Gebäude von VW in Shanghai
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China Cables Ignorieren deutsche Firmen die Unterdrückung?

Stand: 25.11.2019 17:00 Uhr

Deutsche Unternehmen machen in der chinesischen Autonomieregion Xinjiang trotz der dort stattfindenden Menschenrechtsverletzungen Geschäfte. Laut Experten profitierten sie womöglich von Zwangsarbeit und Unterdrückung.

Hinter dem sperrigen Namen "Integrationsplattform für gemeinsame Einsätze" verbirgt sich eines der vielleicht ausgeklügeltsten technischen Unterdrückungswerkzeuge der Welt: Eine Datenbank der chinesischen Zentralregierung, mit der in der Autonomieregion Xinjiang lebende Muslime - die meisten von ihnen gehören zur Minderheit der Uiguren - überwacht werden.

Die "Integrationsplattform" ist gefräßig: Die Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch berichtete kürzlich, was Regierungsbeamte alles einspeisen: Zwischenmenschliche Beziehungen, Bewegungsprofile von Smartphones und Autokennzeichen, Informationen über den Stromverbrauch, wann und wo jemand getankt hat - sogar, ob die Person der Eigentümer des Fahrzeugs war oder nicht. Mit Dutzenden Datenpunkten wird jeder Mensch eingestuft.

"Integrationsplattform" von Siemens-Partner aufgebaut

Technisch aufgebaut hat die "Integrationsplattform"-Datenbank der chinesische, halbstaatliche Mischkonzern CETC. Das Unternehmen ist wichtiger Technologiepartner der deutschen Firma Siemens. Auf die Frage, ob Siemens darin keinen ethischen Konflikt sehe, mit einem Schlüssel-Konzern dieser staatlichen Überwachung Geschäfte zu machen, antwortete der Konzern NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" (SZ), man sehe "keine etwaigen menschenrechtlich nachteiligen Auswirkungen im Sinne der Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte". Die "strategische Kooperation" stehe in Einklang mit den Siemens-Verhaltensregeln. Zudem sei Siemens-Technologie lediglich in Fertigungsanlagen verbaut und nicht in Endprodukten von CETC.

Volkswagen verstärkt Engagement in Xinjiang

Siemens ist nicht der einzige deutsche Konzern, der trotz der anhaltenden und gut dokumentierten Menschenrechtsverstöße in Xinjiang Geschäfte in der Region beziehungsweise mit dort aktiven Firmen macht. Volkswagen hat 2013 eine Autofabrik in der Stadt Urumqi eröffnet, die mit dem staatlichen chinesischen Fahrzeughersteller SAIC im Joint Venture betrieben wird.

Gebäude von VW in Shanghai

Volkswagen ist schon länger in China aktiv - auch in der Region Xinjiang.

Auf Nachfrage teilte Volkswagen mit, man gehe davon aus, dass sich Xinjiang weiter wirtschaftlich entwickeln werde und weite deshalb "das Engagement in der Region aus". So wurde erst in diesem Jahr eine Fahrzeugteststrecke eingeweiht. Ab dem kommenden Jahr soll in Urumqi auch ein SUV-Modell produziert werden.

In chinesischen Presseartikeln heißt es in diesem Zusammenhang, Volkswagen habe auch eine Kooperationsvereinbarung mit der bewaffneten Volkspolizei vor Ort geschlossen. Diese sähe unter anderem vor, dass eine Polizeieinheit ein militärisches und patriotisches Training für Mitarbeiter durchführen solle.  

Konzern dementiert Kooperation mit Militär

Ein Konzernsprecher teilte NDR, WDR und SZ mit, dass der Konzern zu seiner Verantwortung zur Wahrung der Menschenrechte stehe, "in allen Geschäftsbereichen, die wir direkt kontrollieren können". Weiter hieß es, man könne ausschließen, dass in Urumqi Mitarbeiter unter Zwang arbeiten würden. Mit dem VW-Werk wolle man das soziale Umfeld" vor Ort verbessern. Ein militärisches Training von VW-Mitarbeitern "gab es nicht und gibt es nicht", so der Sprecher weiter.

Experte: Firmen unterstützen möglicherweise Überwachungsstaat

China-Experte Adrian Zenz sagte im Interview mit NDR, WDR und SZ, dass aus seiner Sicht zumindest ein Teil der Insassen der Internierungslager nach der Entlassung gegen ihren Willen als Arbeitskräfte eingesetzt werden. Auch die China Cables legen diesen Verdacht nahe. "Fabrikgebäude befinden sich teilweise im gleichen Areal wie die Umerziehungslager", sagt Zenz. Die Regierung baue die Internierungslager "vorausschauend auf industriellen Parks und Arealen", damit die Zwangsarbeiter keine weiten Wege haben, so der Wissenschaftler.

Selbst wenn "in der eigenen Belegschaft vor Ort nicht unbedingt Zwangsarbeit nachgewiesen werden kann", so könne kein ausländisches Unternehmen in der Region aktiv sein, "ohne dass man diesen unmenschlichen Überwachungsstaat auf irgendeine Art und Weise unterstützt". Wer als ausländisches Unternehmen in der Region wirtschaftlich aktiv sei, müsse sich fragen, ob dies Engagement mit westlichen Werten zu vereinbaren sei, so Zenz.

USA verhängten Sanktionen

Die USA hatten im Oktober zahlreiche Wirtschaftssanktionen im Zusammenhang mit den anhaltenden Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang verhängt. Unter anderem setzte das US-Handelsministerium 28 Unternehmen auf eine schwarze Liste, die nun keine Waren oder Bauteile mehr aus den USA beziehen dürfen. Die Unternehmen sollen an der Unterdrückung der religiösen Minderheiten in Xinjiang beteiligt sein.

Kameras der Chinesischen Firma Hikvision

Die chinesische Firma Hikvision stellt Überwachungssysteme her - sie gehört zu einem maßgeblichen Anteil einem Partnerunternehmen von Siemens.

Auch die Firma Hikvision haben die USA sanktioniert. Der Konzern stellt unter anderem Überwachungskameras her. Laut eines Internetblogs hat Hikvision eine Kamera entwickelt, die mit Hilfe von künstlicher Intelligenz unterscheiden können soll, ob sich ein Uigure oder ein Han-Chinese im Sichtfeld befindet. Wichtigster Aktionär von Hikvision ist die Siemens-Partnerfirma CETC. Eine Frage danach, ob Siemens auch mit Hikvision zusammenarbeite, beantwortete das Unternehmen nicht.

BASF und KfW in Xinjiang aktiv

Das Chemie-Unternehmen BASF betreibt zwei sogenannte Joint Ventures, also gemeinsame wirtschaftliche Operationen, mit chinesischen Firmen in Xinjiang. Der Konzern sei sich "der sozialen Probleme im Raum Xinjiang bewusst", sagte ein Sprecher auf Anfrage. Man könne aber ausschließen, dass Mitarbeiter unter Zwang dort arbeiten. "Die BASF toleriert weltweit keine Form von Kinder- und Zwangsarbeit, Sklaverei oder Menschenhandel". Das gelte auch für die Werke in Xinjiang, sagte ein Sprecher.

Auch die staatliche Entwicklungsbank KfW ist in der Region aktiv: Unter anderem gewährte sie 2016 ein Darlehen über 100 Millionen Euro für den Bau einer Metrolinie in Urumqi. Das Beispiel zeigt, wie schwierig das wirtschaftliche Engagement in der Region ist. Presseberichten zufolge müssen sich Passagiere vor Fahrtbeginn mit ihrem vollständigen Namen registrieren. Der Verdacht liegt nahe, dass die so erhobenen Daten auch zur Überwachung der Bevölkerung eingesetzt werden.

Eine Sprecherin der KfW erklärte dazu, man kenne diesen Vorgang nicht. Ziel der Maßnahme sei die Förderung der Entwicklung und die Verbesserung der Lebensbedingungen vor Ort gewesen.

Adidas stoppt Aufträge

Der Sportartikel-Hersteller Adidas bestätigte auf Anfrage, dass eine chinesische Firma, der vorgeworfen wird, von Zwangsarbeit in Xinjiang zu profitieren, Produkte für einen Sublieferanten von Adidas gefertigt hat. Ein Sprecher von Adidas sagte, man nehme die Vorwürfe "sehr ernst" und gehe diesen zurzeit vor Ort nach. "Unsere direkten Zulieferer sind verpflichtet, unsere Standards auch an ihre Subunternehmer weiterzugeben", so der Sprecher. Darüber hinaus sei der Zulieferer angewiesen worden, bis zur Klärung keine Aufträge mehr an die betroffene Firma zu vergeben.