Mautschild an einer Straße

Maut-Desaster Scheuer wusste schon früh von Kosten

Stand: 17.06.2020 22:02 Uhr

Vor einem Jahr vernichtete der EuGH die Pläne für eine Pkw-Maut. Vertrauliche Dokumente zeigen: Das Verkehrsministerium wusste schon wenige Tage später von möglichen Entschädigungsansprüchen.

Der 18. Juni 2019 dürfte als schwarzer Tag in die Geschichte der CSU eingehen. Mit aller Macht hatte die Partei jahrelang für die Pkw-Maut gekämpft, auch gegen den Widerstand des Koalitionspartners von der SPD. Doch der Europäische Gerichtshof (EuGH) machte die Pläne zunichte. Verkehrsminister Andreas Scheuer bemüht sich seitdem um Schadensbegrenzung.

Gutachten warnt früh vor hohen Forderungen

Eine vertrauliche Berechnung, die der Bayerische Rundfunk und der "Spiegel" einsehen konnten, stammt von der Beratungsfirma PricewaterhouseCoopers Legal (PwC). Datiert ist sie auf den 20. Juni 2019, also zwei Tage nach dem Urteil des EuGH.

Scheuers Ministerium wollte wissen, wie hoch Entschädigungen im Falle einer Vertragskündigung "aus ordnungspolitischen Gründen" ausfallen könnten. Darin kommt PwC zum Ergebnis, dass potenzielle Entschädigungsbeträge von "rund 480 Mio. EUR bis 776 Mio. EUR" fällig sein könnten.

Verkehrsminister Andreas Scheuer hatte die Verträge mit den beiden Betreibern Kapsch und CTS Eventim bereits Ende 2018 geschlossen - bevor endgültige Rechtssicherheit bestand. Noch am Abend des EuGH-Urteil im Juni 2019 ließ Scheuer die Verträge kündigen. Deshalb fordern die Betreiber im Dezember 2019 Schadensersatz: 560 Millionen Euro. Scheuer kommentierte damals so: "Die Betreiber haben keinen Anspruch auf Entschädigung." Und: "Die Zahlen sind falsch und entbehren jeglicher Grundlage."

Verkehrsminister Andreas Scheuer

Verkehrsminister Scheuer erhielt von dem Beratern erschreckende Berechnugen.

"Kündigung aus ordnungspolitischen Gründen"

Scheuers Ministerium wirft den Betreibern vor, schon in der Vorbereitungsphase Leistungen nicht erbracht und zugesagte Planungsunterlagen nicht geliefert zu haben. Deshalb seien die Verträge mit den Mautbetreibern gekündigt worden. Das Urteil des EuGH sei da nur ein Randaspekt.

Brisant ist aber der Zeitpunkt der PwC-Berechnung. Die Verträge ließ Scheuer unmittelbar nach dem Urteil des EuGH kündigen. Politische Gründe sollen keine Rolle gespielt haben. Warum aber lässt Scheuers Ministerium dann genau im Zeitraum der Kündigung ein Gutachten erstellen für den Fall der "Kündigung aus ordnungspolitischen Gründen"? Politische Gründe spielten angeblich keine Rolle.

Das Verkehrsministerium hält nichts von der PwC-Berechnung. Das Ministerium teilt auf Anfrage mit: "Die überschlägigen Abschätzungen von Juni 2019 spiegeln in keiner Weise Entschädigungsansprüche wider. Es handelt sich um rein hypothetische Abschätzungen ohne Bezug zu den tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten." Außerdem habe PwC die Abschätzungen seinerzeit selbst zurückgezogen, "da sie grob falsch waren und insbesondere auf fehlerhaften Annahmen beruhten".

"Kann für die Interessen schädlich sein"

Die PwC-Berechnung, die der BR und der "Spiegel" eingesehen haben, trägt die Einstufung "VS-VERTRAULICH" mit dem Zusatz: "amtlich geheimgehalten". Diese Einstufung bedeutet in ihrem Grundsatz: "Kann für die Interessen schädlich sein." Schädlich könnte das PwC-Gutachten vor allem für die Argumentation des Verkehrsministeriums sein.

Grüne: Scheuer waren Kosten der Kündigung frühzeitig klar

Oliver Krischer sitzt für die Grünen im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Pkw-Maut. Er sagt mit Blick auf das PwC-Gutachten: "Minister Scheuer war frühzeitig klar, dass eine Kündigung der Verträge die teuerste Option ist." Scheuer habe dennoch diese Option gewählt, "weil der Schadensersatz durch die Kündigung erst nach jahrelangen Schiedsgerichtsverfahren fällig wird und er dann längst nicht mehr Verkehrsminister ist. Dann können andere die Suppe auslöffeln."

Grünen-Umweltexperte Krischer

Der Grünen-Politiker Krischer bezichtigt Scheuer, in der Maut-Affäre auf Zeit zu spielen.

Der Streit zwischen Verkehrsministerium und Betreibern liegt nun vor einem Schiedsgericht. Dort wird hinter verschlossenen Türen die Frage zu klären, ob der Bund den Unternehmen die geforderte Summe von mehr als einer halben Milliarde Euro zahlen muss. Das Gutachten der Beratungsfirma PwC könnte da eine Rolle spielen und die Verhandlungsposition des Verkehrsministeriums schwächen.

Ein Schiedsgerichtsverfahren in Sachen Lkw-Maut ging kürzlich mit einem Vergleich zu Ende. Deutschland und der Lkw-Maut-Betreiber Toll Collect einigten sich - nach 14 Jahren.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 18. Juni 2020 um 08:46 Uhr.