Abhörstation des BND in Bad Aibling (Bayern) | picture alliance / dpa

Neue Kompetenzen für Gremium Geheimdienstkontrolle wird umgebaut

Stand: 14.10.2022 06:00 Uhr

Ein Unabhängiger Kontrollrat prüft seit Jahresbeginn die elektronische Überwachung durch den BND. In der Bundesregierung gibt es Pläne, wonach der Rat künftig auch für den Verfassungsschutz zuständig sein soll.

Von Manuel Bewarder, WDR/NDR, und Florian Flade, WDR 

Am Montag bekommt die deutsche Öffentlichkeit einen seltenen Einblick in die Arbeit der Geheimdienste. Dann soll im Bundestag die Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) stattfinden. Die Chefs von Bundesnachrichtendienst (BND), Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und dem Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) stellen sich den Fragen der Abgeordneten. Normalerweise tagt die Runde geheim, aber einmal im Jahr sind Zuschauer und Zuhörer erlaubt. Bei der Kontrolle der Geheimdienste hat sich in den vergangenen Jahren einiges getan. Auslöser war die NSA-Affäre vor zehn Jahren. Im dem Zuge wurde klar, dass auch die Überwachung durch den BND Grenzen überschritten hatte. Strengere Regeln folgten.

Die öffentliche PKGr-Anhörung wurde eingeführt, ebenso ein neues BND-Gesetz verabschiedet. Dieses schreibt genauer vor, was der Auslandsgeheimdienst darf. Außerdem hat der Bundestag zur Unterstützung der Abgeordneten im Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) jetzt einen "Ständigen Bevollmächtigten" eingeführt, der mit seinem Team zum Beispiel die Arbeit mit Spionen kontrollieren darf. Besonders einschneidend aber: Es wurde eine neue Kontrollinstanz geschaffen. Bislang hat kaum jemand davon Notiz genommen - doch schon bald könnte sie noch mächtiger werden.  

Seit Jahresanfang kontrolliert der Unabhängige Kontrollrat (UK-Rat), eine oberste Bundesbehörde, die technischen Überwachungsmaßnahmen des BND. Nach Informationen von WDR und NDR gibt es in der Bundesregierung nun Pläne, künftig auch die Überwachungsmaßnahmen des Verfassungsschutzes und des Militärischen Abschirmdienstes durch das neue Gremium kontrollieren zu lassen. Damit könnte die G10-Kommission wegfallen, ein Kontrollorgan bestehend aus unabhängigen, ehrenamtlichen Juristen, die bislang in geheimer Sitzung die technischen Abhörmaßnahmen der Geheimdienste genehmigen.

Insgesamt sind 60 Dienstposten vorgesehen

Der UK-Rat residiert aktuell in einer ehemaligen BND-Liegenschaft in Berlin Lichterfelde-West, ein eigenes Gebäude gibt es noch nicht. Auch die Webseite ist vorerst nur provisorisch an den Start gegangen. Sechs Richterinnen und Richter gehören dem Kontrollorgan an, geleitet wird der Rat von Josef Hoch, der am Berliner Kammergericht und zuletzt als Richter am Bundesgerichtshof tätig war. Insgesamt sind 60 Dienstposten für die Behörde vorgesehen, rund ein Viertel der Stellen wurde bislang besetzt. Doch schon jetzt zeigt sich laut Personen, die mit dem Rat zusammenarbeiten: Die bisherigen Aufgaben füllen den Rat noch nicht aus.

Die Einrichtung des UK-Rates ist eine Konsequenz aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum BND-Gesetz im Frühjahr 2020. In Karlsruhe hatte man entschieden, dass die Regierung die technischen Überwachungsmaßnahmen des BND, die strategische Fernmeldeaufklärung im Ausland, besser kontrollieren muss. Genau das ist nun die Aufgabe des UK-Rates.

Die Kontrolleure haben weitreichende Befugnisse: Sie dürfen Akten oder Dateien des BND einsehen, haben jederzeit Zutritt zu den Dienststellen und Zugang zu den Computern und Servern des Geheimdienstes, dürfen Mitarbeiter befragen oder schriftliche Auskünfte einholen - und entscheiden darüber, ob eine Überwachungsmaßnahme stattfinden kann oder nicht. Bald schon könnte die neue Behörde also auch für den Verfassungsschutz zuständig sein. Auslöser für diese Überlegungen ist erneut eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, diesmal mit Bezug auf das bayerische Verfassungsschutzgesetz.

Urteil mit weitreichenden Konsequenzen

Im April wurde in Karlsruhe entschieden, dass der Staat die nachrichtendienstlichen Maßnahmen des Verfassungsschutzes strenger kontrollieren muss. Das betrifft zum Beispiel Observationen, Telefonüberwachungen, das Anwerben von V-Leuten, also menschlicher Quellen, oder auch die Datenübermittlung an andere Behörden. Für die Verfassungsschutzbehörden hat das Urteil sowohl in den Landesbehörden als auch im Bund weitreichende Konsequenzen. Es steht eine umfassende Reform inklusive Gesetzesänderungen an.

 

Bislang entscheiden die Verfassungsschützer beispielsweise selbst darüber, wann und wie lange sie eine Zielperson observieren. Die Karlsruher Richter hingehen halten es für rechtlich zwingend notwendig, dass bei derartigen Grundrechtseingriffen eine vorherige Anordnungskontrolle stattfinden muss. Vor der Überwachung steht künftig also das OK einer unabhängigen Stelle - ähnlich wie bei der Polizei, wo ein Ermittlungsrichter darüber entscheidet, wie lange Observationen oder Telefonüberwachungen stattfinden dürfen.

Unter Federführung des Bundesinnenministeriums hat sich eine Arbeitsgruppe in den vergangenen Monaten mit den möglichen Konsequenzen aus dem Karlsruher Urteil zum Verfassungsschutz befasst. Die Arbeitsgruppe kommt in ihrem Abschlussbericht zu dem Fazit, dass für die Verfassungsschutzämter eine "institutionalisierte unabhängige Vorabkontrolle" geschaffen werden müsse. Beim Bundesamt für Verfassungsschutz könnte dies der bisher für den BND zuständige UK-Rat übernehmen. Für die Verfassungsschutzbehörden in den Ländern, so heißt es im Abschlussbericht der Arbeitsgruppe, sei die Einrichtung eines "landeseigenen Unabhängigen Kontrollrats" denkbar.

Folgen auch für die parlamentarische Kontrolle

Folgen könnte eine solche neue Struktur aber auch für die parlamentarische Kontrolle haben. Im Bundestag zeigt sich dies bereits mit Blick auf den BND und den neuen UK-Rat. Früher konnten die Parlamentarier selbst Details der elektronischen Überwachung erfahren. Diese Einsicht ins Operative übernimmt jetzt der UK-Rat. Die Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums können sich von diesem grob informieren lassen - was in diesem Jahr auch schon mehrmals geschehen ist. Dichter heran kommen die Abgeordneten allerdings nicht mehr. Ihre Kontrolle wird immer mehr nur noch eine politische.