
Russische Propaganda im Netz Die Armee der Trolle
Hunderte Kommentare mit ähnlichem Inhalt und anonyme Profile, die hyperaktiv zum Krieg gegen die Ukraine twittern: Russland hat offenkundig wieder Trolle in die digitale Schlacht geschickt.
Das Video eines ukrainischen Nachrichtensenders ist erst vor wenigen Minuten auf YouTube veröffentlicht worden, doch umgehend tauchen darunter diverse Kommentare mit ähnlichem Inhalt auf: Bald werde Hunger in der Ukraine herrschen, das Land habe bereits verloren, der Westen habe dies verstanden, heißt es in einem dieser Kommentare. Das ukrainische Volk müsse "den Krieg aufgeben und ein neues, normales, friedliches Leben im Bündnis mit Belarus und Russland aufbauen".
Der Beitrag stammt von einem Profil, das erst seit fünf Tagen existiert - aber bereits Dutzende ähnliche Kommentare auf dem Kanal des ukrainischen Senders veröffentlicht hat.
Unsicherheit und Angst verstärken
Fachleute von der Organisation "Reset Tech", die Kommunikation auf Online-Plattformen analysiert, haben viele ähnliche Profile beobachtet; viele Indizien sprechen den Fachleuten zufolge dafür, dass es sich um russische Fake-Konten handelt. Ob es sich um Bots handelt, über die in den vergangenen Jahren viel spekuliert wurde, lässt sich kaum feststellen, sagt der Analyst Anton Dek im Gespräch mit tagesschau.de. Dek arbeitet für die ukrainische Firma Trementum, die für "Reset Tech" eine Analyse über Propaganda-Aktivitäten im Netz erstellt hat.
"Mit absoluter Sicherheit lässt sich nie sagen, ob es sich um einen Bot, einen realen User, oder eine Mischform handelt", sagt Dek. Schließlich arbeite "die Kreml-Propaganda einerseits vor allem mit menschlichen Click-Arbeitern - wird anderseits aber auch von vielen Putin-Anhängern geteilt, die überhaupt nicht im Auftrag der Trollfabriken handeln".
Wenn verschiedene Merkmale zusammenkommen, lasse sich dennoch mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit "von einem bezahlten Kreml-Troll ausgehen", erklärt Dek: "Etwa, wenn vor allem Copy-Paste-Inhalte verbreitet werden, die Posting-Frequenz weit über dem Durchschnitt liegt, oder der Account immer nur während gängiger Kernarbeitszeiten postet."
"Angst und Unsicherheit verbreiten"
Eines der analysierten Konten hat allein auf dem YouTube-Kanal des erwähnten ukrainischen Nachrichtensenders mehr als 1000 Kommentare verfasst, andere - die sich beispielsweise als junge Frauen ausgeben - immerhin mehr als 100. Oft werden Textbausteine kopiert.
Die Fachleute von "Reset Tech" stellen in der Analyse, die tagesschau.de und der "Washington Post" vorliegt, fest: "Russische Trolle verbreiten Angst und Unsicherheit in der Bevölkerung, beschuldigen die ukrainischen Streitkräfte des Beschusses, rufen zur Zusammenarbeit mit den Besatzern auf und fordern zur Kapitulation auf."
Rechtfertigungen für Angriffskrieg
Nicht nur auf den Kanälen von ukrainischen Medien tauchen mutmaßliche russische Propaganda-Profile auf. Bei Kommentaren auf dem YouTube-Kanal der BBC beobachteten die Analysten allerdings eine andere Strategie: Hier wollen hyperaktive Konten die Richtung der Debatten in eine prorussische Richtung verschieben.
So versuchen sie, den Angriffskrieg auf die Ukraine zu rechtfertigen, da es sich angeblich um einen "Nazi-Staat" handele oder da es im Donbass angeblich einen Völkermord gegeben habe. Das sind beides Behauptungen, die Wladimir Putin als Vorwand für den Krieg angab.
Ablenken, desinformieren, stören
Als Trolle werden Profile im Netz bezeichnet, die nicht diskutieren oder Informationen austauschen wollen, sondern die im Gegenteil versuchen, Debatten zu manipulieren oder zu zerstören. Dabei werden verschiedene Strategien angewandt, wie beispielsweise das Ablenken vom Thema, massenhafte Postings, Falschbehauptungen oder persönliche Attacken.
Solche Strategien sind seit Jahren bekannt: Im Bundestagswahl 2017 beispielsweise waren russische Profile aktiv, die Verwirrung stiften wollten, wie Recherchen von tagesschau.de zeigten.
Rund um verschiedene Wahlen und Referenden in Europa waren russische Fake-Profile aktiv. Unter anderem die Universität Cardiff legte eine Studie zu den russischen Aktivitäten in Europa vor - und untersuchte dabei speziell das Verhalten solcher Profile im Hinblick auf Ereignisse in der Ukraine. Russische Fake-Profile wurden demnach insbesondere rund um die Besetzung der Krim und nach dem Abschuss des Flugs MH17 geschaffen.
Nach der Annexion der Krim richteten sich die Profile aber vor allem an die russische Bevölkerung - und riefen dazu auf, auf der Halbinsel Urlaub zu machen, um so die Wirtschaft dort anzukurbeln.
Angebliche Lokalmedien
Um die Glaubwürdigkeit von Fake-Konten im Ausland zu erhöhen, werden immer wieder Profile eingerichtet, die sich als lokale Nachrichtenseiten ausgeben. So tauchten 2017 in Deutschland Twitter-Konten auf, die sich HamburgBote, BerlinBote oder DresdenBote nannten.
Diese erreichten zwar kaum relevante Reichweiten, wurden aber wiederum von dem russischen Staatssender RT Deutsch zitiert - als angeblich authentische Quellen aus Deutschland. Durch Untersuchungen zur US-Wahl 2016 konnten die Konten einer russischen Troll-Fabrik zugeordnet werden und wurden schließlich gesperrt.
Zuletzt tauchten auf Instagram angebliche Lokalmedien aus Polen auf, die auf E-Mail-Adressen in Russland registriert waren.
Plötzlich sehr aktiv
Bei einem Twitter-Profil, das derzeit sehr aktiv ist und sich nach einer ehemaligen englischen Lokalzeitung benannt hat, handelt es sich mutmaßlich ebenfalls um einen russischen Fake-Account.
Dafür sprechen mehrere Indizien: So gibt es kaum Bezüge zur Stadt, aus der das Profil angeblich twittert. Stattdessen kommentierte das Profil zunächst auf Filipino, war dann lange gar nicht mehr aktiv - und wurde bei Antiimpf-Themen sowie den Protesten von Truckern in Kanada äußerst aktiv.
Im Dezember 2021 teilte das Konto plötzlich eine Meldung von russischen Separatisten aus dem Donbass, in der vor ukrainischen Chemiewaffen gewarnt wurde; seit dem Angriff auf die Ukraine verbreitet die angebliche britische Lokalseite massenhaft Videos und Fotos, die ukrainische Verbrechen oder Erfolge der russischen Armee zeigen sollen. Es gibt weitere Beispiele für solche Konten, die beispielsweise angeblich aus Schottland stammen, aber massenhaft russische Propaganda verbreiten.
Auch ukrainische Propaganda
Es sind nicht nur prorussische Profile und Kanäle, die versuchen, den Verlauf des Krieges durch Propaganda und psychologische Operationen zu beeinflussen. Auch viele ukrainische Accounts verbreiten angebliche Heldengeschichten und unbelegte Meldungen über erfolgreiche Gegenoffensiven, um die Moral und Widerstandskraft in der Bevölkerung zu stärken.
Allerdings hat Russland seinen gesamten Angriffskrieg mit unbelegten Behauptungen und Lügen begründet, so wie der Kreml bereits seit Jahren auf gezielte Desinformation als Strategie setzt, um Putins imperialistische Politik durchzusetzen - mit allen Mitteln.