Screenshot enes Profilbildes eines Bundeswehr-Soldaten auf der Online-Musikplattform Soundcloud
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Rechtsextremistische Musik Likes von Soldaten führen zu MAD-Ermittlungen

Stand: 14.06.2022 06:05 Uhr

Auf der populären Musikplattform Soundcloud sind nach Recherchen von NDR und SWR zahlreiche rechtsextremistische Titel frei zugänglich. Bundeswehr-Angehörigen drohen MAD-Ermittlungen, wenn sie den Gefällt-mir-Button klicken.

Von Christoph Heinzle, Jan Oppel, Mirco Seekamp (alle NDR), Florian Barth (SWR)

Die Musikplattform Soundcloud fällt mit ihren Inhalten unter das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Demnach sind Plattformen dazu verpflichtet, rechtswidrige Inhalte spätestens innerhalb von 24 Stunden zu löschen, nachdem sie ihnen gemeldet wurden. Die Unternehmen müssen aber nicht selbst aktiv nach diesen Inhalten suchen. Für den Hamburger Medienrechtler Stephan Dreyer vom Hans-Bredow-Institut ist die aktuelle Rechtslage "ein Anreiz zum Wegschauen". Auch die deutschen Behörden und andere Meldestellen hätten Soundcloud als Plattform bisher kaum auf dem Schirm.

Mehr als 150 indizierte Titel

Im Mai immerhin führte Soundcloud gemeinsam mit Europol und sechs europäischen Polizeibehörden eine Aktion gegen Internet-Propaganda durch. Dabei wurden mehr als 300 rechtsextremistische Titel gelöscht, teilte das BKA auf Anfrage mit. "Aber jetzt, ein paar Wochen später, findet man das Material natürlich wieder auf der Plattform, es ist ein Kampf gegen die Windmühlen", sagt Dreyer.

Bundeswehr-Soldaten mit Vorliebe für rechtsextreme Musik

Dirk Zblewski, NDR, tagesschau 14:00 Uhr

In einer stichprobenartigen Suche fanden NDR und SWR auf Soundcloud mehr als 150 Titel von Alben, die auf dem Index stehen, also auf der Liste jugendgefährdender Medien der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz. Manche sind gerade erst hochgeladen worden, viele aber standen schon vor der öffentlichkeitswirksamen Löschaktion auf der Plattform.

Soundcloud verweist in einem Schreiben an NDR und SWR darauf, das Unternehmen halte sich an die geltende Rechtslage. Ein Team der Plattform bearbeite Meldungen verdächtiger Inhalte. Ein externer Dienstleister suche nach Inhalten, die gegen die Soundcloud-Richtlinien verstießen. Soundcloud verbiete eindeutig Inhalte, die Hass und Gewalt aufgrund der Herkunft und Identität förderten.

Screenshot der Online-Musikplattform Soundcloud rechtsextremistischen Titeln

Indizierte, rechtsextremistische Titel auf der Online-Musikplattform Soudcloud.

Likes können gefährlich werden

Wer seine Vorliebe für rechtsextremistische Musik offen zeigt, kann schnell bei Sicherheitsbehörden in Verdacht geraten. Bereits das Liken könne einen "ersten Anhaltspunkt für das Vorliegen einer rechtsextremistischen Bestrebung" darstellen, so das Bundesamt für Verfassungsschutz auf Anfrage. Eine besonders hohe Verfassungstreue wird Soldatinnen und Soldaten verlangt, denen schnell Ermittlungen des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) drohen.

Ein Sprecher des MAD teilte NDR und SWR mit: "Das Hören, Liken und Teilen von rechtsextremistischer Musik stellt immer einen tatsächlichen Anhaltspunkt für Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung dar und löst eine nachrichtendienstliche Verdachtsfalloperation aus."

Nicht auf die Texte geachtet?

Philipp K. aus einer Panzergrenadier-Einheit in Vorpommern hat unter anderem Songs der Neonazi-Band Landser auf Soundcloud gelikt. Deren Musik steht nicht nur auf dem Index, der Bundesgerichtshof stufte Landser auch als kriminelle Vereinigung ein. "Ich liebe Musik und achte meistens auch gar nicht so extrem auf Texte, sondern ich mag es, wenn zum Beispiel die Gitarre gut mit dem Schlagzeug oder dem Bass harmoniert, dass ich dann gerne mal den Text vernachlässige", antwortete der Soldat NDR und SWR: "Ich bin von mir selbst geschockt. Ich habe mich selbst enttäuscht." Philipp K. ist auf seinen öffentlichen Inhalten sozialer Netzwerke klar als Soldat zu erkennen.

Christoph Heinzle, NDR, über Bundeswehr-Soldaten mit Vorliebe für rechtsextreme Musik

tagesschau24 14:00 Uhr

Ein anderer Soldat hat das Stück "SS marschiert in Feindesland" mit "Gefällt mir" markiert, ein Propaganda-Lied der Nazis. Schon dieser eine Like sei problematisch, meint der Mannheimer Wehrrechtler Philipp-Sebastian Metzger, "weil der Soldat oder die Soldatin damit zum Ausdruck bringt, dass sie den Inhalt gut findet und unterstützt. Und das verträgt sich dann je nach Inhalt nicht mit ihren soldatischen Pflichten. Unter anderen mit der Verpflichtung, für diesen Staat, für dessen Grundordnung einzustehen."

Der MAD wollte mit Verweis auf Persönlichkeitsrechte keine Angaben machen, ob er in diesen Fällen ermittelt. Soldatinnen und Soldaten droht als Ergebnis von Ermittlungen des MAD die Einstufung als "Person mit fehlender Verfassungstreue" oder gar "Extremist". Beides würde dann zur Entlassung führen, so das Bundesverteidigungsministerium.

"Wichtiger Bestandteil des Rechtsextremismus"

Das Bundesamt für Verfassungsschutz sieht in Musik mit rechtsextremistischen Texten "einen wichtigen Bestandteil des Rechtsextremismus in Deutschland" mit einer "nicht zu unterschätzenden Rekrutierungs- und Bindungsfunktion", schreibt das BfV in einer Antwort an NDR und SWR. "Der unkomplizierte und stetig verfügbare Zugang zu rechtsextremistischer Musik über entsprechende Angebote im Internet ist gerade im Hinblick auf das Radikalisierungspotential für Jugendliche gefährlich."

Das gilt nach Ansicht des Rechtsrock-Experten und Sozialpädagogen Jan Raabe besonders für Lieder, die offen rassistisch sind und "Vernichtungsfantasien präsentieren". Gewaltverherrlichende Songs verleiteten natürlich nicht per se zu Straftaten, sagt Raabe. Gleichwohl hätten Gerichte bei Tötungsdelikten einen solchen Zusammenhang aber schon festgestellt. In zwei Fällen hätten Täter Lieder der Band Landser mit Mordaufrufen gehört. Die Gerichte hoben laut Raabe im Urteil darauf ab und stellten fest: "Hier gab es eine motivierende Wirkung. Wir sehen hier einen Wirkungszusammenhang."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Panorama 3 am 14. Juni 2022 um 21:15 Uhr im NDR Fernsehen.