
EU-Lieferkettengesetz Wie Lobbyisten "mitgearbeitet" haben
Die EU will Unternehmen verpflichten, bei Lieferanten auf die Einhaltung von Menschenrechten zu achten. Der Entwurf für das Gesetz soll nun vorgelegt werden, Recherchen von Correctiv und SWR zeigen, wie Lobbyisten es beeinflussen wollen.
Am Mittwoch will die EU-Kommission ihren Entwurf für ein Lieferkettengesetz vorlegen. Damit sollen Unternehmen verpflichtet werden, bei ihren ausländischen Lieferanten auf die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards zu achten. Wer dagegen verstößt, sollte dafür haftbar gemacht werden, so fordern es Organisationen für Menschenrechte und Umweltverbände schon seit vielen Jahren.
Doch Lobbyverbände haben hinter den EU-Kulissen massiv gegen ein scharfes Lieferkettengesetz gearbeitet. Das geht aus internen EU-Dokumenten hervor, die Correctiv und SWR ausgewertet haben. Dabei hatten die Lobbyverbände vor allem ein erkennbares Ziel: das Lieferkettengesetz abzuschwächen. Nach Recherchen von Correctiv und SWR haben unter anderem die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BdA) und die CDU-nahe Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) gegen das Lieferkettengesetz lobbyiert.
Lobbyisten: Planungen sind "besorgniserregend"
So schreibt ein Vertreter der Mittelstandsunion an Mitarbeiter des Bundeswirtschaftsministeriums am 11. März 2021 eine Mail. Darin heißt es, die Planungen für ein EU-weites Lieferkettengesetz seien "besorgniserregend". Dann werden Beispiele dafür aufgezählt, was die MIT für besorgniserregend hält: "zivilrechtliche Haftung" (für Unternehmen) oder auch eine "stärkere Berücksichtigung von Umweltaspekten". Außerdem dürften die deutschen Unternehmen nicht verpflichtet werden, detaillierte Berichte über die Lieferländer zu erstellen, denn das würde "die deutschen Unternehmen massiv belasten".
Das Vorhaben werde vom Bundeswirtschaftsministerium "als auch von der CDU/CSU Bundestagsfraktion abgelehnt". Und dann wird der Vertreter der Mittelstandsunion deutlich: Da sich das Gesetz "nicht mehr aufhalten lässt, müssen wir alle Anstrengungen darauf verwenden, Schlimmeres zu verhindern".
Arbeitgeberverbände machen Druck
Auch die Arbeitgeber werden danach aktiv. Am 30. April 2021 geht im Justiz-Ressort der Europäischen Kommission eine E-Mail der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) ein, im Betreff steht: "Globale Lieferketten: Erwartungen der deutschen Wirtschaft hinsichtlich möglicher Gesetzgebungsmaßnahmen". Im Anhang schickt der Verband ein sogenanntes Non-Paper mit, also ein informelles, internes Papier, das nicht zur Veröffentlichung gedacht ist. Die Forderungen sind deutlich: Die deutsche Wirtschaft habe "praktische Erwartungen" an eine europaweite Regulierung: Die Umsetzung müsse "machbar" wie "angemessen" sein und "rechtliche Sicherheit" bieten.
Weder die Mittelstandsunion noch die BDA äußerten sich dazu auf Anfrage. Correctiv und SWR liegt eine geleakte aktuelle Fassung des Entwurfs der Kommission vor, der zwar vergleichsweise weitgehende Regulierungen enthält. Allerdings fallen einige kritische Punkte, insbesondere hinsichtlich der Haftung und der Sorgfaltspflichten des Vorstands, eher weich und unkonkret aus. In diesen Punkten bleibt der Text hinter einem Vorschlag des EU-Parlaments aus dem März vergangenen Jahres zurück.
Noch Streit über Details
Ob der Entwurf morgen genauso vorgestellt wird, ist noch nicht klar. Aus der Kommission hieß es am Dienstag, es werde aktuell noch über einzelne Details gestritten.
"Die Idee, Leitplanken für die Geschäftsinteressen aufzustellen, ist wohl ziemlich eingedampft worden", sagt der EU-Abgeordnete Bernd Lange (SPD) im Hinblick auf die verbindlichen Sorgfaltspflichten und Haftungsregelungen. "Die Verbände schießen absolut dagegen. Die sehen eine Regulierung als Angriff auf das freie Unternehmertum, und das hat zu erheblichen Diskussionen geführt."
Regelungen wurden abgeschwächt
In Deutschland trat bereits im vergangenen Jahr ein Lieferkettengesetz in Kraft. Das wurde von Menschenrechts- und Umweltaktivisten bereits als zahnlos und lückenhaft kritisiert. Wirtschaftsverbände hatten auch hier im Vorfeld vehement Einfluss genommen. Nun deutet sich an, dass sich dasselbe auf europäischer Ebene wiederholt.
Dabei hatte das Europaparlament im März 2021 einen ambitionierten Vorschlag für eine neue Richtlinie beschlossen. Demnach sollten schon für Unternehmen ab 250 Mitarbeitern weit reichende Sorgfaltspflichten gelten, die die gesamte Lieferkette umfassen. Im Falle von Verstößen waren Bußgelder und eine privatrechtliche Haftung vorgesehen. Laut dem geleakten Entwurf sollen erst Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern betroffen sein. EU-weit wären dies rund 12.000.
Gerade diese Vorgaben hinsichtlich Mitarbeiterzahl hat die Wirtschaftslobby in den vergangenen Monaten massiv attackiert. Die BDA schreibt in seinem Non-Paper dazu: "Die Tragweite jedweder möglicher Lieferketten-Regulierung sollte begrenzt sein." Unternehmen mit weniger als 5000 Beschäftigten "sollten von jedweden regulierenden Maßnahmen ausgeschlossen sein". Auch eine zivilrechtliche Haftung lehnt der BdA ab, ebenso Sorgfaltspflichten, die über das erste Glied der Lieferkette - also den direkten Zulieferer - hinausgehen. Vereinfacht gesagt, anstatt die ganze Lieferkette in Bezug auf Umwelt- und Menschenrechte zu kontrollieren, sollte man nur auf das erste Kettenglied schauen.
Misereor: Gesetzt wird weichgespült
Die Organisation Misereor zeigt in einem aktuellen Bericht auf, wie die Wirtschaftslobby Einfluss auf die Politik ausgeübt hat, um das Lieferkettengesetz auszuhöhlen. "Das deutsche Lieferkettengesetz war ein guter Anfang", sagt Armin Paasch, Menschenrechtsexperte bei Misereor, "aber in einigen wichtigen Aspekten ist es uns zu schwach, deswegen sagen wir: Das EU-Lieferkettengesetz muss diese Punkte nachbessern."
Allerdings befürchtet Paasch, dass genau das Gegenteil passiert: "Das Risiko ist, dass die zentralen Elemente weichgespült werden. Und dazu gehört die zivilrechtliche Haftungsregel, die Umweltstandards und Klimaschutz, die Erfassung der gesamten Wertschöpfungskette. Dann hätte das Lieferkettengesetz nicht nur keinen Mehrwert, sondern wäre kontraproduktiv. Es würde nationale Gesetze wieder schwächen."
Entwurf wurde mehrfach verschoben
Die Veröffentlichung des Entwurfs indes wurde mehrmals nach hinten verschoben: Im Mai und im Dezember machte der "Ausschuss für Regulierungskontrolle" Bedenken geltend und erwirkte so einen Aufschub. Der Ausschuss ist ein Organ der Kommission, das Gesetzesentwürfe überprüfen soll. Dass dieses Gremium einen Entwurf zwei Mal hintereinander ablehnt, sei äußerst ungewöhnlich, sagt der EU-Abgeordnete Tiemo Wölken (SPD).
Wölken geht davon aus, dass sich die Arbeit der Lobbyorganisationen und Verbände in den kommenden Wochen noch einmal intensivieren wird. Denn als nächstes verhandelt das EU-Parlament mit dem Rat über die genauen Regelungen. Wölken befürchtet: "Bei den Verhandlungen werden wir mit noch deutlich mehr Widerstand rechnen müssen."