Zwei Orang-Utans sitzen auf dem Schoß einer Frau.
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ARD-Dokumentarfilm Zahl der Menschenaffen sinkt dramatisch

Stand: 06.06.2021 16:00 Uhr

Die Zahl der Menschenaffen ist seit 2000 um mindestens 40 Prozent geschrumpft. Das haben Experten für die ARD berechnet. Etwa 3000 Menschenaffen werden jährlich getötet oder verschleppt.

Von Von Manuel Daubenberger und Felix Meschede, NDR

Es sind nur noch wenige Meter bis zur Wellblechhütte in der Mitte des Dorfes. Die dunkle Vorahnung von Adams Cassinga verschlimmert sich. Drei Tage hat der Umweltaktivist für die Reise von der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa ins Dorf Mondombe in den Tiefen des Kongobeckens benötigt, zuerst in einer klapprigen Propellermaschine, später auf einem Schnellboot.

Er kommt zu spät. Schon beim Betreten der Hütte steigt ihm der stechende Geruch von Verwesung in die Nase: Das Bonobo-Weibchen ist tot. Erschossen von Wilderern. Cassinga steht fassungslos vor dem toten Bonobo: "Wir sind zu spät gekommen. Dieser Horror passiert hier jeden Tag."

Adams Cassinga und Michel Abdollahi

Umweltaktivist Cassinga berichtet Reporter Michel Abdollahi von seiner gefählichen Arbeit.

Nach Schätzungen von UN-Experten werden etwa 3000 Menschenaffen jährlich getötet oder verschleppt. Gemeinsam mit dem Verlust des Lebensraums hat dies dramatische Folgen. In den vergangenen 20 Jahren ist die Zahl der Menschenaffen um mindestens 40 Prozent zurückgegangen. Das haben Primatologen des Deutschen Zentrums für integrative Diversitätsforschung, die auch die Rote Liste gefährdeter Arten pflegen, für den ARD-Dokumentarfilm Planet ohne Affen berechnet.

Viele Arten gefährdet

Der Rückgang betrifft die Arten unterschiedlich stark. So ging die Zahl der Schimpansen um mindestens 40 Prozent zurück, es leben noch etwa 300.000 Tiere in West- und Zentralafrika. Die Zahl der Gorillas sank um mindestens 35 Prozent auf ebenfalls schätzungsweise 300.000 Exemplare.

Besonders dramatisch ist der Rückgang der Bonobo-Population. Sie reduzierte sich um die Hälfte auf etwa 20.000 Tiere. Von den Orang-Utans gibt es noch etwa 150.000, ihre Population schrumpfte um 40 Prozent. Alle Menschenaffen-Arten sind vom Aussterben bedroht.

Lukratives Geschäft für Kriminelle

Bonobos, Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans werden gejagt, damit ihre Babys Menschen in Zoos, Zirkus-Shows oder sogar als Haustiere erfreuen können. Für jedes Baby werden etwa zehn erwachsene Affen getötet, denn sie sind hochsensible Tiere, die ihre Jungen um jeden Preis verteidigen.

Für die Tierhändler ist es ein hochlukratives Geschäft. Während die Wilderer zwischen 50 und 100 US-Dollar für die Babys bekommen, verlangen die Tierhändler bis zu 250.000 US-Dollar für die Affen. Der illegale Handel mit seltenen Tier- und Pflanzenarten ist nach gefälschten Waren, Drogen- und Menschenhandel das viertlukrativste illegale Geschäft der Welt.

Orang-Utans nehmen an einem Boxkampf bei einer Show teil.

In Bangkok gibt es eine Show, bei der sich Orang-Utans im Boxring begegnen.

Korruption begünstigt illegalen Tierhandel

Die Demokratische Republik Kongo ist einer der wichtigsten Ausgangspunkte für diesen Handel. Nach dem Amazonas ist das Kongo-Bassin der zweitgrößte Regenwald der Welt, zahlreiche geschützte und damit auch begehrte Arten leben im flächenmäßig größten Land Subsahara-Afrikas. Einige davon sogar nur hier, wie Bonobos, Grauergorillas oder Okapis. Nach grausamer Kolonialherrschaft und zahlreichen Bürgerkriegen wird der Kongo von einem hochgradig korrupten politischen Apparat regiert.

Um den illegalen Handel in seinem Heimatland zu bekämpfen, hat Adams Cassinga vor sieben Jahren die Organisation ConservCongo gegründet. Er und sein Team versuchen kriminelle Netzwerke aufzudecken, dafür geben sie sich auch selbst als Tierhändler aus, um diese auf frischer Tat zu ertappen. Auf einem Tiermarkt in Kinshasa fragt Cassinga einen Verkäufer, wo er lebende Menschenaffen kaufen könnte.

Reporter Michel Abdollahi beim versteckten Dreh mit Tierhändlern

Dreh mit versteckter Kamera in Kinshasa. Reporter Michel Abdollahi gibt sich als Käufer aus, um mit Tierhändler ins Gespräch zu kommen. Die Händler werden später verhaftet und sind inzwischen verurteilt.

Der Stand liegt am Rande des Marktes, auf der gegenüberliegenden Straßenseite sitzt ein Soldat mit Kalaschnikow und bewacht wohl den Stand. Nach etwas Überzeugungsarbeit bekommt Cassingas Lockvogel zwei Baby-Affen angeboten, pro Stück 1500 US-Dollar. Sie seien im Hafen, und müssten dort mit Schmiergeld ausgelöst werden. Das bedeutet für Cassinga und sein Team erst einmal abwarten. In einigen Tagen werden sie wissen, ob der Deal klappt, sie die Händler festnehmen und die Baby-Affen befreien können.

Auch hohe Beamte lassen sich schmieren

Wie verbreitet dies in der Demokratischen Republik Kongo ist, berichtet ein Whistleblower, der jahrelang als Amtsträger selbst vom illegalen Tierhandel profitiert hat. Da er um sein Leben fürchtet, spricht er nur anonym: "Der illegale Handel wird von kriminellen Organisationen durchgeführt, hinter denen Regierungsvertreter stecken."

Er kann bezeugen, dass sowohl der Leiter der Nationalpark-Behörde als auch der zuständige Minister Schmiergelder kassiert haben. "In einem konkreten Fall wurden vier Gorillas für eine Million US-Dollar an einen chinesischen Zoo geliefert." Aus anderer Quelle liegen dem NDR die offiziellen Ausfuhrgenehmigungen und weitere Dokumente vor, die den illegalen Handel bestätigen.

Ein Boot fährt auf einem Nebenfluss des Kongo (Demokratische Republik Kongo).

Das Drehteam macht sich auf einen Nebenfluss des Kongo (Demokratische Republik Kongo) auf den Weg in den Dschungel, um Bonobos in freier Wildbahn zu sehen.

Artenschutzabkommen wird permanent umgangen

Eigentlich gilt für internationalen Tierhandel seit 1975 das Washingtoner Artenschutzabkommen (CITES). Danach müssen die Behörden des exportierenden und des importierenden Landes den Handel genehmigen und dabei zum Beispiel auch bestätigen, dass es sich bei besonders geschützten Arten nicht um Wildfänge handelt und diese nicht für kommerzielle Zwecke gehandelt werden.

Doch diese Bestimmungen werden häufig umgangen. Die UN-Behörde hinter dem Abkommen ist nach Ansicht von Beobachtern unterfinanziert, hat zu wenig Mitarbeiter und ist zu abhängig von der Kooperationsbereitschaft der Mitgliedsländer, um wirklich effektiv gegen illegalen Handel vorzugehen.

Kampf gegen Armut entscheidend

Zurück in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa: Nach einigen Wochen haben Adams Cassinga und sein Team die Tierhändler davon überzeugen können, dass sie wirklich Baby-Affen kaufen wollen. Die Übergabe soll entlang einer Schnellstraße stattfinden. ConservCongo bringt die Polizei mit.

Es klappt: Die Händler versuchen sich erst zu wehren, beteuern dann lautstark ihre Unschuld. Es hilft alles nichts, sie werden festgenommen. Cassinga und seinem Team gelingt es, zwei Baby-Schimpansen zu befreien. Sie werden nun in einer Schimpansen-Auffangstation im Osten des Landes aufgepäppelt und wenn alles gut geht, wieder an ein Leben in Freiheit gewöhnt.

Cassinga ist überzeugt, dass wir Menschenaffen nur besser schützen können, wenn wir auch etwas für die ärmsten Menschen tun: "Wilderer werden in der Lieferkette des illegalen Tierhandels am schlechtesten bezahlt. Die einzige Medizin, die gegen Hunger hilft, ist Essen. An vielen Orten stehen junge Männer vor der Entscheidung zu Wildern oder zum Gespött des Dorfes zu werden."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete "Das Erste" am 07. Juni 2021 um 20:15 Uhr.