
Lebensmittelüberwachung Jede dritte Routinekontrolle fällt aus
Stand: 11.12.2019 11:30 Uhr
In der Gastronomie, im Handel oder in Lebensmittelbetrieben findet etwa jede dritte geplante Routinekontrolle nicht statt. Das zeigt eine aktuelle Befragung, die BR und "Welt" vorliegt.
Von Christiane Hawranek und Lisa Wreschniok, BR
9 Uhr morgens, ein Seniorenheim im oberbayerischen Traunstein. Es ist die erste Station an diesem Dezembertag für Michael Förtsch, Lebensmittelkontrolleur des Landratsamts Traunstein. Er überprüft die Küche, Kühlräume und Dokumentation. Solche routinemäßigen "Plankontrollen" finden grundsätzlich unangekündigt statt, so Förtsch. Hinzu kommen außerplanmäßige Kontrollen, wenn etwas nicht in Ordnung ist.
Hohe Arbeitsbelastung
Gaststätten, Bäckereien, Marktstände - gut 3500 Betriebe im Landkreis Traunstein überwachen Förtsch und seine Kollegen. Das Problem: Sie sind nur zu fünft. Von den vorgeschriebenen routinemäßigen Kontrollen haben sie im vergangenen Jahr rund ein Drittel nicht geschafft.
Für Förtsch, der auch im Bayerischen Landesverband der Lebensmittelkontrolleure aktiv ist, ist das ein unhaltbarer Zustand: "Die Plankontrollen sind nicht zu schaffen. Ich finde das nicht in Ordnung, wir haben das bei verschiedensten Stellen angebracht, bei Ministerien, bei der Politik, aber es passiert nicht wirklich etwas."
Kontrollen fallen aus, weil Personal fehlt. Dieses Problem hat nicht nur der Landkreis Traunstein - es besteht bundesweit.
Lebensmittelkontrollen fallen wegen Personalmangel häufig aus
tagesschau 17:00 Uhr, 11.12.2019, Anke Hahn, RBB
Erhebung offenbart Lücken
Etwa jede dritte Routinekontrolle der Lebensmittelüberwachung in Deutschland entfällt. Das ergibt eine aktuelle Erhebung, die die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch durchgeführt hat und die BR Recherche und der Zeitung "Welt" vorab exklusiv vorliegt. Die gemeinnützige Organisation hatte bundesweit alle 394 zuständigen Behörden befragt.
Nach eigenen Angaben konnten die Lebensmittelkontrolleure der Behörden im Jahr 2018 rund 250.000 Kontrollen nicht wie geplant durchführen. Offenbar fehlt es flächendeckend an Personal. Nur 41 der befragten Behörden gaben an, alle vorgegebenen Plankontrollen geschafft zu haben.
Martin Rücker, Geschäftsführer von Foodwatch, fordert daher die Schaffung von deutlich mehr Stellen in der Lebensmittelüberwachung. "Ich halte die Ergebnisse wirklich für einen handfesten politischen Skandal", so Rücker im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk.
"Nicht die Kontrolleure und Kontrolleurinnen, die jeden Tag in den Betrieben sind, machen ihren Job nicht, sondern die politisch Verantwortlichen machen ihren Job nicht."
Weniger Kontrollen, weniger Verbraucherschutz?
Erst Ende November war bekannt geworden, dass das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft trotz Bedenken von Verbraucherschützern und dem Bundesverband der Lebensmittelkontrolleure die Vorgaben für Plankontrollen neu regeln will. Bislang unauffällige Unternehmen müssten demnach seltener mit unangekündigten Kontrollbesuchen rechnen, auffälligere Betriebe hingegen öfter.
Die Zahl der vorgegebenen routinemäßigen Kontrollen könnte sinken - und damit auch die Zahl der Planstellen.
Lebensgefährlicher Personalmangel
Ein Personalmangel, der Menschenleben gefährden kann. Drei Menschen sind an keimbelasteter Wurst der Firma Wilke gestorben. Im hessischen Landkreis Waldeck-Frankenberg, in dem die Firma ihren Sitz hat, gab es 2018 gerade mal 3,15 Stellen für Kontrolleure - die für 2895 Betriebe zuständig waren. Sie haben nur knapp 50 Prozent der vorgeschriebenen Kontrollen geschafft.
Zuständig für die Personalausstattung der Behörden zur Lebensmittelüberwachung sind letztendlich die Landesregierungen. Darauf verweist das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft auf Anfrage von BR und "Welt". Das Ministerium in Berlin geht davon aus, dass bundesweit 1500 Lebensmittelkontrolleure fehlen und erklärt, es habe an die Länder appelliert, für eine angemessene Personalausstattung zu sorgen.
Wie wichtig Kontrollen der Lebensmittelüberwachung sind, zeigen die aktuellen Zahlen des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL). Die Rückrufe von Lebensmitteln steigen seit Jahren kontinuierlich. In diesem Jahr gab es bis Ende November 183 Lebensmittelwarnungen, 2015 waren es insgesamt 100. Das BVL verzeichnet außerdem im Jahr 2018 in Deutschland 416 gemeldete lebensmittelbedingte Krankheitsausbrüche - ein Anstieg um 8 Prozent gegenüber 2015.
"Tricksen, täuschen, betrügen"
Lebensmittelkontrolleur Michael Förtsch aus dem Landkreis Traunstein hat am diesem Tag noch vier weitere Stationen auf seinem Tagesplan - einen Supermarkt wegen eines Rückrufs, einen Imbiss, einen Backshop und ein Restaurant. Fast überall findet er kleinere Mängel. Bei einem Betrieb stößt er auf größere: vernachlässigte Reinigung und verdorbene Lebensmittel. Hier wird voraussichtlich ein Bußgeld von rund 1000 Euro fällig.
Förtsch ist es wichtig zu betonen: Meistens sind unsere Lebensmittel sicher, doch es gebe eben auch Unternehmen, die tricksen, täuschen und betrügen.
Lebensmittelüberwachung – Jede 3. Kontrolle fällt aus
Hawranek, Christiane/Wreschniok, Lisa, BR
11.12.2019 10:48 Uhr