Makarow-Pistole mit Schalldämpfer (Symbolbild)
Exklusiv

Mordauftrag aus Tschetschenien Regimegegner sollte erschossen werden

Stand: 16.04.2021 13:01 Uhr

Mutmaßliche Auftragsmörder wollten nach Recherchen von MDR und "Spiegel" in Bayern einen Oppositionellen ermorden. Die Spuren führen zu den Machthabern in Tschetschenien.

Von Axel Hemmerling und Ludwig Kendzia, MDR

Die Bilder auf dem Facebook-Video sind nur schwer erträglich. Auf den verwackelten Aufnahmen ist ein Mann zu sehen. Er hat schwarze Haare und liegt mit dem Gesicht am Boden, mitten in einer Blutlache. Aus dem Hintergrund ist eine drängende Stimme zu hören, die ihn aggressiv auf Russisch befragt.

Die Stimme gehört dem bekannten tschetschenischen Oppositionellen und Blogger Tumso Abdurachmanow. Der Mann, über dem er kniete, war geschickt worden, um Tumso zu ermorden. Das stellte sich bei späteren Ermittlungen heraus. Er sollte ihn demnach mit einem Hammer erschlagen. Doch dem Aktivisten gelang es, den Täter zu überwältigen. Dies filmte er mit seinem Handy. Die Tat spielte sich Ende Februar 2020 in Schweden ab. Dorthin war Tumso geflüchtet, weil er durch seine Oppositionsarbeit in Tschetschenien nicht mehr sicher war. 

Tumso Abdurachmanow

Tumso wurde im schwedischen Exil mit einem Hammer attackiert.

Mord an Bruder geplant

Nur knapp zehn Monate später geriet sein Bruder Mochmad Abdurachmanow, der sich ebenfalls politisch gegen das tschetschenische Regime engagiert, ins Visier eines Killers. Nach gemeinsamen Recherchen von MDR und "Spiegel" sollte Mochmad Mitte Dezember 2020 in der Nähe von München erschossen werden. Dorthin waren er und seine Familie vor drei Jahren geflüchtet.

Tschetscheniens Präsident Ramsan Kadyrow (Archivbild)

Tschetscheniens Präsident Kadyrow geht skrupellos gegen seiner Gegner vor- auch im Ausland.

Doch der Plan schlug fehl: Der Polizei gelang es nicht nur, die Tat zu verhindern, sondern auch einen der mutmaßlichen Drahtzieher festzunehmen. Nach bisherigen Ermittlungen ist davon auszugehen, dass hinter dem Mordauftrag das tschetschenische Regime in Russland steht.

Angeworbener Täter offenbarte sich

Dass der Anschlag auf Mochmad Abdurachmanow nicht ausgeführt wurde, hat dieser seinem mutmaßlichen Killer zu verdanken. Anfang Dezember, so erzählt es Mochmad MDR und "Spiegel", meldete sich Tamirlan A. bei ihm über das Internet. Er habe ihm geschildert, dass er den Auftrag bekommen habe, Mochmad zu erschießen. Dabei behilflich sei ihm ein Mittelsmann mit dem Namen Walid D. gewesen. Dieser Tschetschene lebt seit knapp 20 Jahren in Deutschland.

Mochmad Abdurachmanow

Mochmad sollte offenbar bei München erschossen werden.

Mit Tamirlans Zustimmung alarmierte Mochmad die Polizei. Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt übernahmen die Ermittlungen. Walid D. soll eine Pistole vom Typ Makarow mit einem Schalldämpfer nach Deutschland geschmuggelt haben. Die wurde jedenfalls bei einer späteren Razzia in seiner Wohnung gefunden. Tamirlan A. selber war nur wenige Wochen vor dem geplanten Mord als Asylbewerber getarnt nach Deutschland gekommen.

Bundesanwaltschaft erhebt schwere Vorwürfe

Laut Ermittlungen fuhren Tamirlan A. und Walid D. Mitte Dezember in die Nähe von München, wo Mochmad Abdurachmanow mit seiner Familie lebt. Nach eigener Aussage gelang es Tamirlan, seinem Komplizen den Anschlag an diesem Tag auszureden. Er konnte ihn offenbar davon überzeugen, dass ihr geplanter Fluchtweg über ein freies Feld nicht optimal sei. Walid D. stimmte zu. Der Anschlag fand nicht statt.

Wenige Tage später stellte sich Tamirlan A. der Polizei. Er ist inzwischen an einem geheimen Ort in einem Zeugenschutzprogramm untergebracht. Die Ermittler sind überzeugt, dass er nie vorhatte, den Mord auszuführen. Offenbar war er in einem tschetschenischen Gefängnis angeworben und mit Geld geködert worden.

Hintermann Walid D. konnte festgenommen werden und sitzt in Untersuchungshaft. Der im Haftbefehl der Bundesanwaltschaft erhobene Vorwurf lautet auf Verabredung zum Mord und Vorbereitung einer schweren Staatsgefährdenden Tat "im Auftrag staatlicher Stellen der russischen Teilrepublik Tschetschenien." Sein Anwalt teilte auf Anfrage mit, dass er die Tat bestreitet. Wie die Waffe in die Wohnung gekommen sei, wisse sein Mandant nicht.

Oppositionelle in Europa nicht sicher

Der Fall der Brüder Abdurachmanow verdeutlicht, dass tschetschenische Oppositionelle im europäischen Ausland nicht sicher sind. So wurde im Februar 2020 Imran Aliyev, ein bekannter Gegner des tschetschenischen Regimes, im französischen Lille erstochen. Im Juli 2020 wurde bei Wien Mamikhan "Anzor" Umarow erschossen. Auch er galt als ein Gegner des tschetschenischen Machthabers Ramsan Kadyrow.

Aktuell steht in Berlin ein russischer Staatsbürger vor Gericht, dem die Bundesanwaltschaft vorwirft, den tschetschenischstämmigen Georgier Zelimkhan Khangoshvili im August 2019 im Berliner Tiergarten ermordet zu haben. Laut Anklage sollen "staatliche Stellen der Zentralregierung der Russischen Föderation" den Mordauftrag erteilt haben.

Geheimdienste wissen um Gefahr

Die deutschen Nachrichtendienste wissen um die fehlende Sicherheit von Kadyrow-Gegnern im Ausland. Thüringens Verfassungsschutzchef Stephan Kramer sagte MDR und "Spiegel": "Es ist kein Geheimnis, dass die dafür zuständigen russischen Nachrichtendienste nicht zimperlich sind, auch in der Wahl ihrer Mittel." Dazu zählten Fake News, Manipulation in sozialen Netzwerken und körperliche Angriffe bis hin zu Mord.

Anschlagsopfer soll abgeschoben werden

Für Mochmad Abdurachmanow bleibt die Lage weiter ernst, denn er und seine Familie sollen aus Deutschland abgeschoben werden. Seine Anwältin Johanna Künne sagte: "Trotz des Anschlags auf seinen Bruder und der Tatsache, dass die Bundesanwaltschaft wegen des Mordversuchs im Dezember ermittelt, gibt es bisher keine Entscheidung, ob meinem Mandanten ein neues Asylverfahren gewährt wird."

Bisher habe das Bundesamt für Migration und Flüchtlingen (BAMF) die Gefährdung für eine Lüge gehalten und seinen Asylantrag abgelehnt. Nach den neuerlichen Ereignissen hofft die Anwältin auf Einsicht beim BAMF und auf ein neues Asylverfahren mit einem positiven Ausgang. "Zumindest die Sicherheitsbehörden nehmen das Ganze jetzt sehr ernst."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 16. April 2021 um 13:35 Uhr.