
Kampf gegen rechte Attentäter Fahndung durch "virtuelle Agenten"
Der Verfassungsschutz will Rechtsextremisten im Internet besser aufspüren - um mögliche Attentäter frühzeitig zu erkennen. Dafür setzt er verstärkt auf "virtuelle Agenten".
Es gibt Verfassungsschützer, die mischen sich bei rechtsextremen Aufmärschen unter die Demonstranten. Andere observieren Islamisten, beobachten sie auf dem Weg in die Moschee oder versuchen, die Extremisten als Quellen, als sogenannte V-Leute, anzuwerben. Immer häufiger treiben sich Verfassungsschützer jedoch auch im digitalen Raum herum. Sie sind als "virtuelle Agenten" in Internetforen unterwegs, in sozialen Netzwerken und auch in konspirativen Chatgruppen, in denen sich Extremisten austauschen, Hass und Hetze verbreiten - oder gar Anschläge planen.
Das Konzept, mit dem der Verfassungsschutz online auf die Suche nach potenziellen Terroristen und Gewalttätern geht, heißt "Operative Nutzung des Internets" (ONI). Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und einige größere Landesbehörden setzen schon seit Jahren darauf. Deren Mitarbeiter dringen mit eigens dafür angelegten Profilen und Accounts tief in die virtuellen Netzwerke der extremistischen Szenen ein.
Erfolge bei Islamisten
Beim islamistischen Terrorismus habe diese Methode bereits einige Erfolge gebracht, heißt es. Nun soll sie auch verstärkt gegen Rechtsextremisten eingesetzt werden, um künftig Attentäter wie jene von Halle und Hanau früher zu erkennen.
"Wir müssen noch stärker über den virtuellen Agenten nachdenken, der mitbekommt, wenn Aktionen geplant werden", sagt Bernhard Witthaut, Präsident des niedersächsischen Verfassungsschutzes. Und auch der Berliner Verfassungsschutzleiter Michael Fischer fordert einen intensiveren Blick auf die virtuellen Aktionsräume. "Rechtsextremisten nutzen die Kommunikationsmittel, die das Internet schon länger zur Verfügung stellt, intensiver als früher, um ihre Agitation und Propaganda abzusondern", so Fischer. "Da müssen wir sehen, wie wir da besser rankommen."
Neue Konzepte für BKA und Verfassungsschutz
Innerhalb eines Jahres gab es gleich drei rechtsextreme Terrorakte - den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, den Anschlag auf die Synagoge von Halle und das Attentat von Hanau. Die Bundesregierung hat angekündigt, den Rechtsextremismus verstärkt bekämpfen zu wollen. Bereits im vergangenen Jahr haben das Bundeskriminalamt (BKA) und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) dazu eigene Konzepte vorgelegt. Aufgelistet ist darin auch eine intensivere Beobachtung und Auswertung der rechten Onlineaktivitäten. Dafür wurden jüngst für den Verfassungsschutz zusätzliche Stellen und auch mehr Geld bewilligt.
Meistens gibt es Spuren im Netz
In Sicherheitskreisen heißt es, das Fazit aus den Ermittlungen zum Lübcke-Mord, zu Halle und Hanau sei, dass die Täter trotz unterschiedlicher Biografien stets Spuren im Netz hinterlassen hatten. Selbst wenn sie keiner bekannten Organisation oder Gruppierung angehörten - oder wie der mutmaßliche Lübcke-Mörder Stephan E. als "abgekühlt" galten: Es habe durchaus Anhaltspunkte für eine Radikalisierung gegeben. Sie hätten etwa nach Waffen- oder Sprengstoffbeschaffung gesucht, wirre Verschwörungsmythen verbreitet oder auf YouTube gehetzt. Und waren dennoch nicht auf dem Schirm der Verfassungsschützer gelandet. Das soll sich ändern.
Bis in die Tiefe eintauchen
So will der Verfassungsschutz künftig nicht nur die großen, weitestgehend offenen Plattformen der Szene beobachten, sondern verstärkt auch die kleineren, abgeschotteten Chatgruppen infiltrieren und ein "Zielpersonen-Monitoring" betreiben. Dabei sollen systematisch Hinweise für eine Radikalisierung von Einzelpersonen zusammengetragen werden. Zudem soll die "operative Internetbeschaffung" ausgebaut werden - vor allem durch den Einsatz von "virtuellen Agenten" mit der Methode ONI.
In der Vergangenheit war es dem Verfassungsschutz bereits mehrfach gelungen, islamistische Terrorplanungen durch ONI-Einheiten aufzudecken. Etwa als 2017 ein deutscher Dschihadist aus Syrien heraus über Facebook nach Freiwilligen für ein Attentat auf ein Einkaufszentrum in Essen suchte. Der Islamist war dabei an einen virtuellen Agenten geraten und hatte diesem seine Planungen verraten. Auch einen eigenen Mitarbeiter konnte der Verfassungsschutz auf diese Weise bereits enttarnen: Der Mann soll in islamistischen Chatgruppen geheime Informationen aus der Behörde angeboten und sich sogar zu einem Anschlag bereit erklärt haben.
Zielgruppe unüberschaubar groß
Die Erfahrungen aus dem Islamismus wollen die Verfassungsschützer jetzt nutzen, um gewaltbereiten Rechtsextremisten im Internet nachzuspüren. Die Masse könnte dabei zu einem echten Problem werden, warnen erfahrene Beamte. Denn im Netz sei die Zahl der rassistischen und antisemitischen Hetzer inzwischen unüberschaubar groß. Es sei eine gewaltige Herausforderung, unter diesen Personen die tatsächlich gefährlichen, anschlagswilligen Extremisten zu identifizieren.
Um sich das Vertrauen von solchen potenziellen Attentäter zu erschleichen, sei es notwendig, dass die "virtuellen Agenten" auch selbst Hass und Hetze verbreiten, heißt es in Sicherheitskreisen - also sogenannte "szenetypische Straftaten" begehen. Verfassungsschützern ist dies erlaubt, sie agieren nach dem Opportunitätsprinzip. Im Gegensatz zu Polizisten müssen sie die Hasskriminalität auch nicht anzeigen - sie dürfen sogar mitmachen, wenn es der Aufklärung dient.