Der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow
Exklusiv

Tschetschenen in der Ukraine Kadyrows Heiliger Krieg?

Stand: 25.03.2022 13:08 Uhr

Im Ukraine-Krieg will sich Tschetschenen-Führer Kadyrow mit Kampftruppen als nützlicher Helfer Putins inszenieren. Auffällig ist, wie er mit islamischer Symbolik spielt. Doch was bezweckt er damit?

Von Eric Beres, SWR

Ein Video, das einen vermeintlichen Häuserkampf in der Stadt Mariupol zeigt: Männer in Uniformen, teils mit langen Bärten, schießen auf ein Wohngebäude. Dort sollen sich angeblich Kämpfer des ukrainischen rechtsnationalistischen Asov-Regiments verschanzt haben. Unterlegt sind die Szenen mit einem traditionellen islamischen Gesang. Auf arabisch heißt es dort unter anderem: "Die Kuppeln der Wahrheit sind unsere Helme, die Moscheen sind unsere Kasernen."

Aufnahmen, die an Propagandavideos islamistischer Gruppen in Syrien erinnern und vor einigen Tagen im Telegram-Kanal von Ramsan Kadyrow verbreitet wurden. Kadyrow ist der seit 2007 amtierende Präsident der russischen Teilrepublik Tschetschenien. Er gilt als Statthalter Wladimir Putins. Seit Kriegsbeginn postet er für seine 1,4 Millionen Follower Videos, die Aufmärsche in Tschetschenien und angebliche Kriegshandlungen in der Ukraine zeigen sollen. Ob Kadyrows Truppen dort tatsächlich eine signifikante Rolle spielen, wird von Militärbeobachtern bezweifelt.

Screenshot eines Bildes aus dem Telegram-Kanal von Kadyrow

Schießerei vor einem Haus - angeblich in der Ukraine

Propagandavideos mit islamischer Symbolik

Immer wieder spielt Kadyrow in den teils martialisch aufgemachten Videos mit islamischer Symbolik. Zwischen Straßenkämpfen und Fahnenappellen finden sich Szenen, die Kadyrow und seine Entourage beim Beten in einer Moschee zeigen. In Videos, die vermeintlich Kadyrows Soldaten an der Front zeigen, rufen bärtige Männer "Allahu Akbar" oder recken den rechten Zeigefinger in die Luft - ein Zeichen, das häufig von Islamisten benutzt wird. Es ist das Bekenntnis zum "Tauhid", dem muslimischen Einheitsglauben. 

Die nur knapp über eine Million zählende Bevölkerung in Tschetschenien ist überwiegend muslimisch geprägt. Für die Politikwissenschaftlerin Miriam Katharina Heß, die bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) zum Extremismus in Europas tschetschenischer Community forscht, liegt ein Motiv der Inszenierungen Kadyrows auf der Hand: Es gebe auch in Tschetschenien eine gewisse Art von Opposition, die komplett unterdrückt werde. "Aber da einige von denen, die diese Proteste normalerweise unterdrücken, nun in der Ukraine kämpfen, benötigt Kadyrow umso mehr innenpolitische Unterstützung. Das versucht man über die Religion zu schaffen."

Screenshot eines Bildes aus dem Telegram-Kanal von Kadyrow

Kadyrows Kämpfer in der Ukraine

"Kampf für den Koran"

In einigen Videos zeigt sich Kadyrow mit dem tschetschenischen Großmufti Salah Mirsajew. Dieser hatte laut dem Portal "Kavkazr", das zum tschechischen "Radio Free Europe" gehört, bereits Ende Februar die Beteiligung der Tschetschenen am Krieg in der Ukraine religiös gerechtfertigt - obwohl der Krieg mit Putin von einem Christen angeführt wird.

Der Mufti führt aus, dass schon die Gefährten des Propheten Mohammed im siebten Jahrhundert an der Seite einer äthiopischen Armee und unter dem Kommando eines Christen gekämpft hätten. Kurzum, die Muslime kämpften in der Ukraine für den Koran und für den Propheten. Wer dort sterbe, tue dies als Märtyrer.

Signal an Tschetschenen in Westeuropa?

In Kadyrows Propaganda vermutet Heß ein weiteres Motiv: Dieser wolle seine politischen Gegner in der Diaspora herausfordern. In den vergangenen Jahren haben viele Tschetschenen muslimischen Glaubens das repressive Kadyrow-Regime Richtung Westeuropa verlassen. Allein in Deutschland sollen 50.000 Tschetschenen leben. Manche von ihnen neigen einem radikalen Islam zu, sympathisieren teilweise mit der Terrormiliz IS. "Diese Personen sehen jetzt, dass Kampfhandlungen der Pro-Kadyrow Kämpfer in der Ukraine aufgeladen werden wie die Kampfhandlungen zum Beispiel des IS, und das ist natürlich eine Art von Provokation", meint Heß.  

Andere Gegner Kadyrows würden sich ärgern, dass dieser die Religion missbrauche. Laut Heß gibt es Reaktionen, etwa in Österreich, wonach sich Tschetschenen mit dem Gedanken tragen, in die Ukraine zu reisen, um gegen Kadyrows Soldaten zu kämpfen. Es soll bereits erste Ausreisen geben haben. Dies, so befürchtet sie, könne Kadyrow in die Karten spielen: "Das tschetschenische Regime sieht Personen der politischen Opposition als Extremisten und Terroristen an. Wenn diese dann aus Deutschland oder Österreich ausreisen, dann hat Kadyrow wieder ein neues Narrativ, mit dem er sein eigenes Engagement im Krieg stützen kann."

Kadyrow-Propaganda auf Arabisch

Seit einer Woche richtet sich Kadyrow mit einem eigens gegründeten Telegram-Kanal auch an ein arabischsprachiges Publikum. Dort bezeichnet er sich als "Diener des heiligen Koran". Erkennbar versucht er den Spagat zwischen unreligiöser Kriegspropaganda, Treubekundungen zu Putin und eben der Inszenierung der Rolle als Kämpfer für den Islam. Jüngst postete er ein vermeintliches Dankesschreiben eines Followers, der Kadyrow dafür lobt, den "Geist des wahren Dschihads" zurückgebracht zu haben.

Politikwissenschaftlerin Heß glaubt, dass Kadyrow den Ukraine-Krieg nutzen will, um dort sichtbarer zu werden, wo der Islam weit verbreitet ist, auch wenn er in der arabischen Welt bisweilen auf Unmut stößt. Laut dem Portal "Al-Monitor" haben führende islamistische Rebellengruppen in Nordwestsyrien Kadyrows Kriegsbeteiligung in der Ukraine bereits scharf kritisiert. Schließlich unterstütze dieser den russischen Machthaber Putin im Krieg in Syrien und damit das Töten vieler Muslime.

Screenshot eines Bildes aus dem Telegram-Kanal von Kadyrow

Kadyrow inszeniert sich als "heiliger Krieger"

Kein "lupenreiner Muslim"

Für Verärgerung könnte auch sorgen, dass sich Kadyrow bei dem erwähnten "Nasheed" ausgerechnet der Hymne "Nimm unser Blut" bedient hat. Laut Experten stammt sie ursprünglich von der islamistischen Terrororganisation "Ahrar As-Sham" - also ausgerechnet von einer Gruppierung, die in Syrien das Assad-Regime und dessen Verbündeten Putin bekämpft.

Expertin Heß schließt nicht aus, dass der tschetschenische Machthaber den "Nasheed" schlicht aus Unwissenheit benutzt hat: "Kadyrow ist sicherlich kein lupenreiner Muslim." Alles, was er mache, ob es sich in dieses religiöse Narrativ einordnen lasse oder nicht, diene dem Ziel, den eigenen Machtapparat durch Propaganda zu stärken.