Wirecard-Schriftzug an der ehemaligen Zentrale des Unternehmens
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Vor möglichem Prozess Neue Hinweise auf Geldwäsche bei Wirecard

Stand: 21.09.2022 05:01 Uhr

Kommt es zum Prozess gegen Ex-Wirecard-Chef Braun? Darüber soll bald entschieden werden. Der BR hat Zahlungsflüsse aus dem Unternehmen analysiert, die den Geldwäsche-Verdacht erhärten. Was bedeutet das für die Verteidigungsstrategie von Braun?

Von Von Arne Meyer-Fünffinger und Josef Streule, BR

Es sind Daten zu Hunderttausenden Überweisungen über Konten der Wirecard-Bank aus dem Jahr 2018. Sie stammen aus dem E-Mail-Postfach des früheren Wirecard-Vorstands Jan Marsalek. Dieser hatte sie sich unzulässig im Juni 2019 bei der Bank besorgt. BR-Recherche hat sie analysiert. Die Unterlagen geben Aufschluss darüber, was wohl wirklich hinter dem sogenannten Drittpartnergeschäft des Aschheimer Zahlungsdienstleisters steckte.

Diese Drittpartner wickelten nach offizieller Darstellung von Wirecard vor allem in Asien Zahlungen ab. Dafür sollten Kommissionen auf Treuhandkonten des ehemaligen DAX-Konzerns nach Singapur und auf die Philippinen fließen - am Ende 1,9 Milliarden Euro. Die BR-Analyse zeigt jetzt erstmals, woher die Guthaben der Drittpartner wie Payeasy, Centurion oder Al Alam auf Konten bei der Wirecard-Bank stammten und wohin dieses Geld abfloss. Die Recherchen führen in das Zentrum des Skandals.

Staatsanwaltschaft: Drittpartnergeschäft existierte nicht

Für die Münchner Staatsanwaltschaft und den Wirecard-Insolvenzverwalter ist der Fall klar: Das Wirecard-Drittpartnergeschäft, angeblich der Gewinnbringer des Konzerns, war frei erfunden. Die Treuhandkonten waren leer, die 1,9 Milliarden Euro nicht auffindbar. So hat es die Ermittlungsbehörde in ihrer Anklage gegen Ex-Wirecard-Chef Markus Braun und zwei weitere Beschuldigte festgehalten. Sie wirft Braun unter anderem Untreue und gewerbsmäßigen Bandenbetrug vor. Auf Anfrage des BR teilt die Behörde mit, nach ihrer Auffassung liegen bei dem "Gesamtgefüge der Transaktionen (…) erhebliche Anhaltspunkte für Geldwäsche vor".  

Braun und sein Verteidiger Alfred Dierlamm halten entschieden dagegen. Sie sagen, es habe sehr wohl ein umfangreiches Drittpartnergeschäft existiert. Allerdings habe eine Bande um Jan Marsalek die Erlöse veruntreut. Sein Mandant, der weiterhin in Untersuchungshaft sitzt, sei zu Unrecht angeklagt, kritisiert Dierlamm.

Hunderte Millionen Euro verschwinden auf Offshore-Konten

Tatsächlich zeigen die dem BR und dem ARD-Magazin Plusminus vorliegenden Kontodaten der Wirecard-Bank, dass Drittpartner-Firmen wie Payeasy und Centurion mit Sitz auf den Philippinen hohe Millionenbeträge von zahlreichen Firmen überwiesen bekommen haben. Waren das Kommissionen, so wie es Ex-CEO Braun behauptet, oder liefen da mutmaßlich kriminelle Geschäfte? Sicher ist: Dieses Geld floss dann weiter auf Konten anderer Firmen.

Besonders auffällig sind Überweisungen des angeblichen Drittpartners Payeasy. Die Firma hat 2018 jeden Monat Millionenbeträge an die Pittodrie Finance Limited in Hong Kong überwiesen, insgesamt 100 Millionen Euro. Centurion leitete 2018 mehr als 40 Millionen Euro an Briefkastenfirmen auf der Karibikinsel Antigua und nach Indonesien weiter. Markus Braun bestreitet, schon damals von solchen Transaktionen gewusst zu haben. Zugleich behauptet er, die Gelder würden in Wirklichkeit Wirecard zustehen. Denn dabei handle es sich "zum ganz überwiegenden Teil" um "Kommissionszahlungen aus dem Wirecard Drittpartnergeschäft", so sein Verteidiger Dierlamm auf BR-Anfrage.

Millionen-Konzern in Prager Wohnhaus?

Handelte es sich tatsächlich um Kommissionen? Der umfangreiche Datensatz an Überweisungen offenbart auch, wo hohe Guthaben der angeblichen Drittpartner auf Konten bei der Wirecard-Bank hergekommen sind. So hat von Januar bis Dezember 2018 eine Firma namens Xprt Services S.R.O. in mehr als 50 Tranchen über 19 Millionen Euro auf ein Centurion-Konto überwiesen.

Als Eigentümer von Xprt Services ist im tschechischen Handelsregister der Name Roni R. eingetragen. Die Anschrift der Firma in Prag führt zu einem Wohnhaus. Auf einem der Klingelschilder steht tatsächlich der Name des Geschäftsmannes. Als BR-Reporter klingeln, meldet sich R. durch die Gegensprechanlage. Die Tür öffnen will er aber nicht. So bleibt offen, wie eine Firma mit einem offiziellen Umsatz von rund 30.000 Euro im Jahr 2018 insgesamt 19 Millionen Euro Kommissionen an den Drittpartner Centurion überweisen konnte.

Händler, die Fake-Seiten aufsetzen?

Auf das Centurion-Konto flossen den Bank-Daten zufolge 2018 ebenfalls regelmäßig hunderttausende Euro von einer Firma namens Neo Charge, die in Bratislava registriert ist. Dahinter steht der Geschäftsmann Avi V., der von Prag aus mehrere Firmen leitet. V. lässt eine schriftliche Anfrage unbeantwortet.

BR-Recherche konnte Verträge zwischen den beteiligten Firmen einsehen. So schloss Centurion Ende Dezember 2015 einen Vertrag mit Neo Charge und einer weiteren Firma aus der Türkei über die Abwicklung von Online-Zahlungen ab. Überraschend ist: Centurion ist danach keineswegs der Zahlungsabwickler, sondern einfacher "Merchant", also Händler. Weiter heißt es, Centurion sei Betreiber verschiedener Internetseiten.

Die Internetseiten von Centurion lassen sich nur noch im Internet-Archiv recherchieren. Es gibt sie mehrfach im Netz. Design und Formulierungen sind immer ähnlich. Der Verdacht liegt nahe, dass es Fake-Webseiten sind. "Dabei werden Internetseiten benutzt, um Online-Umsätze aus anderen Geschäftsfeldern vorzutäuschen. Am Ende gibt es meist eine Verbindung zum Online-Glücksspiel", sagt der Finanzexperte Mattew Earl aus London. Er bechäftigte sich jahrelang mit dem Wirecard-Skandal. Im Interview mit dem BR spricht Earl von so genanntem "transaction laundering", Geldwäsche also.

Brauns Verteidigungsstrategie erfolgversprechend?

Nach BR-Informationen soll in der kommenden Woche eine Entscheidung darüber fallen, ob und wann gegen Braun und zwei weitere Beschuldigte der Prozess eröffnet wird. Die Frage, ob es das Drittpartnergeschäft gab, wird dabei zentral sein. So zentral, dass der Ex-Wirecard-CEO darauf seine Verteidigungsstrategie aufgebaut hat. Finanzinvestor Earl glaubt nicht, dass sie aufgehen wird: "Zu denken, dass er von diesen Vorgängen bei Wirecard keine Kenntnis gehabt haben will, ist wirklich absurd."

A. Meyer-Fünffinger / J. Streule, 21.09.2022 06:36 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 28. Mai 2021 um 17:12 Uhr.