Gasaustritt aus der Nord Stream 2-Pipeline vor Bornholm, Dänemark.
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Nord-Stream-Ermittlungen Spuren führen in die Ukraine

Stand: 07.03.2023 21:39 Uhr

Deutsche Ermittlungsbehörden haben bei der Aufklärung der Anschläge auf die Nord-Stream-Pipeline offenbar einen Durchbruch erzielt. Nach ARD-Informationen gibt es zwar keine Beweise, wer die Zerstörung veranlasst hat - doch es gibt Spuren. Sie führen in die Ukraine.

Es ist das politisch wohl brisanteste Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts. Nach einer gemeinsamen Recherche des ARD-Hauptstadtstudios, des ARD-Politikmagazins "Kontraste", des SWR und der "ZEIT" konnte im Zuge der Ermittlungen weitgehend rekonstruiert werden, wie und wann der Sprengstoffanschlag auf die Nord Stream-Pipelines vorbereitet wurde. Demnach führen Spuren in Richtung Ukraine. Allerdings haben die Ermittler bislang keine Beweise dafür gefunden, wer die Zerstörung in Auftrag gegeben hat. In der Nacht zum 26. September 2022 waren drei der insgesamt vier Stränge der Pipelines Nord Stream 1 und 2 auf dem Grund der Ostsee durch Explosionen zerstört worden. 

Konkret ist es den Ermittlern nach Informationen von ARD-Hauptstadtstudio, "Kontraste", SWR und "ZEIT" gelungen, das Boot zu identifizieren, das mutmaßlich für die Geheimoperation verwendet wurde. Es soll sich um eine Jacht handeln, die von einer Firma mit Sitz in Polen angemietet worden sei, die offenbar zwei Ukrainern gehört. Die Geheimoperation auf See soll den Ermittlungen zufolge von einem Team aus sechs Personen durchgeführt worden sein. Es soll sich um fünf Männer und eine Frau gehandelt haben.

Holger Schmidt, SWR, ARD-Terrorismusexperte, zu Reaktionen auf Berichte zu Nordstream-Ermittlungen

tagesschau24 09:00 Uhr

Demnach bestand die Gruppe aus einem Kapitän, zwei Tauchern, zwei Tauchassistenten und einer Ärztin, die den Sprengstoff zu den Tatorten transportiert und dort platziert haben sollen. Die Nationalität der Täter ist offenbar unklar. Die Attentäter nutzten professionell gefälschte Reisepässe, die unter anderem für die Anmietung des Bootes eingesetzt worden sein sollen.

Spuren von Sprengstoff in der Kabine

Das Kommando soll den Ermittlungen zufolge am 6. September 2022 von Rostock aus in See gestochen sein. Die Ausrüstung für die Geheimoperation sei vorher mit einem Lieferwagen in den Hafen transportiert worden, heißt es. Im weiteren Verlauf ist es den Ermittlern den Recherchen zufolge gelungen, das Boot am folgenden Tag erneut in Wiek auf Rügen und später an der dänischen Insel Christiansø nordöstlich von Bornholm zu lokalisieren. Die Jacht sei dem Eigentümer im Anschluss in ungereinigtem Zustand zurückgegeben worden. Auf dem Tisch in der Kabine haben die Ermittler den Recherchen zufolge Spuren von Sprengstoff nachweisen können.

Nach Informationen von ARD-Hauptstadtstudio, "Kontraste", SWR und "ZEIT" soll ein westlicher Geheimdienst bereits im Herbst, also kurz nach der Zerstörung, einen Hinweis an europäische Partnerdienste übermittelt haben, wonach ein ukrainisches Kommando für die Zerstörung verantwortlich sei. Danach soll es weitere geheimdienstliche Hinweise gegeben haben, die darauf hindeuten, dass eine pro-ukrainische Gruppe verantwortlich sein könnte.

Auch eine "False Flag"-Operation wäre möglich

Für ihre Recherchen haben das ARD-Hauptstadtstudio, "Kontraste", SWR und die "ZEIT" mit Quellen in mehreren Ländern gesprochen. An den Ermittlungen zur Zerstörung der Pipelines waren Sicherheitsbehörden in Deutschland, Dänemark, Schweden, den Niederlanden und den USA beteiligt. In Deutschland leitet der Generalbundesanwalt die Ermittlungen, der sowohl das Bundeskriminalamt als auch die Bundespolizei beauftragt hat.

Auch wenn Spuren in die Ukraine führen, ist es den Ermittlern bislang nicht gelungen herauszufinden, wer die mutmaßliche Tätergruppe beauftragt hat. In internationalen Sicherheitskreisen wird nicht ausgeschlossen, dass es sich auch um eine "False Flag"-Operation handeln könne. Das bedeutet, es könnten auch bewusst Spuren gelegt worden sein, die auf die Ukraine als Verursacher hindeuten. Allerdings haben die Ermittler offenbar keine Hinweise gefunden, die ein solches Szenario bekräftigen. 

Kiew: "Haben natürlich nichts mit den Anschlägen zu tun"

Die ukrainische Regierung war zunächst für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Auf eine Anfrage von ARD-Hauptstadtstudio, "Kontraste", SWR und der "ZEIT" an den ukrainischen Präsidentenberater Michail Podolyak erklärte dieser, die Ukraine habe "natürlich nichts mit den Anschlägen auf Nord Stream 2 zu tun".

In Deutschland lehnte der Generalbundesanwalt eine Stellungnahme ab. Ein Sprecher der Bundesregierung verwies lediglich auf die laufenden Ermittlungen des Generalbundesanwalts. Dieser habe damit die Hoheit über das Verfahren. "Darüber hinaus laufen Untersuchungen in Schweden und Dänemark zu den Explosionen, jeweils unter Federführung der dortigen nationalen Behörden. Zuletzt vor wenigen Tagen haben Schweden, Dänemark und Deutschland den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen darüber informiert, dass die Untersuchungen laufen und es noch kein Ergebnis gebe."

Bericht: USA vermuten pro-ukrainische Gruppe hinter Anschlägen

Die "New York Times" berichtet unterdessen unter Berufung auf nicht namentlich genannte US-Regierungsbeamte, dass es neue Erkenntnisse der US-Geheimdienste gebe, wonach eine pro-ukrainische Gruppe für den Anschlag verantwortlich sei. Es gebe jedoch keine Hinweise auf eine Verwicklung des ukrainischen Präsidenten Wolodymir Selenskyj oder seines engen Umfelds, oder dass die Täter auf Anordnung der ukrainischen Regierung gehandelt hätten.

Das Material der US-Geheimdienste lege nahe, dass es sich bei den Tätern um Gegner des russischen Präsidenten Wladimir Putin handele. Es lasse aber weder Rückschlüsse über die Mitglieder der Gruppe zu, noch darüber, wer sie beauftragt oder bezahlt habe.

Karte von Bornholm mit den Pipelines Nord Stream 1 und 2

Torben Ostermann, Torben Ostermann, ARD Berlin, 08.03.2023 08:38 Uhr