren von Fortis stammen mussten - ein brisantes Detail für eine Bank, die womöglich etwas zu verbergen hatte.
Bei Cum-Cum-Geschäften hilft eine inländische Bank einem ausländischen Investor dabei, eine Steuerrückzahlung zu ergattern, auf die dieser keinen Anspruch hat. Der Gewinn wird aufgeteilt.
Cum-Ex-Geschäfte sind damit verwandt, aber weitaus komplizierter. Die Besonderheit: Eine Steuer wird einmal abgeführt und mehrfach vom Fiskus zurückgefordert. Ein Netzwerk aus Banken, Beratern, Anwälten und reichen Investoren ließ sich also Steuern erstatten, die nie bezahlt wurden.
WestLB beruhigte BaFin
Zwei Wochen später gab die WestLB Entwarnung. Man habe den Sachverhalt geprüft. Rechtlich sehe man keine Probleme, zudem habe man eher Hinweise auf Geschäfte gefunden, die als strafrechtlich weniger kritische Cum-Cum-Geschäfte eingestuft werden könnten. Eine in Zeilen gegossene Beruhigungspille, wie es heute scheint. Die BaFin schluckte sie - der Fall war für die Aufseher damit offenbar erledigt.
Die BaFin bestätigte auf Anfrage, der Hinweis sei "durch das zuständige Fachreferat bankaufsichtlich aufgegriffen" worden. Jedoch sei damals die Weitergabe von Informationen "an andere Behörden, insbesondere Steuerbehörden" wegen der Verschwiegenheitspflichten des Kreditwesengesetzes nicht erlaubt gewesen. Erst 2015, so die BaFin, sei dies durch eine Gesetzesänderung möglich geworden.
Die Staatsanwaltschaft Köln, momentan mit unzähligen Cum-Ex-Verfahren beschäftigt, widerspricht dem entschieden. Eine Verschwiegenheitspflicht für mutmaßliche Steuerhinterzieher "besteht weder aktuell noch hat sie in der Vergangenheit bestanden". Es habe auch im Jahr 2015 keine dafür relevante Änderung des Gesetzes gegeben, wie ein Sprecher mitteilte. Konfrontiert mit der klaren Ansage aus Köln schweigt die BaFin.
Ermittlungen erst neun Jahre später
Dass es in Sachen WestLB und Cum-Ex doch noch zu Ermittlungen kam, ist dem Ankauf einer sogenannten Steuer-CD Jahre später zu verdanken. Für fünf Millionen Euro hatte das NRW-Finanzministerium 2015 die Hinweise eines anderen Cum-Ex-Insiders gekauft. Unter den dort angegebenen Banken: die WestLB. Neun Jahre nach dem Hinweis des BaFin-Whistleblowers leitete die Staatsanwaltschaft Düsseldorf Ermittlungen gegen frühere Vorstände der WestLB ein. Sie gab das Verfahren unlängst nach Köln ab, wo es bis heute läuft.
Die Steuerbehörden sind im Fall WestLB indes schon einen Schritt weiter. Das Düsseldorfer Finanzamt forderte von der Rechtsnachfolgerin der inzwischen insolventen WestLB, der Portigon, wegen der Verstrickung in Cum-Ex-Geschäfte Steuergelder in Höhe von mehr als 450 Millionen Euro zurück. Portigon hat Einspruch eingelegt - und versucht einen Teil der Kosten auf die Abwicklungsgesellschaft EEA abzuwälzen.
Portigon erklärte auf Anfrage: "Ohne die nur der Staatsanwaltschaft und Steuerfahndung zur Verfügung stehenden Mittel und Möglichkeiten war weder in 2007, noch ist heute für die WestLB bzw. Portigon erkennbar, ob es sich um kritische Geschäfte handelte."
Finanzministerium: Geschehnisse sind aufgearbeitet
Das Bundesfinanzministerium hält die Whistleblower-Geschehnisse von 2007 durch den Cum-Ex-Untersuchungsausschuss bereits für "aufgearbeitet". Tatsächlich brachte 2017 der damalige Grünen-Abgeordnete Gerhard Schick entsprechende Dokumente in den Ausschuss ein. Doch auch dort wurden sie als "Geschäftsgeheimnisse" eingestuft - und ihr brisanter Inhalt niemals öffentlich.
Schick, inzwischen Vorstand der Nichtregierungsorganisation "Finanzwende", ist erleichtert, dass die Vorgänge von 2007 nun doch noch öffentlich werden: "Es war schwer zu ertragen, wie lange die BaFin öffentlich behaupten konnte, sie habe nichts tun können. Das war eine grobe Irreführung der Öffentlichkeit." Die Geheimhaltungspflicht für diese Dokumente im Untersuchungsausschuss hätte Personen geschützt, die kläglich versagt hätten, "sei es in der Finanzaufsicht oder in den Gremien der WestLB".