
Steuerskandal Cum-Ex Ein Frühstück, das Fragen aufwirft
Wollte die frühere SPD-Größe Kahrs der Privatbank MM Warburg im Cum-Ex-Skandal helfen, die Beute zu behalten? Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Unterlagen, die dem WDR vorliegen, geben Einblick in ein brisantes Treffen.
Die Deutsche Parlamentarische Gesellschaft ist ein exklusiver Verein. Wer im "Club der Abgeordneten" im prunkvollen Ambiente des einstigen Reichspräsidentenpalais in Berlin speisen möchte, sollte Mitglied des Deutschen Bundestages, eines Landtags, des Bundesrates, der Bundesregierung oder der Regierung eines Bundeslandes sein. Am Morgen des 2. April 2019 nutzen zwei Clubmitglieder diesen geschützten Raum für ein vertrauliches Frühstück: Johannes Kahrs, damals haushaltspolitischer Sprecher der SPD im Bundestag sowie der damalige Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums, Jörg Kukies. Die PG, wie Abgeordnete sie nennen, schien der perfekte Ort, um sich über Haushalts- und Finanzthemen auszutauschen.
Doch zu der Frühstücksrunde gesellte sich an diesem Morgen ein weiterer Gast, der hier sonst kein Mitglied ist: der Hamburger Privatbankier Christian Olearius. Der Eigner der Traditionsbank MM Warburg hatte sich am frühen Morgen ins Auto gesetzt, um dem Treffen beizuwohnen. Er war in einer misslichen Lage. Olearius zählte schon damals zu den Beschuldigten im größten deutschen Steuerskandal - Cum-Ex. Der Verdacht: Olearius soll sich mit seiner Warburg-Bank und weiteren Beratern, Bankern und Aktienhändlern Steuern erstatten lassen haben, die sie zuvor nie bezahlt hatten - ein Griff in die Staatskasse.
Frühstück mit brisantem Thema
Olearius fürchtete um die Existenz seiner Bank, sollte sie die Cum-Ex-Gelder zurückzahlen müssen. Es ging um hohe Millionensummen. Er fühlte sich unschuldig und unfair behandelt. In seinen Augen hatten es die Finanzbehörden auf die kleine Hamburger Traditionsbank abgesehen, während die Großen laufen gelassen würden. Er hatte Redebedarf und wollte offenbar, beim Frühstück Staatssekretär Kukies von seiner Sicht überzeugen. Wenige Wochen nach dem Frühstück begann vor dem Landgericht Bonn der erste Cum-Ex-Prozess, bei dem sich auch die Warburg-Bank als Nebenbeteiligte verantworten musste.
Dass es dieses Frühstück mit brisantem Inhalt überhaupt gegeben hat, wurde im vergangenen Sommer durch eine Kleine Anfrage der Linkspartei öffentlich und sorgte im Bundestagswahlkampf für Unruhe. Schließlich war es der Staatssekretär des Finanzministers und SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz, der sich mit dem beschuldigten Warburg-Banker austauschte, zu einem Zeitpunkt, als die Cum-Ex-Ermittlungen gegen Warburg und Olearius längst bekannt waren.
Scholz geriet während des Wahlkampfes selbst in die Schlagzeilen, weil er sich in seiner Zeit als Hamburgs Erster Bürgermeister 2016 mehrfach mit Olearius getroffen hatte und mit dem Banker auch über Cum-Ex gesprochen hatte. Tatsächlich verzichteten die Hamburger Finanzbehörden später erst einmal auf die Rückzahlung von 47 Millionen Euro aus Cum-Ex-Geschäften. In Hamburg gibt es dazu inzwischen einen Untersuchungsausschuss.
Kukies unwissend in das Treffen gelockt?
Eine Einflussnahme habe es nicht gegeben, beteuern die Hamburger Verantwortlichen unisono. Bislang unbekannte Unterlagen, die dem WDR vorliegen, bringen nun weitere Details zu dem Frühstückstermin ans Licht. Die Online-Plattform "Frag den Staat" hatte nach dem Informationsfreiheitsgesetz sämtliche Informationen zu dem Treffen zwischen Kukies, Kahrs und Olearius angefordert und dem WDR zur Verfügung gestellt.
Zumindest auf dem Papier liest es sich nun jedenfalls so, als sei Kukies unwissend in das Treffen gelockt worden. Genauso wird die Geschichte auch in Kreisen des Finanzministeriums erzählt. Demnach fragte das Büro von Johannes Kahrs am 19. März 2019 per Mail bei Kukies' Sekretärin an. Es ging um das Treffen, über das man gerade am Telefon gesprochen habe. Das Kahrs-Büro bot an, ein "stilles Plätzchen" in der Parlamentarischen Gesellschaft zu reservieren. Am 27. März erkundigte sich das Vorzimmer von Kukies, ob Kahrs den Termin "solo" wahrnehme oder noch jemand anderes mitkomme. Am gleichen Tag bestätigte Kahrs' Büro, der SPD-Abgeordnete "erscheint alleine in der ehrenwerten PG".
Razzia bei Kahrs
Sollte Kahrs den Staatssekretär tatsächlich getäuscht haben, könnte ihn das weiter unter Druck setzen. Schließlich ermittelt die Staatsanwaltschaft Köln gegen den 2020 überraschend zurückgetretenen Politiker wegen des Verdachts der Begünstigung und durchsuchte im Herbst während einer Razzia mehrere seiner Wohnungen.
Die Strafverfolger gehen der Frage nach, ob Kahrs der Hamburger Privatbank MM Warburg geholfen haben könnte, illegale Cum-Ex-Beute zu behalten. Die Frage vor allem bezüglich des Treffens ist: Hat der SPD-Politiker seine Zugänge genutzt, um Olearius mit seinem Steuerproblem an höchster Stelle Gehör zu verschaffen? Wer jemandem hilft, sich die Vorteile aus einer mutmaßlich kriminellen Tat zu sichern, macht sich selbst strafbar. Im Strafgesetzbuch ist dies als "Begünstigung" festgehalten - und kann mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet werden.
Olearius' Anwalt: Kukies wusste Bescheid
Kahrs ließ mehrere Anfragen zu dem Frühstück unbeantwortet. Auch das Bundesfinanzministerium ging auf den Hergang des Termins nicht ein und verwies auf die Antwort auf die Kleine Anfrage. Kukies, der inzwischen zum Staatssekretär im Bundeskanzleramt und Top-Berater von Kanzler Scholz aufgestiegen ist, ließ sich ebenfalls nicht zu dem Frühstück ein.
Privatbanker Olearius hingegen hat offenbar eine ganz andere Erinnerung. Über seinen Anwalt Peter Gauweiler lässt er mitteilen, er hätte sich niemals am frühen Morgen in sein Auto gesetzt, wenn nicht vollkommen klar gewesen wäre, dass Kukies ihn empfange. "Der Staatssekretär war entsprechend auch überhaupt nicht überrascht, dass Herr Olearius zugegen war. Es gab keine einzige Bemerkung von Kukies, dass er nicht informiert gewesen sei", schildert Gauweiler die Erinnerungen seines Mandanten.
Keine Unterstützung von Kukies
Das Treffen im exklusiven Kreise ist umso bemerkenswerter, als dass Kukies dem Hamburger Bankier nur wenige Monate zuvor schriftlich eine harsche Absage erteilt hatte. Olearius hatte schon am 7. Juli 2018 darum gebeten, die Verantwortlichkeit für das Steuerverfahren zurück in die Hände des Hamburger Finanzamtes zu geben - womöglich in der Hoffnung auf eine bessere Behandlung seiner Bank. Es läge im gemeinsamen Interesse des Bundesfinanzministeriums und der Bank, das Cum-Ex-Problem möglichst schnell zu lösen.
Auf dem Brief von Olearius ist handschriftlich vermerkt: "Wir müssen klarstellen, dass wir bei fast allen seiner Bitten nicht helfen können und wollen". Tatsächlich folgte wenig später ein einseitiges Antwortschreiben des Staatssekretärs. Der Bitte um Unterstützung, schrieb Kukies 2018, könne er nicht entsprechen.
Eigentlich hätte der Vorgang hier beendet sein können. Doch offenbar brachte Kahrs den Banker Olearius mit dem Frühstück erneut ins Spiel. Geholfen hat es nach Darstellung des Bundesfinanzministeriums in der Antwort auf die Kleine Anfrage der Linken jedoch nicht. Staatssekretär Kukies habe auch bei dem Frühstück erneut bekräftigt, dass er die Einschätzung von Olearius nicht teile.